Predigt im Gottesdienst: 2. Sonn-tag nach Epiphanias (15. Januar 2014)

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St. Johannis, Rödental

Predigt:
Pfarrer
Jörg Mahler

"Therapie zur Lebensfreude"

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Der heutige Predigttext steht im Hebräerbrief im  12.Kapitel, die Verse 12 bis 15 und 22 bis 25:
Darum stärkt die müden Hände und die wankenden Knie und macht sichere Schritte mir euren Füßen, damit nicht jemand strauchle wie ein Lahmer, sondern vielmehr gesund werde. Jagt dem Frieden nach mit jedermann und der Heiligung, ohne die niemand den Herrn sehen wird, und seht darauf, dass nicht jemand Gottes Gnade versäume; dass nicht etwa eine bittere Wurzel aufwachse und Unfrieden anrichte und viele durch sie unrein werden.  Denn ihr seid nicht gekommen zu dem Berg, den man anrühren konnte und der mit Feuer brannte, und nicht in Dunkelheit und Finsternis und Ungewitter. Sondern ihr seid gekommen zu dem Berg Zion und zu der Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, und zu den vielen tausend Engeln und zu der Versammlung und Gemeinde der Erstgeborenen, die im Himmel aufgeschrieben sind, und zu Gott, dem Richter über alle, und zu den Geistern der vollendeten Gerechten und zu dem Mittler des neuen Bundes, Jesus, und zu dem Blut der Besprengung, das besser redet als Abels Blut.  Seht zu, dass ihr den nicht abweist, der da redet. 

Liebe Gemeinde!

Der Einstieg unseres Predigttextes gefällt mir:

Darum stärkt die müden Hände und die wankenden Knie und macht sichere Schritte mit euren Füßen, damit nicht jemand strauchle wie ein Lahmer, sondern vielmehr gesund werde. 

Ich denke bei diesen Worten an jemanden, der gerade erst eine Knie- oder Hüftoperation hinter sich gebracht hat: Durch das Liegen im Krankenbett haben die Muskeln etwas abgebaut. Jetzt gilt es, die wankenden Knie zu stärken: langsam wieder lernen aufzutreten, und Knie und Gelenke zu belasten. Die Physiotherapeutin hilft, wieder sichere Schritte zu machen, damit nicht jemand strauchle, sondern vielmehr gesund werde. Wir wissen nicht, welcher Apostel den Hebräerbrief geschrieben hat. Jedenfalls hat er genau beobachtet, wie jemand wieder lernt, sichere Schritte zu tun. Und er weiß genau, dass dazu auch der Wille notwendig ist. Ich kenne ältere Menschen, die waren nach dem Sturz oder der OP einige Zeit im Rollstuhl, und dachten, es würde von selbst wieder mit dem Laufen. Viel zu spät haben sie mit dem Training begonnen, und manch einer hat es deswegen nicht mehr geschafft, sich auf eigenen Füßen fortzubewegen. Man muss es wollen und etwas dafür tun. Deshalb die Mahnung: Stärkt die müden Hände und die wankenden Knie.

Natürlich spricht der Apostel nicht von körperlichen Einschränkungen, sondern bezieht dieses Bild auf das Leben überhaupt und auch auf den Glauben. Er wird konkrete Menschen der Gemeinde vor Augen haben und sieht: Da gibt es etwas, das diesen und jenen lähmt. Im Leben und im Glauben gibt es Dinge, die einen Menschen zum Straucheln bringen, so dass dieser Mensch gestärkt werden muss, bevor es zu spät, und er nicht mehr aufkommt. Jedem von uns werden da genug Beispiele einfallen, aus unserem eigenen Leben oder dem anderer: die Erfahrung, plötzlich arbeitslos zu sein und nicht mehr gebraucht zu werden, der Tod des Partners oder sogar des Kindes, der verarbeitet werden muss, das Gefühl, dass alles im Leben zuviel wird, der Zweifel daran, dass Gott es wirklich gut mit mir meint oder die Macht hat, helfend einzugreifen.

Vieles kann uns zum Straucheln bringen. Es braucht dann den eigenen Willen, um wieder auf die Beine zu kommen, genauso wie es bildlich gesprochen den Physiotherapeuten braucht, also andere Menschen, die sich derer mit wankenden Knien und strauchelnden Schritten annehmen. Stärkt die müden Hände und die wankenden Knie! Der Apostel schreibt das der ganzen Gemeinde ins Herz. Denn zur christlichen Gemeinschaft gehört das Eintreten und die Verantwortung füreinander. Er ermuntert dazu, sich selbst zu bemühen, der bedrückenden Situation zu entkommen, und zugleich sich gegenseitig zu stärken und aufzuhelfen. Niemand soll auf der Strecke liegenbleiben!

Darum gibt der Apostel auch einige Therapietipps weiter. Zwei von ihnen möchte ich näher betrachten.

Der erste Tipp lautet:

Jagt dem Frieden nach! Diese Aufforderung ist für diejenigen gedacht, die Unfrieden sehen, unter Unfrieden leiden oder vielleicht sogar selbst Unfrieden stiften. Unfriede kann einen stark belasten. Wenn man mit Kollegen oder Nachbarn im Clinch liegt, ihr Präpis und Konfis vielleicht mit euren Eltern oder Lehrern. Da gibt ein böses Wort das andere, ein aggressiver Blick folgt dem anderen. Allein der Gedanke an den Konflikt läßt einen manchmal nicht schlafen. Und oft gibt es unausgesprochenes, das zwischen einem selbst und dem anderen steht: Es herrscht kein Krieg, aber doch ist die Beziehungen nicht im Reinen.

Nach Frieden in den Beziehungen zu seinen Mitmenschen wird sich wohl jeder sehnen. Und doch ist Friede etwas, das nicht immer von selbst kommt, sondern für den man etwas tun muss und tun kann.

Manchmal machen es die anderen uns nicht leicht mit dem Frieden; und manchmal machen auch wir es den anderen nicht leicht, wenn wir auf unseren Positionen bestehen. Kompromisse zu finden ist oft ein schwieriges Geschäft, und noch mehr, zu vergeben und zu vergessen. Und doch ist das der Weg, den Jesus gegangen ist. Manchmal muss man etwas durchsetzen, und kann seine Position nicht aufgeben. Aber es ist trotzdem wichtig, in Liebe miteinander umzugehen. Erst recht, wenns der andere nicht tut. Und auch einmal über seinen Schatten zu springen. Jagt dem Frieden nach, fordert uns der Apostel auf: Beim Wort jagen, da denke ich an den Jäger: Der ist auf der Lauer nach seiner Beute. Unsere Beute ist der Friede. Legen wir uns auf die Lauer, schaun wir, ob das, was wir tun und wie wir es tun, dem Frieden dient. Setzen wir uns den Frieden zu unseren Mitmenschen als Ziel, und tun wir unser Möglichstes dafür. Und helfen wir anderen, auch diesen Frieden zu finden. Indem wir vermitteln, indem wir Verständnis wecken, indem anregen, die eigenen Positionen zu hinterfragen. Jagt ganz aktiv dem Frieden nach, das ist der erste Therapietipp des Apostels, um im Leben wieder aufzukommen. Diese Therapie ist zu wählen, wenn uns Unfriede bedrückt.

Einen zweiten Therapietipp des Apostels möchte ich mit Ihnen bedenken.
Er schreibt der Gemeinde: Seht darauf, dass nicht jemand Gottes Gnade versäume.

Ihm ist es wichtig, dass möglichst jeder in seinem Leben erfährt, wie gnädig Gott uns zugewandt ist. Ich weiß, dass das auch das Anliegen vieler Eltern und Großeltern ist, dass nämlich die Kinder und Enkel nicht ohne Gott leben, sondern vielmehr erkennen und im eigenen Leben erfahren, dass Gott einer ist, der dich trägt, wenns dir schlecht geht. Der dich durchs dunkle Tal hindurchführt und dir immer wieder Zukunft schenkt. Aber genauso: Dass Gott der ist, der dein Leben segnet, der dir viel Gutes schenkt: Menschen, die dich mögen, deine Arbeit, dein täglich Brot, viele Freuden im Leben. Und schließlich: dass Gott der ist, der dich nicht auf deine Fehler festnagelt, sondern der sich selbst hat festnageln lassen am Kreuz, um dir zu zeigen, dass er vergibt, und du bei ihm und im Leben neu anfangen kannst.

All das und noch viel mehr macht sie aus, die Gnade Gottes. Der Apostel möchte, dass alle an dieser Gnade teilhaben, dass niemand sie verpasst. Denn glücklich ist der, der um diese Gnade weiß und sie erlebt. Gerade die Paten versprechen es ja bei der Taufe: nämlich ihr Patenkind bekannt zu machen mit diesem gnädigen Gott. Leider sagen manche ihr Taufversprechen in der Kirche leider einfach nur so dahin. Es gibt aber auch das andere: Dass Eltern ihre Kinder zum Kigo bringen, dass der Pate eine Kinderbibel schenkt und daraus vorliest, dass die Oma ihren Enkel zum Gottesdienst mitnimmt, dass der Bruder für seine Schwester betet. Und es geschieht, dass Kinder durch unsere Kindergärtnerinnen, durch den Religionsunterricht in der Schule oder auch durch den Präper- und Konfiunterricht ihren Glauben gestärkt bekommen, dass sie ganz neu und anders anfangen zu Gott zu beten, und ihn mit in ihr Leben hineinnehmen. Und dass jemand, der längst der Kirche den Rücken gekehrt hatte und ausgetreten war, wieder dazugehören möchte zur Gemeinschaft derer, die mit ihrem Gott unterwegs sind. Gott sei Dank geschieht das immer wieder, und vielleicht häufiger als man denkt.

Es gibt Zeiten, da wendet sich ein Mensch vom althergebrachten ab, auch vom Glauben. Und es gibt Zeiten und Lebenssituationen, wo man dem Glauben wieder neu begegnet und ihn schätzen lernt. Bei jedem Menschen in ganz unterschiedlichem Alter. Und oft liegt dies daran, dass es eben Menschen gibt, die bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen etwas aufbrechen, in Bewegung bringen oder sogar zum Vorbild werden. Gott wirkt durch uns. Dazu heißt es: Seht darauf, dass nicht jemand Gottes Gnade versäume. Diesem Auftrag unseres Apostels kommen viele unter uns von Herzen nach: in den Kindergärten, in den Familien, in den Seniorenheimen. Natürlich können wir den Glauben nicht machen, das macht ein anderer, nämlich der Geist Gottes. Aber wir können ihm den Weg bereiten.

Zwei der Therapietipps des Apostels haben wir uns näher angeschaut. Und noch weitere gibt er uns mit. Warum tut er das?Sicherlich, damit jeder festen Schrittes durch den Glauben und das Leben gehen kann.

Der Apostel aber hat noch eine weitere Antwort parat, warum er uns diese Tipps gibt. Er weist uns auf den Grund dessen hin, warum wir überhaupt füreinander Verantwortung übernehmen, und warum jedes einzelne Leben kostbar ist:

Er schreibt:
Ihr seid gekommen zu dem Berg Zion und zu der Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, und zu den vielen tausend Engeln und zu der Versammlung 
und Gemeinde der Erstgeborenen, die im Himmel aufgeschrieben sind, und zu Gott, dem Richter über alle, und zu den Geistern der vollendeten Gerechten  und zu dem Mittler des neuen Bundes, Jesus, und zu dem Blut der Besprengung.

Der Apostel zählt in großer Begeisterung auf, wozu und zu wem wir als Christen gehören. Er weist uns auf unsere Bürgerschaft hin: nicht auf die Staatsbürgerschaft, sondern auf unsere Himmelsbürgerschaft. Als ob wir einen Himmelspass hätten. Als Himmelspass könnte man vielleicht dieses Dokument hier bezeichnen, die Taufurkunde für Anabelle Klaus, die wir gleich nach diesem Gottesdienst taufen werden. Die Taufurkunde ist so etwas wie ein Himmelspass, denn spätestens in der Taufe hat Gott uns in seine Bürgerschaft aufgenommen.

Ein Pass ist wichtig, v.a. wenn man im Ausland unterwegs ist. Als ich in der Ukraine gelebt habe, da hatte ich immer meinen Pass dabei, und die Notfalltelefonnummer der Botschaft. Ich wußte: Wenn etwas passiert, oder ich Probleme bekomme, dann kann ich die Botschaft anrufen, und die wird Hilfe leisten. Als Bürger mit dem Himmelspass weiß ich: Ich habe auch einen, der Hilfe leistet, der zu mir steht, egal was kommt. Das schenkt eine große Gelassenheit.

Unter uns leben viele Menschen, die in anderen Ländern geboren sind und kulturell anders geprägt sind. Je länger die Familien hierleben, desto mehr geht in den meisten Fällen die eigene Sprache und Kultur verloren. Die Enkel der türkischen Einwanderer können manchmal schon kein türkisch mehr, genauso wie manche Kinder mit russlanddeutschem Hintergrund in meinen Schulklassen kein Russisch mehr können. Manche verstehen die Sprache noch, können sie aber nicht mehr sprechen oder schreiben. Es ist sehr gut, wenn  die Integration funktioniert! Es ist aber genauso gut, wenn man noch ein Gefühl für seine Herkunft hat.

In den Gemeinden, an die der Hebräerbrief gerichtet ist, will der Apostel den Christen ihre himmlische Beheimatung in Erinnerung rufen, damit das Gefühl für Gott und den Himmel nicht im Laufe des Lebens verloren geht: Ihr seid ganz Mensch hier auf der Erde, und zugleich seid ihr Bürger des Himmels. Und das ist ein Grund zur Freude!

Gewiß, er hat uns einige Ermahnungen mit auf den Weg gegeben, wie sie sich selbst und gegenseitig stärken und aufrichten können und sollen. Aber all das ist eingebettet in eine große Freude. Sie deutet er an mit den Worten:

„Ihr seid gekommen zu dem Berg Zion“ – mitten unter euch auf der Erde ist Gott anwesend, wie damals auf dem alttestamentlichen Gottesberg. Deshalb darf euer Leben auch immer wieder ein Fest sein, wie damals, als Jesus diese Hochzeit in Kana mitgefeiert hat und Wasser zu Wein verwandelte.

Und: „Ihr seid gekommen zum himmlischen Jerusalem“ – durch euer himmlisches Bürgerrecht werdet ihr einmal dabei sein, wenn alle Engel zusammen mit der Gemeinde Gottes und zusammen mit Gott dem Vater und Jesus Christus das himmlische Freudenfest feiern.

Johann Casimir, der Coburger Herzog, wollte davon etwas sichtbar machen hier in unserer Kirche. Die Älteren werden sich erinnern: Vor 1950 war unsere Kirche halb so lang, und das Gemeindeschiff war quadratisch geformt, so wie es vom himmlischen Jerusalem erzählt wird. Johann Casimir hat Edelsteinimitationen an die Emporen anbringen lassen, in Anspielung auf die 12 Arten von Edelsteinen, mit denen das himmlische Jerusalem ausgeschmückt ist. Für die Menschen damals muss es etwas Besonderes gewesen sein, aus dem meist tristen und harten Alltag diese Kirche zu betreten, einzutreten in einem Raum, der das himmlische Jerusalem symbolisch widerspiegelt. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie angesichts dieser Edelsteine, der fröhlichen bunten Bilder, der schlichten Pracht unserer Kirche ein Gespür davon bekommen haben, was es heißt, Bürger des Himmels zu sein. Und ich kann mir gut vorstellen, dass sie gestärkt und mit der Freude im Herzen wieder hinausgezogen sind.

Nichts anderes wünscht sich auch der Apostel: Dass wir als Christen diese Freude im Herzen tragen: Wir gehören zu unserem Gott und sind ihm wertvoll. Wir und unsere ganze Gemeinschaft. Und deshalb stützen wir uns gegenseitig, jagen wir dem Frieden nach und tragen die Gnade Gottes weiter. Er hat das Ziel seines Briefs erreicht, wenn wir diese Erkenntnis als Schatz in uns tragen, als Schatz, der uns und durch uns andere froh macht. Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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