Pfingstgottesdienste am 4. und 5. Juni 2017

Bildrechte beim Autor

AWO, St. Johannis
Oberwohlsbach, Curanum

Predigt:
Diakon Günther Neidhardt

"Die gute Nachricht"

Liebe Gemeinde, 

Heute ist Pfingsten. Das Fest der ungewöhnlichen Ereignisse. 

Und so beginne ich heute, vielleicht auch etwas ungewöhnlich, mit einer Kindergeschichte. (Die Geschichte ist übrigens nicht von mir). Eine Kindergeschichte, aber vielleicht ist es ja nicht nur eine Kindergeschichte. 

»Du bist ein Feigling«, hat Papa zu Michael gesagt. Das kann Michael nicht vergessen, und deshalb schläft er auch nicht ein. ›Ich bin doch gar kein Feigling! Paul ist bloß größer und stärker. Er geht ja auch schon in die zweite Klasse.‹ Auf dem Schulweg hat Paul Michael geschubst, Michael ist hingefallen, seine Hose ist kaputt gewesen, das Knie aufgeschlagen. (…) 

›Das Schlimmste aber ist: Ich habe jetzt Angst. Wenn Paul und die anderen Kinder mich ansehen, dann spüre ich, dass sie denken, ich sei ein Feigling, wie Papa das gesagt hat.‹ Michael schläft endlich und träumt, dass er größer ist als Paul. Auf dem Schulweg geht er auf einmal mit großen, ruhigen Schritten, alle machen ihm Platz und sind nett zu ihm. Da sieht er, wie Paul ein kleines Mädchen schubst. Gleich stellt Michael sich vor Paul hin. Der lässt das Mädchen sofort in Ruhe und rennt schnell weg. Im Traum hat Paul Angst vor Michael, nicht umgekehrt. Am nächsten Morgen guckt Michael in den Spiegel. ›Jetzt bin ich wieder klein und könnte niemandem helfen, nicht einmal mir selbst. Hätte ich doch einen Freund, der so groß und stark ist wie ich im Traum!‹ Plötzlich taucht neben ihm ein größerer Junge auf. Der geht sicher schon in die dritte Klasse und sieht fast aus wie Michael, nur nicht so ängstlich, sondern ganz entschlossen, als ob er genau wüsste, was er will. »Wer bist du?«, fragt Michael ganz erstaunt. »Ich bin Ichmael, dein bester Freund«, sagt der fremde und gleichzeitig so vertraute Junge. »Ich hab dich doch noch nie gesehen«, stottert Michael. Ichmael lacht leise: »Ich glaube doch! Oder erinnerst du dich nicht an deine Träume?« Jetzt fällt es Michael wieder ein. Deshalb steht er ja vor dem Spiegel, weil er hat nachsehen wollen, ob er wirklich über Nacht gewachsen ist, wie er es geträumt hat. »Ichmael, das ist fast mein Name«, sagt Michael. Der Junge nickt: »Ich bin ja auch fast wie du. Nur älter und stärker.« Und cooler, denkt Michael, aber das sagt er nicht. Dafür hat er viele Fragen: Was macht Ichmael hier? Wo kommt er her? Muss er nicht zur Schule? Ichmael lacht wieder, als er diese Fragen hört. Klar geht er mit Michael zur Schule. Wo er lebt? Hier und da – dabei deutet er auf Michaels Stirn und Brust. »Ich bin bei dir, wenn du mich brauchst«, verspricht er. (…) »Du bist nicht feige, du weißt nur nicht, was in dir steckt«, sagt Ichmael, als könnte er Gedanken lesen. (…)« 

(Lotte Kinskofer/Verena Ballhaus, Gemeinsam bin ich stark, Zürich 2008) 

Es braucht nicht allzu viel Phantasie, um sich auszumalen, wie die Geschichte weitergeht. 

Hier geschieht das, was sich viele, vor allem schüchterne und ängstliche Kinder wünschen: Einen unsichtbaren Begleiter, der sie vor den Anfeindungen der Starken beschützt und sie selber stark macht. 

Aber es sind ja nicht nur Kinder, die oftmals eine ermutigende und stärkende Begleitung brauchen. Auch Erwachsenen kann es so gehen. Auch uns geht es manchmal so. 

Und ja, auch wir kennen die Erfahrung, dass es uns in schwierigen Situationen hilft, wenn wir wissen: Da denkt jemand an mich. Schon der Gedanke, dass der andere an einen denkt, kann Kraft geben. Kann stärken dann, wenn wir Kraft brauchen. Vor Prüfungen, wenn eine Operation ansteht, vor schwierigen Gesprächen. Die Vorstellung von einer unsichtbaren Begleitung ist gar nicht so ungewöhnlich. Spiegelt sich darin doch das Bedürfnis oder die Sehnsucht, in schweren Zeiten nicht allein zu sein. 

Hören Sie jetzt einen Abschnitt aus dem Johannesevangelium, (unseren Predigttext) in dem Jesus seinen Jüngern zum Abschied einen solchen Begleiter verspricht. 

Textlesung: Joh 16,5–15 (Gute Nachricht) 

Jesus spricht: Jetzt gehe ich zu dem, der mich gesandt hat. Doch niemand von euch fragt mich, wohin ich gehe. Ihr seid nur traurig, weil ich euch dies alles gesagt habe. Aber glaubt mir, es ist gut für euch, dass ich fortgehe; denn sonst wird der Helfer nicht zu euch kommen. Wenn ich aber fortgehe, dann werde ich ihn zu euch senden und er wird meine Stelle einnehmen. Wenn er kommt, wird er gegen die Welt auftreten. Er wird den Menschen zeigen, was Sünde ist und was Gerechtigkeit und was Gericht. Die Sünde besteht darin, dass sie mich ablehnen. Die Gerechtigkeit besteht darin, dass Gott mir Recht gibt; denn ich gehe zum Vater und ihr werdet mich nicht mehr sehen. Das Gericht aber besteht darin, dass der Herrscher dieser Welt schon verurteilt ist. Ich hätte euch noch vieles zu sagen, doch das würde euch jetzt überfordern. Aber wenn der Helfer kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch anleiten, in der vollen Wahrheit zu leben. Was er euch sagen wird, hat er nicht von sich selbst, sondern er wird euch nur sagen, was er hört. Er wird euch jeweils vorbereiten auf das, was auf euch zukommt. Er wird meine Herrlichkeit sichtbar machen; denn was er an euch weitergibt, hat er von mir. Alles, was der Vater hat, gehört auch mir. Darum habe ich gesagt: Was der Geist an euch weitergibt, hat er von mir.« 

Liebe Schwestern und Brüder, 

zugegeben, das ist ein Text den man, wenn man ihn das erste Mal liest nur„ Bahnhof“ versteht. Zumindest mir ging es so. Gehen wir ihn also gemeinsam und langsam durch, sozusagen noch mal, zum mitschreiben. 

Jesus kündigt seinen Jüngern an, dass er nicht mehr lange unter ihnen sein wird. Dass die gemeinsame Zeit zu Ende gehen wird. Das verunsichert die Jünger zutiefst. Soll es das jetzt gewesen sein? Ausgerechnet der, auf den sie alle Hoffnung setzten, lässt sie im Stich. Ausgerechnet der, dem sie ihr ganzes Leben anvertraut haben, der ihnen Orientierung gab, den richtigen Weg wies, ausgerechnet der wird sie so enttäuschen. 

Vielleicht kennen sie diese Erfahrung auch: Von jemanden verlassen werden, enttäuscht, verraten und verkauft. Ausgerechnet der/die lässt mich jetzt im Stich. 

Und wahrscheinlich ging es ihnen, geht es uns dann nicht anders als den Jüngern: Da ist Trauer über den Verlust, ein Gefühl der Verlassenheit, Resignation. Und auch die Jünger werden sich gefragt haben: Und was jetzt. Zurück ins alte Leben, wahrscheinlich werden wir allerhand Häme zu hören, zu spüren bekommen: „Wir haben es ja gleich gewusst, ………. 

Wie viel einfacher war doch ein Leben mit Jesus, mit dem leibhaftigen Jesus. 

Das alles sieht Jesus sehr wohl. Er weiß, wie es den Menschen, die ihm nahestehen, in der Situation des Abschieds geht. 

Dennoch behauptet er: „Es ist gut für euch, dass ich weggehe.“ Wie ist das gemeint? 

Ich glaube, mit diesem „Es ist gut für euch, dass ich weggehe“, gibt Jesus Verantwortung weiter. Es ist Zeit, dass die Jünger selbst Verantwortung tragen, aus dem Schatten ihres Meisters heraustreten, selbst im Glauben mündig und sprachfähig zu werden (das eigentliche Pfingstereignis hat ja dann auch tatsächlich viel mit Sprache bzw. Sprachfähigkeit zu tun). Der Glaube, das Entstehen der christlichen Gemeinde, ja der Bau der weltweiten Kirche kann ja nur so wachsen, weitergetragen werden, indem die Anhänger Jesu, die Christen selbst, Jesu Werk, seine Lehre und seine Liebe weitergetragen haben und noch weitertragen. 

Ich denke wir können diesen Schritt der Ablösung, des selbstständig werden, ganz gut nachvollziehen, wenn wir an unsere heranwachsenden Kinder denken. Kinder, die sich von der Geburt an immer mehr von ihren Eltern lösen. Selbstständig werden, Verantwortung für sich selbst übernehmen. Das sind manchmal schmerzhafte Prozesse (besonders in der Phase der Pubertät) aber eben wichtig und unvermeidbar. 

Gleiches gilt für Trauernde, die nach einer Zeit wieder den Weg ins Leben finden, Menschen die nach einer Trennung ihr Leben wieder selbst in die Hand nehmen. 

Und Jesus? Der lässt seine verunsichterten, traurigen Freunde und Freundinnen nicht allein zurück. 

Ich will euch einen „Helfer“ senden „……Aber glaubt mir, es ist gut für euch, dass ich fortgehe; denn sonst wird der Helfer nicht zu euch kommen. Wenn ich aber fortgehe, dann werde ich ihn zu euch senden und er wird meine Stelle einnehmen. ….“ 

Helfer, so wird der Heilige Geist in der Übersetzung der guten Nachricht genannt. Tröster, so übersetzt Martin Luther. Man könnte diesen Geist auch mit "der Herbeigerufene" oder mit "der Fürsprecher", mit "Beistand" oder mit "Ermutiger" übersetzten. 

Alles Begriffe die uns sagen: Du bist nicht allein gelassen. Der Geist, der Heilige Geist ist die Verbindung der Vergangenheit des Lebens und Wirkens Jesu mit der Gegenwart und Zukunft seiner Nachfolger. Bis heute. Im Heiligen Geist ist Jesus gegenwärtig. Bis heute. 

Damit sind wir beim Kernpunkt des christlichen Glaubens angelangt. Denn hier geht es um die unsichtbare Welt des Glaubens und die Beziehung zu Jesus (den wir nicht leibhaftig sehen) durch die tröstende, leitende, lehrende und ermutigende Gegenwart des Hl. Geistes. (Paraklet nennt ihn Johannes). Mit ihm setzt sich die Geschichte Jesu fort. Mit ihm können und sollen wir die Verantwortung für uns und für die Welt übernehmen. Mit ihm können und sollen wir die Botschaft Gottes in die Welt tragen. Dazu ist uns dieser Helfer, Tröster, Fürsprecher, Begleiter, Ermutiger zur Seite gestellt. Kein schlechter Weggenosse, wie ich meine. 

Wir feiern heute Pfingsten, den Geburtstag der Kirche, das Fest der wahrhaft ungewöhnlichen Ereignisse. Das Fest des Heiligen Geistes, dem unsichtbaren Freund an unserer Seite (wie es in der Kindergeschichte erzählt wird). Das Fest der Eigenständigkeit. Schließen wir mit einem (bekannten) Gedicht von Herrmann Hesse: 

„Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
der uns beschützt und der uns hilft zu leben“ 

Allein gelassen sind wir dabei nie. 

Amen

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