Gottesdienst in St. Johannis und im AWO am 8. November 2015

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AWO, St. Johannis

Predigt:
Diakon Günter Neidhardt

"Das Reich Gottes ist in euch"

Gnade sei mit euch und Friede von Gott dem Vater, dem Sohn und dem Heilligen Geist.

Wir beten in der Stille um Gottes Segen für sein Wort.

Liebe Gemeinde,

es gibt eine Frage, die stellen Fromme und weniger Fromme und Zweifler gemeinsam: Es ist die Frage: Wo ist Gott?

Die einen, weil sie sich danach sehnen, dass Gott endlich einlöst, was er versprochen hat. Wo ist Gott, der Gerechtigkeit und Friede verheißen hat?

Die anderen, weil sie sich nicht vorstellen können, dass eine ziellose, oft so kaputte Welt,  dem Plan eines Gottes entstammen könnte. Wo ist Gott, manchmal auch: Wo ist Dein Gott, wenn es doch Kriege und Katastrophen und Leid und Elend gibt? Wo ist da Gott?

Ja, diese Frage, wenn auch mit unterschiedlicher Intention, stellen Fromme und Zweifler gemeinsam. Eine schwere und wichtige Frage. Jesus wurde sie auch einmal gestellt.

Wir hören den Predigttext:

Luk 17, 20- 24

Vom Kommen des Gottesreiches

Als er aber von den Pharisäern gefragt wurde: Wann kommt das Reich Gottes?, antwortete er ihnen und sprach: Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man's beobachten kann;man wird auch nicht sagen: Siehe, hier ist es!, oder: Da ist es! Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch.1Er sprach aber zu den Jüngern: Es wird die Zeit kommen, in der ihr begehren werdet, zu sehen einen der Tage des Menschensohns, und werdet ihn nicht sehen. Und sie werden zu euch sagen: Siehe, da!, oder: Siehe, hier! Geht nicht hin und lauft ihnen nicht nach!Denn wie der Blitz aufblitzt und leuchtet von einem Ende des Himmels bis zum andern, so wird der Menschensohn an seinem Tage sein.

Jesus und seine Jünger sind unterwegs von Galiläa nach Jerusalem, ziehen von Dorf zu Dorf, kehren bei den Menschen ein, reden mit ihnen, predigen, heilen Kranke. Einmal begegnet ihnen eine Gruppe von Pharisäern. Die Pharisäer kennen die heiligen Schriften Israels genau. Nach ihrer Vorstellung wird Gott bald über die ganze Welt herrschen und seinen Messias schicken. Das richtige Datum, wann das sein wird, versuchen sie sogar anhand der Sterne zu berechnen. Die Pharisäer fragen Jesus: „Wann kommt das Reich Gottes?“ Sie sehnen sich danach, dass die ganze Welt im Wirkungsbereich Gottes liegt.

Jesus sagt den Pharisäern zunächst, wo Gott nicht zu finden ist. Das Reich Gottes, es kommt nicht so, dass man sagen könnte: hier ist es, oder dort. Es lässt sich nicht beobachten, nicht berechnen oder aus den Sternen lesen. Gott lässt sich nicht festlegen, nicht ausrechnen. So klein ist er nicht, dass wir ihn auch nur ansatzweise ganz zu fassen bekämen. Viele hätten es ja gerne, einen ausrechenbaren Gott. Nein, diesen Zahn bekommen die  Pharisäer gezogen und wir vielleicht auch. Wo also ist Gott? Wo ist er zu finden? Wir sind gespannt, was Jesus zu sagen hat, nachdem er erzählt hat, wo Gott nicht zu finden ist.

 Jesus antwortet: Das Reich Gottes ist in euch. Das also ist seine Antwort: Das Reich Gottes ist in euch. Ob die Pharisäer sofort verstanden haben, was Jesus mit diesen Worten gemeint hat, wissen wir nicht – die theologischen Wissenschaftler haben sich jedenfalls damit schwer getan: Sie können nicht mit Sicherheit sagen, was mit diesem rätselhaften „in euch“ gemeint ist. Deshalb stelle ich Ihnen drei Möglichkeiten vor. Drei Antworten auf die Frage: Wo ist Gott?

1. Martin Luther hatte die Worte Jesu ursprünglich so übersetzt: „Das Reich Gottes ist inwendig in euch.“ Das Reich Gottes, es entsteht im Innern des Menschen, vielleicht in dem, was wir Seele nennen oder in unseren Herzen. Ein Gott, der die Herzen der Menschen berührt ja sogar erobert – und damit die ganze Welt. Das Reich Gottes geht demnach vom einzelnen Menschen aus.

Wenn ich mir Zeit nehme zur Ruhe komme, am Abend, in der Bibel lese, vielleicht die Psalmen, vielleicht einen anderen Text der mich anspricht dann denke ich irgendwann: Ich bin nicht mehr allein. Menschen die in der Meditation erfahren sind erzählen immer wieder von dieser kaum zu beschreibenden Gewissheit: Gott ist in mir, Gott wirkt in mir.

Vielleicht haben Sie das auch schon erfahren. Ich möchte Sie bitten, denken Sie einen Moment lang nach. Wie ist es bei Ihnen – wo hat Gott in Ihnen gewirkt? Das kann auch der Spaziergang im Herbstlaub sein. Wo hat er in Ihnen gewirkt?

(Stille,  Organist improvisiert)

Gott ist in unserem Innern.

Einigen ist diese Deutung zu wenig aktiv, zu wenig auf die Welt bezogen. Es geht im Christentum doch nicht nur um das fromme Selbst, um weltabgewandte Selbstvergewisserung sagen sie.  Christentum hat doch mit Aktion, mit Einsatz für die Welt, für Frieden und Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung zu tun.

Und so gibt es 2. Eine weitere Übersetzung lautet: Das Reich Gottes ist in euren Händen. Die spanische Mystikerin Teresa von Avila soll einmal gesagt haben: „Christus hat keine Hände außer unsere.“ Das Reich Gottes entsteht dort, wo Menschen daran aktiv mit bauen. Dort, wo Menschen für den Frieden kämpfen, wo sie für Entschuldung armer Länder eintreten, Flüchtlinge tatkräftig unterstützen, wo sie die Klimakatastrophe abzuwenden versuchen.  Ja,  ich glaube wirklich, Gott wirkt durch Menschen, das Reich Gottes entsteht auch durch die helfende Tat.

Was denken Sie? Fallen Ihnen Menschen ein, durch die Gott wirkt? Im Großen, im Kleinen. Das kann auch jemand sein, der sie mal besucht hat, als Sie krank waren. Fällt Ihnen jemand ein?

(Stille, Organist improvisiert)

Gott ist in unserem Handeln. Manche werden dagegen einwenden: Gott ist uns doch nicht verfügbar, sein Reich ist weder fromme Innerlichkeit noch engagierte Äußerlichkeit. Das führt zur letzten Deutung.

3. Viele aktuelle Bibelausgaben geben die Worte Jesu so wieder: Das Reich Gottes ist mitten unter euch. Das heißt: In eurer Gemeinschaft. Die Barmer Theologische Erklärung (EG Nr. 907) ist ein wichtiges evangelisches Bekenntnis, entstanden 1934 als die Nazis an die Macht kamen und ja auch die Kirche „gleichschalten“ wollten. In dieser Erklärung wird die christliche Kirche  als eine Gemeinschaft bezeichnet.  „in der Jesus Christus in Wort und Sakrament durch den Heiligen Geist als der Herr gegenwärtig handelt.“ Und so heißt es weiter: „Wir verwerfen die falsche Lehre, die Kirche dürfe sich nach Belieben der jeweiligen weltanschaulichen Ordnung anpassen.“

Gott ist in unserer Gemeinschaft, sagt das Bekenntnis. Das merken wir besonders, wenn wir Gottesdienst feiern. Und wir erinnern uns vielleicht an die Gemeinschaft die wir im Gottesdienste erlebt haben, erleben. Im Gebet, im gemeinsamen Singen, im Abendmahl… ,auch in dieser Gemeinde. Immer, wenn etwas so nachwirkt, denke ich: Es stimmt doch: Wo wir in seinem Namen versammelt sind, da ist er mitten unter uns.

Vielleicht denken Sie jetzt bereits an eigene Erlebnisse. Welcher Gottesdienst wirkt bei Ihnen nach? Oder vielleicht war es auch ein bewegendes Konzert. Ein Treffen im Hauskreis. Wo haben Sie diese Gemeinschaft erlebt?

(Stille, Organist improvisiert)

Wo ist Gott, wann beginnt das Reich Gottes, das war die Ausgangsfrage. Und welche Antwort ist nun die richtige? Die richtigere?

Gott in uns? Gott in unseren Taten? Gott in der Gemeinschaft?

Ihr Lieben, ich denke, wir müssen uns gar nicht für eine dieser Deutungen entscheiden. Alle drei sind wahr – weil Menschen sie als richtig erfahren haben. Wir bekommen drei wichtige Antworten auf die Frage: Wo ist Gott? – Gott ist in unserem Innern, in den stillen Momenten der Einkehr. Gott ist in unserem Handeln, wenn wir uns für Andere, für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung einsetzen. Gott ist in unserer Gemeinschaft, wenn wir in seinem Namen versammelt sind. Drei Antworten auf die Frage Wo ist Gott? Drei Mal: Da ist Gott.

A... – fast wäre mir ein Amen rausgerutscht, liebe Gemeinde – und hier hätte eine knappe Predigt zu Ende sein können. Aber:  unser Text geht nicht so glatt aus. Frage – Antwort – fertig. Unser Predigttext endet nicht mit Vers 21.

Es geht noch weiter. Zum zweiten Mal: Wieder der Weg zwischen Galiläa und Jerusalem. Jesus und seine Jünger haben sich eben noch mit der Gruppe der Pharisäer unterhalten; jetzt gibt es einen Bruch / Schnitt.

 Wenn der Evangelist Lukas ein Kameramann wäre, er hätte brachial die Kamera rumgerissen, ein 180- Grad-Schwenk von den erstaunten Gesichtern der Pharisäer auf die Gruppe der Jünger. Die stehen nun im Mittelpunkt (und mit ihnen wieder wir).

Jesus richtet mahnende Worte an sie. Gerade seine Jünger, die ihn doch kennen müssten, diejenigen, die doch am engsten mit Jesus vertraut sind – er warnt sie. Jesus spricht von der Zeit nach seinem Tod. Er sagt ihnen: Seid nicht voreilig. Seid nicht so sicher, bildet euch nicht ein privilegiert zu sein, Euer Wissen, ja selbst die tägliche Begegnung mit mir,  all die Erfahrungen die wir miteinander teilen konnten, all das kann ins Wanken kommen. Jesus weiß, dass wenn er einmal nicht mehr bei seinen Freunden ist – dann werden sie sich nach sichtbaren Zeichen seiner Gegenwart sehnen, werden suchen, fragen und zweifeln. Auch wieder fragen: Wo ist Gott? Und er weiß: die Welt ist voller selbst ernannter Heilsbringer, die locken: seht her zu mir! – und führen doch nur in die Irre. Lauft ihnen nicht hinterher, sagt Jesus.

Die Geschichte der Kirche kennt viele Beispiele, wo Christen in die Irre gegangen sind. Übermorgen gedenken wir des 9. Novembern 1938, an dem vor 77 Jahren in Deutschland die Synagogen brannten; der für alle sichtbare Auftakt des Holocaust. Zu Viele blieben gleichgültig angesichts des Leides der Deutschen jüdischen Glaubens. Ja, viele Christen haben den nationalsozialistischen Rassenwahn sogar unterstützt. Nur Wenige fassten den Mut, zu widersprechen. Obwohl sie Jesus doch kannten, liefen sie in die Irre.

Übermorgen vor am 09. November 1918 endet der sog. 1. Weltkrieg. Und stand auf den Gürtelschlössern der deutschen Soldaten nicht: Gott mit uns?

Passt auf sagt Jesus zu seinen Jüngern und zu uns: Passt auf wem ihr hinterherlauft. Hütet euch vor den selbsternannten Heilsbringern, vor denen mit den einfachen Antworten. Traut nicht jedem „Gott mit uns“

Die Jünger schauen bedrückt zu Boden, während Jesus so redet. Doch was er ihnen jetzt zu sagen hat, klingt ein wenig tröstlicher in ihren Ohren. Jesus redet weiter. Er redet von sich selbst. Wenn der Menschensohn wieder kommt, sagt er – dann wie ein Blitz, der von einem Ende des Himmels bis zum anderen leuchtet. So hell, so herrlich, so unübersehbar. Dann durchwirkt Gott endlich die ganze Erde. Dann errichtet er sein Reich des Friedens, das er Israel seit jeher versprochen hat. Dann werden die Waffen schweigen und Gott wird abwischen alle Tränen. Wenn der Menschensohn wieder kommt.

Die Jünger atmen auf.

Liebe Gemeinde. Ich habe eben noch gesagt: Seid skeptisch, wenn einfache Antworten als Heilsbotschaft verkauft werden. Es ist  eben doch nicht so einfach mit dem Reich Gottes.

Eigentlich haben wir es hier mit einem Widerspruch zu tun. Eben hatte Jesus noch gesagt: Das Reich Gottes ist schon da, es ist in euch, in euren Händen, in eurer Gemeinschaft – und jetzt liegt es auf einmal wieder in der Zukunft und keiner weiß, wann es kommt. Schon jetzt – und noch nicht. Das ist logisch betrachtet ein Paradox.

Vielleicht kann man das so erklären. Vielleicht ist das „Schon und noch nicht“ so ähnlich, wie wenn man etwas hat und doch nicht besitzt. Wir sagen ja manchmal: das ist meine Frau, das ist mein Mann, das ist meine Freundin oder mein Freund. Das hört sich so an, als würden wir jemanden besitzen. Aber mal ehrlich, würden Sie sagen, dass Sie ihren Mann wirklich besitzen oder ihre Frau? Nein. Damit würde der Andere ja zu einer Sache. Wer jemanden ganz hat, so dass er schon alles wüsste über den Partner, wer gar nicht mehr denkt, dass der auch einen eigenen Kopf hat – wer jemanden so hat, der kann von ihr oder ihm nichts mehr erwarten: keine Überraschung, keine Hilfe, keinen Widerspruch. Denn es braucht gerade diese Spannung von haben und doch nicht besitzen für die lebendige Menschen- und Gottesbeziehung. Das hält die Hoffnung lebendig.

Hier sind wir also. Wir haben gefragt: wo ist Gott? Wir haben gehört: Er ist schon gegenwärtig, aber auch zukünftig. Wir leben zwischen den Zeiten, zwischen Anbruch des Reiches Gottes und seiner Vollendung. Das hält unsere Hoffnung lebendig. Und nun?

Die Bibel empfiehlt: Wachsam bleiben: „Lasst uns nicht schlafen sondern wachen und nüchtern sein“ empfiehlt Paulus den Christen in Thessaloniki (1 Thess. 5,6), an vielen anderen Stellen in der Bibel finden ähnliche Aufforderungen.

Wachsam bleiben heißt: Sich bewusst machen, Gott ist in uns, ja, er ist schon da: In unserem Innern, in unserem Handeln und in unserer Gemeinschaft. Und gleichzeitig lässt er sich niemals festlegen. Weder aus den Sternen, noch aus frommer Rede, noch sonst wie. Wir warten noch auf ihn und angesichts unserer Zeit, die dazu neigt, anderes zu vergöttern und er ist schon da.

Wo ist Gott? Bleiben wir neugierig.

Amen

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