Gottesdienst in St. Johannis (Kirche am Abend mit Chor und Mohr und Taufen) - 31. Juli 2016

Bildrechte beim Autor

St. Johannis

Predigt:
Pfarrer Jörg Mahler

"Der tat der Herr
das Herz auf"

Predigttext: Apostelgeschichte 16,14f

Und eine gottesfürchtige Frau mit Namen Lydia, eine Purpurhändlerin aus der Stadt Thyatira, hörte zu; der tat der Herr das Herz auf, sodass sie darauf Acht hatte, was von Paulus geredet wurde. Als sie aber mit ihrem Hause getauft war, bat sie uns und sprach: Wenn ihr anerkennt, dass ich an den Herrn glaube, so kommt in mein Haus und bleibt da. Und sie nötigte uns.

Predigt:

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen. Amen.

Liebe Schwestern und Brüder!

I.

Die Wege zum Glauben sind verschieden. Die Purpurhändlerin Lydia, von der wir in der Lesung gehört haben, war Griechin, und hatte in ihrer Jugend bestimmt an die vielen griechischen Götter geglaubt. Durch das Judentum hat sie zum Glauben an den einen Gott gefunden. Sie traf sich regelmäßig mit ihren Freundinnen am Fluss zum Beten. Eines Tages kam Paulus zu ihnen, und erzählte ihnen von dem, was sein eigenes Leben verändert hatte: von Jesus Christus, Gottes menschgewordener Liebe, der sovielen Menschen neue Lebensmöglichkeiten eröffnet hat, von Jesus Christus, dem Befreier von aller Schuld und dem Sieger über den Tod. Lukas beschreibt mit einem faszinierenden Bild, was dann geschieht: „Der tat der Herr das Herz auf!“. All das, was Paulus der Lydia von Jesus erzählte, hat sie ungemein bewegt und ihr Innerstes angerührt. Sie muss gespürt haben: „Bei Jesus wird meine Sehnsucht nach tiefer Geborgenheit gestillt. Auch wenn ich jetzt noch nicht alles verstehe: Ich weiß, dass ich zu ihm gehören will. Er soll der Begleiter auf meinem künftigen Lebensweg sein.“. Und so ließ sie sich taufen. An jenem Fluss vor der Stadt Philippi. Und so wurde sie die erste Christin in Europa.

II.

Die Wege zum Glauben sind verschieden. Die meisten unter uns werden als Kinder getauft worden sein. Christ zu sein ist für viele etwas ganz selbstverständliches. Die wenigsten haben sich ganz bewusst dafür entschieden. Oder vielleicht doch – nämlich in der Konfirmation, wo wir unsere Seite des Taufbundes bekräftigen und zu Gott sagen: Ich will mit dir leben und in deiner Gemeinde bleiben.

„Der tat der Herr das Herz auf“: Haben auch wir, die wir anders als Lydia seit Kindertagen Christinnen und Christen sind, das schon erlebt, das uns mit Gott das Herz aufging? - Ich kenne das von mir selbst, und von vielen aus unserer Gemeinde, mit denen ich immer wieder ins Gespräch komme: Da gibt es Begegnungen, Gespräche, kleine und große Wunder, ein Ereignis, ein Zeichen, eine Blume oder ein Bibelwort, das unser Herz anrührt, und wo sich auch uns der Himmel auftut. Ich bin dankbar für solche Erlebnisse, wo ich Gott spüre.

III.

Die Wege zum Glauben sind ganz verschieden. Im Iran ist es nicht leicht, Christ zu werden und Christ zu sein. Es gibt die alteingesessenen Kirchen wie die armenische und die syrische Kirche im Iran. Wer in sie hineingeboren ist, der kann sein Christsein leben, und trotzdem in der Gesellschaft an vielem partizipieren, auch wenn er trotzdem dem islamischen Recht unterworfen ist. Völlig rechtlos sind dagegen Christen, die vorher Muslime waren, und ihre Kinder. Immer wieder kommt es nicht nur zu Ausgrenzung von Abtrünnigen und zu Bestrafungsaktionen, sondern auch zu Überfällen auf Kirchen. Wer hat in einer solchen Gesellschaft überhaupt die Chance, mit dem Christentum in Verbindung zu kommen und positive Erfahrungen zu machen, wo doch Mission oder Erzählen vom Glauben fast nicht möglich ist? Wer wird in diesem Klima freiwillig Christ, verbunden mit so vielen Nachteilen? Und doch gibt es Menschen, die zu Christus finden und zur Kirche. Und doch gibt es Menschen, denen das Herz aufgeht, weil andere sich trauen, begeisternd von dem zu erzählen, der in ihrem eigenen Herzen Raum eingenommen hat.

 Sich im Iran zu Jesus zu bekennen ist mit Gefahren verbunden. Christ wird man nur aus voller Überzeugung. Im Taufkurs haben unsere Taufbewerber erzählt, wie ihr Weg zu Jesus war, und welche Beschwernisse sie und ihre Familien auf sich nehmen mussten. Sie kennen das Christentum schon aus dem Iran, hatten dort Kontakte zur Gemeinde und Gottesdienste besucht.  Von einem unserer Täuflinge wurden der Vater und der Bruder direkt vor einer Kirche erschossen.

Warum wollt ihr euch taufen lassen?, das haben wir sie gefragt.

Mehrfach haben wir zur Antwort bekommen: „Wir haben Jesus im Herzen!“. Und genau das ist doch die beste Voraussetzung für die Taufe: Nicht allein ein theoretisches Wissen über den Glauben, sondern eine lebendige Beziehung zu Jesus Christus.

Und auch mehrfach wurde genannt: Das Christentum ist die Religion der Freiheit. Hier gibt es keine Unterdrückung. Christen sind liebevoll zu anderen Menschen. Auch wenn wir geneigt sind, solche Aussagen gleich relativieren zu wollen, weil es eben auch genug nicht liebevolle Christen gibt, genauso wie es andererseits viele liebevolle Muslime gibt, so erkenne ich trotzdem dankbar an, welche positiven Erfahrungen unsere Taufbewerber mit Christen und unserem Glauben gemacht haben.

Letzte Woche z.B. gings im Taufunterricht um die Bibel. Sie ist Gottes Wort, und will hinein ins Leben sprechen. Dazu muss man sie lesen, die Auslegung in der Predigt hören und drüber diskutieren. Und dan kann man auch mal verschiedener Meinung sein, was dieses oder jenes Schriftwort jetzt genau für diese Situation bedeutet. Einer aus der Gruppe hat gesagt: „Wenn du im Iran dem Mullah widersprechen würdest, bist du tot!“. Das Christentum ist die Religion der Freiheit, und gerade bei uns als Lutheraner ist jeder selbst gefordert, den Glauben zu durchdenken und sich seine eigene Meinung zu bilden und diese auch zu vertreten.

Jemand aus der Gruppe hat vorbeugend richtiggestellt: „Wir lassen uns nicht taufen, um unsere Chancen im Asylverfahren zu erhöhen.“.  Viele der Iraner, die zur Zeit in Deutschland sind, brachten einen festen Glauben mit. Im Iran musste sie ihren Glauben jahrelang im Geheimen leben, und den Übertritt zum Christentum durch die Taufe offiziell zu vollziehen war eine große Hürde. Jetzt ist dies möglich. Sie integrieren sich hier gerne in ihre Gemeinden, haben Kontakt und kommen regelmäßig zu Gottesdiensten.

 „Der christliche Gott ist ein starker Gott, er segnet uns und schützt uns!“, hat jemand gesagt und gibt damit die Erfahrung wieder, dass sie trotz allem bisher bewahrt worden sind. „Egal wie es weitergeht, Gott ist mit uns!“. Ich spüre in solchen Sätzen, dass der Glaube und die lebendige Beziehung zu Christus auf eine ganz besondere Art und Weise an die Existenz geht. Auch wir haben Krankheiten, Sorgen und Nöte, und erleben hoffentlich immer Gottes Kraft, die uns trägt. Aber beim jemanden, der wegen seines Glaubens angefeindet und verfolgt wird, der sich mit dem Boot übers Meer auf eine gefährliche Reise gemacht hat und dann hunderte Kilometer bei Wind und Wetter oder großer Hitze zu Fuß gewandert ist – ich kann mir vorstellen, dass das zu einer ganz existentiellen Bindung zu Gott führt, vergleichbar mit denjenigen, die noch die Schrecken des Zweiten Weltkriegs miterlebt haben, den massenweisen Tod, Flucht und Vertreibung.

Und so haben diese zehn jungen Menschen den sehnlichen Wunsch, dass die Bindung zu Jesus Christus, der in ihren Herzen ist, auch in der offiziellen Zugehörigkeit zur Kirche ihren Ausdruck findet.

IV.

Für mich ist das ein bewegendes Tauffest. Und es gibt mir Impulse für mein eigenes Christsein mit:

  1. Es führt mich zur Dankbarkeit, dass wir hier unseren Glaube frei Leben können, in den Gottesdienst gehen können, ohne Angst haben zu müssen. Und dass wir unsere eigene Meinung nicht nur haben dürfen, sondern sogar sollten. Ich bin dankbar, dass die Werte aus unserer jüdisch-christlichen Tradition unsere Gesellschaft geprägt haben: die Gewissensfreiheit und daraus resultierend die Religionsfreihheit, die Toleranz Andersdenkenden und Andersglaubenden gegenüber, Gastfreundschaft, Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe.
  2. Dieses Tauffest ermuntert mich, neu darüber nachzudenken, was Glaube eigentlich für mich bedeutet, und was für einen Gott wir haben – einen, der mir nicht nur das Leben geschenkt hat, sondern der sich mir väterlich zuwendet, der mich behütet und bewahrt, der mich von Schuld befreit und neue Wege öffnet, der mich sendet, Licht der Welt zu sein und dabei in der Kraft seines Geistes kräftig mithilft, und einer, der selbst im Sterben bei mir bleibt und eine himmlische Wohnung bereithält.
  3. Ihr Konfirmanden, die ihr heute da seid, ihr bestätigt in einem guten halben Jahr euere Seite des Taufbundes und bekennt euch zu Gott. Vielleicht ist euch bewusst geworden, welchen Mut es einen Iraner kostet, sich zu Jesus zu bekennen, und dass dieses Bekenntnis für ein Leben eine ganz große Bedeutung hat. Aber auch euch kann es Mut kosten, v.a. dann, wenn ihr es wirklich ehrlich meint, aber sich vielleicht andere darüber lustig machen.
  4. Dieses Tauffest ist für uns ein Grund zu feiern, aber auch für unsere dann Getauften zu beten: Denn keiner weiß, was für Folgen die Taufe haben kann, besonders dann, wenn andere das mitbekommen, die nicht offen genug sind, das zu tolerieren, ob das hier in Deutschland ist, oder in der Heimat, falls sie in den Iran zurückkehren werden. Lasst uns aber auch dafür beten, dass ihr Glaube immer fester werde und dass sie viele gute Erfahrungen mit Gott machen. Und lasst uns für all die Christinnen und Christen beten, die unter sehr schwierigen Umständen und mit großen Einschränkungen verbunden  und manchmal nur unter Lebensgefahr ihren Glauben leben können.

Wir werden heute zehn Menschen taufen. Sie machen ihren Bund mit Gott fest, und er seinen Bund mit ihnen. Gott spricht zu ihrem Ja sein göttliches Amen: So soll es sein. Ihr gehört zu mir, in die Gemeinschaft derer, die mit mir unterwegs durchs Leben sind, zur Kirche. Ich segne  euch und begleite euch auf all euren Wegen. Egal, wie die Wege weitergehen. Ich bin bei euch, das verspreche ich.

Die Wege zum Glauben sind verschieden, aber auch die Wege im Glauben. Manche finden mitten im Leben zu Christus wie Lydia oder unsere iranischen Schwestern und Brüder. Manche sind von Kindheit an im Glauben verwurzelt. Wieder andere haben sich im Laufe des Lebens von Christus entfernt und dann wieder zu ihm gefunden. Die Bibel erzählt nicht, wie es mit der Lydia weiterging. Ich wünsche aber uns allen, dass uns wie damals der Lydia immer wieder das Herz für Gott aufgeht, und dass wir gerne Christen sind sein, weil wir wissen, was wir an unserem Gott haben! Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

nach oben