Gottesdienste am Heiligen Abend - 24. Dezember 2014

Bildrechte beim Autor

St. Johannis

Predigt:
Pfarrer Jörg Mahler

"Wo Gott zu Hause ist"

Gäste an der Krippe (Anspiel vor der Predigt):

Jeder, der heute Weihnachten feiert und zum Jesuskind in der Krippe kommt, bringt dabei seine eigene Lebenssituation, seine eigenen Gefühle, Erfahrungen, Erlebnisse und Herausforderungen mit.

Hören wir drei Menschen, die heute zur Krippe kommen.

Der Suchende:

Hallo ihr Lieben! Eigentlich ist bei mir wäre alles in Ordnung: ich habe eine gute Arbeit, Familie, Kinder, Freunde und Hobbys, die mir Spaß machen. Aber dieses Jahr im Juli habe ich das erste mal gemerkt, dass es alles zuviel ist, was ich um die Ohren habe. Hier, in meinem Smartphone, da habe ich all meine Termine drin, auch die privaten Verabredung, und oft klingelt es mich von einem zum Nächsten. Ich brauche Entschleunigung, muss mal runterkommen.

Und dann war da die Hochzeit einer guten Bekannten. Im Gottesdienst waren so schöne Texte und Lieder, die haben etwas in meiner Tiefe angerührt. Ich habe gespürt: Ich mache zwar viel im Leben, aber das meiste nur oberflächlich. Seitdem bin ich auf der Suche nach einer Tiefe.

Diese Hochzeit hat mich auch ganz neu mit Gott konfrontiert. Ich will es wagen und nach ihm suchen. Ich habe mir fest vorgenommen, jeden Tag einen kleinen Moment die Stille zu suchen, und in ihr Gott. „In der Ruhe liegt die Kraft“, sagt man. Ich weiß nicht, was sich verändern wird, aber vielleicht finde ich ja meine Mitte neu, und alles andere bekommt von daher seine Wertigkeit.

Deshalb komme ich heute an Weihnachten zur Krippe, beginne heute mit der Stille. Ich bringe dem Christuskind als Geschenk mein Smartphone mit all meinen Terminen. Diesen Stress will ich abgeben, und von der Krippe Ruhe und Frieden mitnehmen. Und danach freue ich mich schon auf die Bescherung, die leuchtenden Augen unserer Kinder und das leckere Festessen.

(geht zur Krippe und legt das Smartphone hinein)

Ich schenke Dir Zeit, und damit auch mir selbst!!

Der Flüchtling:

Ich bin mit meiner Familie vor dem Krieg aus meiner Heimat geflohen. Anfangs hatten wir noch ein paar Koffer dabei, aber dann mussten wir auch das zurücklassen. Schon seit ein paar Wochen sind wir nach vielen Zwischenstationen hier in Rödental angekommen. Ich weiß: Gott hat uns geholfen, den Kämpfen zu entkommen, und hierher an diesen guten Ort zu gelangen. Wir haben uns sofort willkommen gefühlt: Viele hier haben uns geholfen, uns mit Gläsern, Tellern und Besteck ausgestattet, ein gebrauchtes Sofa gebracht und sogar einen Computer. So konnten wir uns einigermaßen gut einrichten. Und v.a. unsere Kinder fühlen sich wohl: Über den Fußball haben sie schon Freunde gefunden, und wir sind mit deren Eltern bekanntgeworden. Und auch zur Kirchengemeinde haben wir Kontakt, und bekommen Hilfe bei Behördengängen und bei der Eröffnung eines Kontos.

Besonders beeindruckt mich die große Hilfsbereitschaft in eurem Land deswegen, weil ich kein Christ bin, und ihr dennoch so gut mit mir umgeht. Nein, keine Angst, ich und meine Familie, wir wollen nicht ewig bleiben. Dort in Syrien ist unsere Heimat: Wir haben da ein kleines Häuschen, der Berg und der Wald direkt vor der Türe. Wir sind mit unserer Heimat eng verbunden, und hoffen, dass die Rückkehr bald wieder möglich wird.

Heute an Weihnachten, da komm ich auch zur Krippe, will mich verneigen vor Jesus, den ihr Gottessohn nennt, ihm Ehre bezeugen für all das Gute, was mir in diesem christlichen Land widerfahren ist.

(Geht zur Krippe, verneigt sich).

Schenken kann ich dir nichts, aber ich verspreche Dir: ich will auch gastfreundlich sein, wenn Fremde zu mir kommen, sie in mein Heim aufnehmen, damit sie nicht wie du in einen Stall müssen.

Der Einsame:

Ich freue mich, dass ich dieses Jahr das Weihnachtsfest ein einer schönen Runde im Gemeindezentrum von St. Johannis feiern kann, mit leckerem Wildschwein und anderen Köstlichkeiten. Ihr müsst wissen: Seid mein Ehepartner tot ist, bin ich sehr viel alleine. Ja, Kinder habe ich, sogar drei, aber die wohnen alle weit weg, und ich seh sie selten. Die Gemeinde ist so ein bisschen meine Heimat geworden. Ich bin froh, hier Anschluss zu finden: Ab und an komme ich zu Veranstaltungen und fühle mich wohl.

Ja, und da sind auch noch meine finanziellen und gesundheitlichen Sorgen: ich habe nie viel verdient, und die Miete frisst das ganze bisschen Geld auf. Und mit dem Rücken und dem Laufen habe ich auch Probleme. Na, da muss ich durch, jammern hilft ja nichts. Aber es tut mir gut, dass mir hier Menschen ab und an etwas sagen, das mir gut tut, dass sie mich wahrnehmen. Klar können die keine Rundumbetreuung bieten, die brauche ich auch gar nicht. Aber es ist einfach schön zu wissen, wo ich nette Menschen finde. Und so komme ich heute dankbar zur Krippe, zu Dir Jesus.

(geht zur Krippe)

Du schenkst mir eine Gemeinschaft in der Gemeinde, die gut tut. Du führst Menschen zusammen. Zum Dank bringe ich Dir nur eine kleine Gabe, ich habe ja nicht viel. In dieses „Brot für die Welt-Tütlein“ habe ich ein paar Euro gelegt, und ich weiß, dass sie den wirklich Armen zu Gute kommen.

Predigt:

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, und die Liebe Gottes, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen. Amen.

1. Wo Gott zu Hause ist…

Liebe Gemeinde!

In der Grundschule habe ich meine 4.Klasse gefragt: „Wo wohnt Gott?“. Und die erste spontane Antwort lautete: „im Himmel“. Und richtig: In dem Gebet, das Jesus uns gelehrt hat, reden wir Gott genau so an: Unser Vater, der du bist im Himmel! Wir wissen nicht sicher, ob er dort von großen Engelsscharen umgeben ist oder nicht. Jedenfalls ist er ein Gott, der Kontakt will und in Beziehung leben möchte. Und so hat er vor langer Zeit uns Menschen als sein Gegenüber geschaffen: Er gab uns die Freiheit, unser Leben selbst in die Hand zu nehmen und zu gestalten, und er gab uns den Auftrag, diese Welt als großen Garten zu sehen und sie zu bebauen und bewahren.

Der Mensch ist die Krone der Schöpfung. Doch zugleich ist er anfällig für Selbstüberschätzung, Ichbezogenheit und Eifersucht auf andere. Das machte schon Adam und Eva des Paradieses verlustig, und deshalb geschah schon auf der vierten Seite der Bibel der erste Mord von Kain an seinem Bruder Abel. Seitdem leidet Gott an uns Menschen. Und er leidet mit uns Menschen. Er sieht Krieg und Terror. Er sieht, wie manche meinen, ihre Machtsphären ausbreiten zu müssen, wobei ihnen andere im Wege sind. Er sieht, wo Menschen einsam und hoffnungslos sind, wo jemand Lasten zu tragen und Angst vor der Zukunft hat. Und er leidet mit den Tieren und der Natur bei all dem, was ihnen angetan wird.

Was kann Gott da tun? Die Welt fortan selbst lenken wie ein großer Marionettenspieler, damit alles gut wird? Nein, er will dass unsere Freiheit und Eigenverantwortlichkeit erhalten bleibt. Aber auch Gebote halfen nicht, das hatte er schon durch Mose probiert. Und so hat Gott einen Hilfs- und Rettungsplan entwickelt, ähnlich wie es die UNO heute in Krisengebieten tut: In der Mitte der Zeit fasst Gott seinen himmelbrechenden Entschluß: nämlich Mensch zu werden, als Mensch den Menschen begegnen. Die Menschen brauchen ein Beispiel, brauchen ihn selbst, zu dem sie Vertrauen aufbauen können. Und das wird sie verwandeln.

Und so ließ er es Weihnachten werden und kam hinein in unsere Welt: Gebären ließ er sich als hilfloser Säugling. Und das nicht in einem guten Haus mit besten hygienischen Bedingungen, sondern in einem Stall und auf Stroh wurde er gebettet. Sein Weg wird ihn zum Kreuz führen, den Ort, an dem Schwerverbrecher ihr Leben aushauchen: Die Krippe und das Kreuz sind aus demselben Holz geschnitzt, Zeichen dafür, dass Gott hinein in die tiefsten Tiefen unser Welt kommt, und mit uns Freude und Leid teilt.

Wo ist Gott also zu Hause?

Seit Weihnachten ist er nicht mehr im Himmel zu Hause, seit Weihachten ist er mitten unter uns in unserer Welt. Wir finden ihn im Kind in der Krippe, und wir können ihm mitten im Leben begegnen. Und von der Begegnung mit ihm geht eine heilende Kraft aus.

Das wird schon an den Gästen deutlich, die damals und heute zur Krippe kommen, um seine Geburt zu feiern. Sie begegnen Gott und zugleich erleben sie seine heilende Kraft.

2. Gäste an der Krippe:

Da sind zuerst die Hirten. Sie lauschen staunend der Stimme des Engels über den Feldern bei Bethlehem, der mitten in ihrer Nacht von Freude, Friede und der Geburt des Heilands kündete. Das müssen sie sehen und eilen zur Krippe.

Dort angekommen geben sie sofort der staunenden Maria die Engelsworte weiter. Lukas schreibt: „Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen!“. Die Worte behalten und im Herzen bewegen, das ist eine wunderschöne Formulierung: Die Worte behalten heißt: Nicht durchs eine Ohr rein und durchs andere Ohr raus. Den Worten Raum geben, sie aufnehmen, sie in sich festhalten. Und die Worte im Herzen bewegen heißt: das eigene Leben mit dem Gehörten zusammenbringen. So entsteht ein Prozess, in dem diese Worte in mein Leben hinein zu sprechen beginnen.

Auch die Hirten haben diese Worte des Engels in ihrem Herzen bewegt, und das hat sie verwandelt: Denn als sie wieder umkehrten, priesen und lobten Gott für alles, was sie gesehen und gehört hatten.

Ähnlich erging es vorhin einem unserer heutigen Gäste, der zur Krippe zu unserem Altar kam: Er kam wie die Hirten aus dem Dunkel seines eigenen Lebens, aus Einsamkeit, schlechten finanziellen Verhältnissen und Krankheit. Er hat Gemeinschaft bei der Weihnachtsfeier in der Gemeinde gefunden. Er war heute dabei, als sich 25 Personen im Gemeindezentrum getroffen haben, die sonst alleine feiern würden. Er nimmt aus diesen guten Begegnungen Frieden und Mut mit.

Liebe Festgemeinde: Wo ein Mensch aus dem Dunkel kommend Gemeinschaft erlebt und für seinen Weg durchs Leben gestärkt wird, da zeigt sich Gottes rettende Macht, da ist es Weihnachten.

Zu unserer Weihnachtskrippe kam auch eine Person mit ihrem Smartphone, einer, der zwar alles im Leben hat, aber der Entschleunigung sucht und eine verläßliche Tiefe. Ihn will ich mit den Sterndeutern aus dem Orient vergleichen: Suchende, die einer auffallenden Sternenkonstellation folgen. Sie machen sich auf, um den neugeborenen König zu finden, eine Hoffnungsgestalt, einer, der zeigt, worauf es im Leben ankommt. Der Stern führte sie zur Krippe: „Sie wurden hocherfreut, gingen in das Haus und fanden das Kindlein mit Maria, seiner Mutter, und fielen nieder und beteten es an.“. Die Sterndeuter haben wie auch unser Krippengast gespürt: Bei Jesus kann ich meine eigene Mitte neu finden, und das wirkt sich heilsam auf all meine Lebensbezüge aus.

Liebe Festgemeinde: Wo ein Mensch bei Gott auftankt, Tiefe und Orientierung für sein Leben bekommt, da zeigt sich Gottes rettende Macht, da ist es Weihnachten

Noch eine dritte Person hatten wir vorhin, die zur Krippe kam: Den Flüchtling, der hier bei uns in Rödental eine sichere Unterkunft und eine herzliche Aufnahme gefunden hat.

Zur heiligen Familie kamen damals keine Flüchtlinge. Aber sie selbst war eine Flüchtlingsfamilie: Zuerst mussten sie sich durch Behördenwillkür auf den beschwerlichen Weg in die Geburtsstadt Josephs machen zum Zwecke der Volkszählung. Dort nahm sie keiner auf, nur ein Stall wurde ihnen zur Verfügung gestellt. Und kurz nach der Geburt Jesu, da muss die Familie nach Ägypten fliehen, weil alle Neugeborenen der Gegend durch Herodes mit dem Leben bedroht waren.

Während wir in diesem Jahr wieder die liebgewordene Weihnachtsgeschichte hören, mit dem feierlichen Christbaum vor Augen, können wir nicht übersehen, dass sich diese Geschichte gerade jetzt wieder ereignet; Maria und Joseph sind wieder unterwegs auf Suche nach einer offenen Türe. Jesus ist wieder unterwegs, um Asyl zu finden, um mit seinem Leib und Leben davonzukommen. Denn wie hat Jesus einmal gesagt? „Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“. In jedem anderen Menschen begegnen wir ihm selbst. Menschen, denen Leib und Leben bedroht wird, brauchen eine Herberge: eine sichere Unterkunft, einen Raum, um ihre Erfahrung zu erzählen und sich so der Zukunft zuzuwenden, auch  um dann, wenn sich die Lage wieder beruhigt hat, in ihrer Heimat wieder neu anzufangen. Vielleicht müssten wir die Geschichte von Maria und Joseph, würde sie heute geschehen, anders schreiben, weil eine große Empathiewelle durch unsere Bevölkerung, weil viele Flüchtlingen helfen, private Bekanntschaften entstehen und auch vor anderen um Verständnis für diese Menschen geworben wird – trotz und gerade angesichts von Pegida.

Liebe Festgemeinde: Wo Menschen Flüchtlinge aufnehmen, einander beistehen und füreinander sorgen, da zeigt sich Gottes rettende Macht, da ist es Weihnachten.

3.  Wir an Weihnachten und an der Krippe

Die Hirten und die Sterndeuter sind damals zur Krippe gekommen, drei Menschen aus dem Querschnitt unserer Gesellschaft haben vorhin dem Jesuskind ihre Ehre erwiesen, und auch wir selbst treten heute am Heiligen Abend an die Krippe heran. Auch wir treten hinzu zum Jesuskind, zu Gott in menschlicher Gestalt, mit unserem Leben, unserer Freude, unserem Dank, unseren Herausforderungen, unseren Sehnsüchten und unseren Lasten.

Auch in unseren Herzen werden die Worte des Engels nachklingen, die Worte über das Geschehen in der Heiligen Nacht. Und auch darin steckt das Potential, dass uns die Krippe verwandelt.

Weihnachten ist in der Sprache der Optiker gesprochen wie eine Brennlinse: All das, was vorher war, wird in einem Brennpunkt gebündelt. Und danach verteilen sich die Strahlen des Lebens wieder, stehen aber in einem neuen Licht, unter dem Weihnachtsstern. Weihnachten verwandelt uns und dadurch auch unser Miteinander.

Denn der Friede, den Gott seiner Christenheit an Weihnachten ins Herz legt, pflanzt sich durch uns fort: indem wir andere annehmen, einander beistehen, uns für Frieden und Versöhnung in unserem Miteinander einsetzen. Weihnachten setzt eine Bewegung in Gang, die hoffentlich auch die Christen an den Schaltstellen der Macht erfasst. So kommt Gottes Rettungsplan mit uns ans Ziel, und durch uns auch in der Welt. Das wäre ein schönes Weihnachtsgeschenk von uns Menschen für unseren Herrn.

Denn edle Geschenke lassen sie da, die Weisen aus dem Morgenland: Gold, Weihrauch und Myrrhe. Edle Geschenke lassen sie da, unsere drei heutigen Krippengäste: Das Smartphone oder Zeit für Gott, die auch mir selbst guttut. Eine Gabe für die Nöte in der Welt. Das Versprechen, auch andere freundlich aufzunehmen. Auch über unser Geschenk wird er sich freuen.

Wo wohnt Gott, ihr Lieben?

Gott wohnt im Himmel, so die erste spontane Antwort in meiner Grundschulklasse. Gleichzeitig hatten meine Schülerinnen und Schüler aber nach einigem Überlegen noch weitere Antworten parat: Gott wohnt überall, meinte ein Mädchen. Richtig, Gott ist Mensch geworden, er ist mitten unter uns zu Hause. Gott wohnt in der Kirche: Richtig, hier begegnen wir ihm auf besondere Weise. Und eine letzte Antwort hatte meine 4.Klasse: Gott wohnt in unserem eigenen Herzen. Ja, dann ist wirklich Weihnachten, wenn er nicht nur in der Krippe geboren wird, sondern auch in meinem und in deinen Herzen. Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen.

nach oben