Ökumenisches Reformationsgedenken mit St. Hedwig in St. Johannis - 28. Mai 2017

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St. Johannis

Predigt:
Pfarrer Peter Fischer
Pfarrer Jörg Mahler

"Ich bin der Weinstock"

 

Predigttext Joh 15,1-5 

Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater der Weingärtner. Eine jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, wird er wegnehmen; und eine jede, die Frucht bringt, wird er reinigen, dass sie mehr Frucht bringe. Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe. Bleibt in mir und ich in euch. Wie die Rebe keine Frucht bringen kann aus sich selbst, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht in mir bleibt. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun. 

Gemeinsame Predigt 

A) (Pfarrer Peter Fischer) 

Liebe Schwestern und Brüder, 

im gehörten Abschnitt aus dem Johannes-Evangelium nennt sich Christus selbst „den wahren Weinstock“. 

Weinstöcke sind uns bestens vertraut – schon seit Jahrtausenden werden sie kultiviert, weil sie Weintrauben hervorbringen, die man essen oder zu Saft oder Wein verarbeitet genießen kann. 

Damit ein Weinstock Frucht tragen kann, braucht es die Reben, die aus dem Weinstock wachsen und dann Frucht tragen. Gleichzeitig gilt: Damit die Reben Frucht tragen können, muß ihre Verbindung zum Weinstock aufrecht bleiben – abgebrochen oder abgeschnitten vertrocknen sie und bringen keine Frucht. 

Im Ziel, Frucht zu bringen, braucht der Weinstock die Reben und die Reben brauchen den Weinstock. 

Auf den Glauben übertragen bedeutet dies: Christus will und braucht die Kirche als Gemeinschaft der Glaubenden, um in die Welt zu wirken, und die Gemeinschaft der Glaubenden braucht Christus, um nicht zu vertrocknen und abzusterben. Ohne Christus ist die Kirche nichts: ohne ihn können wir nichts vollbringen. 

B) (Pfarrer Jörg Mahler) 

Jesus sagt: „Ich bin der wahre Weinstock“: Es gibt also nur einen einzigen wahren Weinstock. Alle Reben sind Reben dieses einen Weinstocks, alle Reben hängen an ihm und bekommen von ihm her Nahrung. Deshalb sind wir als die Reben aufgerufen zur Einheit. Das Besondere ist: Wenn wir näher zu Christus kommen, dann kommen wir auch einander näher. Das muss für uns lutherische und katholische Christen die Perspektive sein, in der wir unseren Glauben leben: Christus näher kommen, und so einander näher kommen. 

C) (Pfarrer Peter Fischer) 

Weinstöcke werden schon seit Jahrtausenden kultiviert, weil sie Frucht bringen. Der Sinn eines Weinstocks liegt nicht in sich selbst, nicht in den Zweigen und Ästen, nicht im grünen Blätterwerk, sondern in den Früchten. 

Auf den Glauben übertragen kann man sagen: Die Menschwerdung Christi, sein Leben, sein Wirken, sein Sterben und Auferstehen hat nicht einen Sinn in sich, sondern der Sinn des Christus-Ereignisses liegt darin, dass es sich auf uns und die Welt auswirkt. Dafür steht schon immer das „pro nobis“, das „für uns“. Christus hat sich selbst zum einen wahren Weinstock gemacht, damit wir Anteil haben an seinem Leben und Frucht bringen in der Welt. 

Was aber nun soll diese Frucht sein?: Zum einen das Zeugnis des christlichen Glaubens, zum anderen der Dienst aneinander und an der Welt. 

Wir sollen und dürfen Zeugnis ablegen für die christliche Hoffnung, die uns erfüllt – die Hoffnung auf Leben, das nie endet; und wir sollen und dürfen Zeugnis dafür ablegen, dass wir schon jetzt Anteil haben dürfen am Leben des Auferstandenen: in den Gaben und Verhaltensweisen, die der Geist uns gibt und wirkt und die zu einer gelingenden Gemeinschaft hinführen und ihr dienen wollen. 

Dieses Zeugnis ist in der Welt von heute notwendiger denn je. Denn wir leben in einer Welt, die sich und Gott ständig vergisst, sich im Rausch verirrt oder sich am Abgrund des Nichts wähnt. Das Zeugnis von der unbegreiflichen Menschenliebe Gottes in Christus Jesus gibt uns Halt, Orientierung und Ziel – für uns und für die ganze Welt. 

Dieses Zeugnis muss sich in der Tat bewähren: im Dienst aneinander und an der Welt: Einander dienen, wie Christus uns gedient hat – jene Liebe weiterschenken, die uns Christus geschenkt und vorgelebt hat. 

In einer Menschheit, die gespalten und zerrissen ist – und irgendwie hat man den Eindruck, dass die Risse täglich mehr und tiefer werden – in einer Menschheit, die so gespalten und zerrissen ist, gehört zum Dienst an der Welt auch der Dienst an der Einheit, am Heilen dessen, was gespalten und zerrissen ist. 

So sind wir gerade als christliche Konfessionen, die selber auf eine lange Zeit der Spaltung und des Zerrisssenseins zurückblicken müssen, zum Dienst an der Einheit der Reben des einen Weinstocks verpflichtet. Das Verlangen nach Einheit, das Streben nach Einheit und die Verpflichtung, den Weg der Einheit fortzusetzen, muss uns prägen – im Hinblick auf uns als Reben 

des einen Weinstocks, aber auch im Sinne der Glaubwürdigkeit unseres Einsatzes für Versöhnung in der Welt von heute. 

Wir wissen darum, dass das alles nicht von heute auf morgen gehen kann; sonst würden neue Wunden gerissen. Dabei dürfen wir feststellen: Das Bild vom Weinstock und der Reben ist ein Bild des Wachsens, das auch seine Zeit braucht. Auf dem ökumenischen Weg verpflichten wir uns zum Wachstums mit allem, was zum Wachstum dazu gehört. 

D) (Pfarrer Jörg Mahler) 

Reben bedürfen ständiger Reinigung: vertrocknete und unfrucht-bare Triebe müssen entfernt werden, überzählige Triebe müssen zurückgeschnitten werden, damit der Weinstock weiterhin seine Kraft bündeln und gute Frucht bringen kann. Gegebenenfalls muss Schmutz von den Blättern entfernt werden. Winzer gehen ca. 17mal während des Jahres zu ihren Weinstöcken, um sie zu pflegen, bevor sie die Weintrauben ernten. 

Jesus kennt sich sehr gut in der Pflege eines Weinberg aus und erklärt seinen Jüngern: „Jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, nimmt er, d.h. Gott als der Weingärtner weg, und jede, die Frucht bringt, reinigt er, damit sie mehr Frucht bringe.“ 

Unfruchtbares wegnehmen, gute Reben reinigen, das ist also auch eine wichtige Aufgabe für und in der Kirche. Es gibt eine Pa-role, die dieses wichtige Anliegen der Reformation wiedergibt: ecclesia semper reformanda, zu Deutsch: die Kirche ist immer zu reformieren. 

Diese Parole drückt das reformatorische Grundanliegen aus, die Kirche müsse sich in allen Bereichen, in ihrer Verkündigung, in ih-rer Gestalt und im Lebensstil ihrer Vertreter und ihrer Mitglieder immer neu vom Wort Gottes richten und erneuern lassen. Diese Parole gilt inhaltlich für alle Konfessionen. 

Denn es kommt durchaus vor, dass die Kirche manches an sich hat, das in Wahrheit nicht zu ihr gehört, sondern ihrem Wesen viel-leicht sogar widerspricht, und es wie Staub und Schmutz überla-gert, ja sie zuweilen sogar wie ein hässlicher Aussatz entstellt. In ihren schlimmsten Tagen glich die Kirche eher dem gegeißelten und gekreuzigten als dem verklärten Herrn. 

Insbesondere muss die Kirche auch die aktuellen Krankheiten der Welt erkennen, um sich selbst gegen sie wappnen und durch die Kraft des Heiligen Geistes heilend auf sie wirken zu können. 

Die Kirche ist beides: Ausgangspunkt der Veränderung, aber auch Gegenstand der Veränderung. 

Zugleich gilt: So wichtig es für die Kirche ist, sich Gedanken zu ma-chen, wie sie das Evangelium in der Welt verkündigen und leben kann, so sehr geht es nicht um bloße Modernisierung oder gar um die Anpassung des Evangeliums oder des biblischen Gebots, weil 

es dem jeweils gerade modernen Menschen nicht mehr zumutbar ist. Wer sich mit dem Zeitgeist verheiratet, ist bald verwitwet. 

Jesus legt besonderes Augenmerk auf die Reinigung der Früchte, d.h.: die Kirche ist stets zu reformieren – im Blick auf Christus und die Heilige Schrift im Horizont der gegenwärtigen Zeit. Das bleibt die große Herausforderung für die Kirche. 

Die Kirche ist stets zu reformieren – das fordert uns heraus, uns immer wieder selbstkritisch zu betrachten, wie wir es vorhin in unserem Sündenbekenntnis getan haben, um auch in der Zukunft Kirche im Sinne Jesu Christi sein zu können. 

Aber muss dieses Erneuern und verändern so weit gehen, dass es irgendwann einmal keinen Unterschied zwischen evangelische rund katholischer Kirche mehr gibt? Ab und an höre ich das ja auf Geburtstagsbesuchen: Evangelisch und katholisch, das macht ja doch keinen großen Unterschied. Die können sich doch zusam-menschließen. Ich sage ja: die Gemeinsamkeiten sind wirklich größer als das Trennende. Und doch gibt es die Unterschiede. In manchen Bereichen haben sich in jeder Konfession Traditionen herausgebildet, in denen Menschen sich einfach beheimatet füh-len, und die sie nicht aufgeben wollen. In manchen Bereichen ha-ben wir aus jeweils guten Gründen unterschiedliche Überzeugun-gen. Und in manchen Bereichen wird sehr schnell deutlich, dass Vielfalt auch ein großer Reichtum ist. 

Es muss nicht alles gleich sein. Wir können einander zugestehen, dass wir in verschiedenen Punkten verschieden Denken und un-seren Glauben verschieden leben. Auch innerhalb einer Konfes-sion haben ja nicht alle den gleichen theologischen Standpunkt oder die gleiche Frömmigkeit. 

Als verschiedene Konfessionen mit Unterschieden leben und ar-beiten wir aber zusammen, und zwar in versöhnter Verschieden-heit. Versöhnte Verschiedenheit heißt: Wir sind verschieden, aber versöhnt und verbunden. Das ist der Weg der Konfessionen in die Zukunft. 

Organisatorisch müssen wir nicht eins werden. Eins sind wir schon längst vor und in Gott. Wir sind Reben des einen Weinstocks. 

E) (Pfarrer Peter Fischer) 

Viele Glieder der christlichen Konfessionen sehnen sich danach, als Ausdruck der Verbundenheit und der in Christus gründenden Einheit aller Getauften auch Eucharistie bzw. Abendmahl konfessionsübergreifend gemeinsam zu feiern. Gerade aus konfessionsverbindenden Familien, die sich bei der Frage nach dem Gottesdienstbesuch nicht selten zerrissen fühlen, wird dies laut; hier wird der Schmerz der Trennung der christlichen Konfessionen besonders deutlich: man teilt das ganze Leben, aber Gottes heilende Gegenwart im eucharistischen Mahl soll nicht wirklich gemeinsam gefeiert werden können. Doch es ist grundsätzlich ein Skandalon, dass wir das Sakrament der Einheit, 

wie wir die Eucharistie auch bezeichnen, nicht in Gemeinschaft mit den anderen Christen feiern können. 

Man behilft sich in der Praxis mit mehr oder weniger stillschweigend geduldeten Lösungen, die effektiv zu einer Interkommunion der Gläubigen führen – die doch eigentlich als so nicht gewollt dargestellt wird. Immerhin – und das finde ich sehr beachtenswert – hat der emeritierte Bamberger Erzbischof Karl Braun, dem ja eigentlich immer nachgesagt wurde, er wäre recht konservativ, noch zu seiner Amtszeit gesagt: Wenn konfessionsverbindende Familien gemeinsam zum Gotesdienst gehen, dann soll sie auch gemeinsam Kommunion bzw. Abendmahl empfangen. Die gemeinsame Gottesdienstmitfeier ist ein höheres Gut als wenn jeder in seiner Kirche feiert – in der Konsequenz schließt das dann den gemeinsamen Gang zum Tisch des Herrn ein. 

Wir merken bei alledem den theologsich-dogmatisch-kirchenrechtlichen Ballast, der auf Eucharistie und Abendmahl liegt. Und dabei steht doch in deren Kern die einfache Geste des Brotbrechens und -essens und des Trinkens aus dem kreisenden Becher liegt, die die reale Gemeinschaft mit Christus und untereinander zeichenhaft darstellt und vermittelt. 

Der Überbau trennt nicht nur die Konfessionen, sondern stellt uns gerade in der katholischen Kirche in Zeiten des Priestermangels vor immer schwerer lösbare Probleme – ist doch einerseits die Eucharistie Quelle und Höhepunkt des ganzen christichen Lebens, wie das Zeite Vatikanische Konzil sagt; jedoch kann sie andererseits nur dort gefeiert werden, wo ein Priester ihr vorstehen kann. 

Wir stehen vor der Herausforderung, nochmal nachzuschauen, was Zeugnis und Perspektiven des urchristlichen Anfangs im Hinblick auf christliche Mahlfeiern waren und sind – hier können ökumenischer Austausch und innerkonfessioneller Dialog gegenseitig befruchten. 

Beim historischen Reformationsgedenken in Lunt, zu dem auch Papst Franziskus gekommen war, wurde im Hinblick auf Eucharistie und Abendmahl klar formuliert: „Wir erkennen unsere gemeinsame pastorale Verantwortung, dem geistlichen Hunger und Durst unserer Menschen, eins zu sein in Christus, zu begegnen. Wir sehen uns danach, dass diese Wunde am Leib Christi geheilt wird. Dies ist das Ziel unserer ökumenischen Bemühungen. Wir wünschen, dass sie voranschreiten, auch indem wir unseren Einsatz im theologischen Dialog erneuern.“ 

Vielleicht darf das auch als Ermutigung verstanden werden, im vorauseilenden Gehorsam das eine oder andere vor Ort verantwortet auszuprobieren. 

F) (Pfarrer Jörg Mahler) 

Gemeinsam gehen wir als lutherische und katholische Christen den Weg in die Zukunft, Seite an Seite. Wir nehmen uns vor, unerschrocken und schöpferisch, freudig und hoffnungsvoll die große Reise fortzusetzen, die vor uns liegt. Mehr als alle Konflikte der Vergangenheit wird Gottes Gabe der Einheit unter uns die Zusammenarbeit und Solidarität vertiefen. 

Indem wir uns im Glauben an Jesus Christus näher kommen, in dem wir miteinander beten, indem wir aufeinander hören und Christi Liebe in unseren Beziehungen leben, öffnen wir uns der Macht des dreieinigen Gottes. Wir, Lutheraner und Katholiken, wollen als Reben an dem einen wahren Weinstock Frucht bringen. In Christus verwurzelt und ihn bezeugend wollen wir gemeinsam treue Boten von Gottes Liebe für die ganze Menschheit sein. 

Amen. 

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen in Christus Jesus. Amen. 

(Der Ökumenische Gottesdienst zum Reformationsgedenken wurde nach der Gottesdienstvorlage der lutherisch/römisch-katholischen Kommission für die Einheit „Vom Konflikt zur Gemeinschaft“ gestaltet.)

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