Gottesdienst am Sonntag Kantate in St. Johannis am 3. Mai 2015

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St. Johannis

Predigt:
Pfarrer Jörg Mahler

"Erquickung durch
Musik"

 

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen. 

Der Predigttext für den Sonntag Kantate steht bei Matthäus 11,25-30: 

Zu der Zeit fing Jesus an und sprach: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du dies den Weisen und Klugen verborgen hast und hast es den Unmündigen offenbart. 26 Ja, Vater; denn so hat es dir wohlgefallen. 27 Alles ist mir übergeben von meinem Vater; und niemand kennt den Sohn als nur der Vater; und niemand kennt den Vater als nur der Sohn und wem es der Sohn offenbaren will. 28 Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. 29 Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. 30 Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht. 

Liebe Schwestern und Brüder! 

Wir haben in unserem Predigttext Jesus beten gehört. Dass Jesus betet ist an sich nichts Besonderes, weil die Bibel immer wieder davon berichtet. Besonders ist, dass uns Matthäus erzählt, was Jesus betet. Das wird uns nämlich nur selten überliefert: Beim Vater Unser, das wir alle kennen, im Garten Gethsemane, wo er darum bittet, vom Leid verschont zu werden, und schließlich seine letzten Worte am Kreuz zu seinem himmlischen Vater. Markus überliefert da die Klage: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“. Auch das ist ein Gebet. Und Lukas erinnert an das vertrauensvolle „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist!“. 

Jesus klagt, er bittet für sich, und er lehrt uns ein Gebet für alle Situationen des Lebens. 

In unserem heutigen Predigttext, da dürfen wir noch einem weiteren Gebet Jesu lauschen. 

I. Ein Lob auf Gottes Wirken 

Jesus spricht zu Gott: „Ich preise dich, Vater des Himmels und der Erde, weil du dies den Weisen und Klugen verborgen hast und hast es den Unmündigen offenbart.“. Jesus lobt staunend Gott. Denn er macht eine interessante Erfahrung: Die Meisten der Weisen und Klugen, der Eliten sind verschlossen für sein Wirken. Wahrscheinlich liegt das daran, dass sie selbst das Leben bestimmen wollen: kraft 

ihres Verstandes, ihrer Willensstärke und der Durchsetzung der religiösen Ordnung auf Punkt und Komma des geschriebenen Gesetzes. Sie müssen sich immer selbst behaupten. Ganz anders die Unmündigen: die Frauen von Galiläa, die Fischer vom See Genezareth, die Aussätzigen, die Kranken, die Kinder. Diejenigen also, die nicht schon alles haben, die in ihrer Einfachheit auf Jesus treffen, lassen sich vom Evangelium bewegen. Erstaunlich, was sich da in Galiläa durch Jesus tut: Mut zum Leben wächst, Wunden werden geheilt, Menschen für ihren Weg gestärkt. (Darum redet Jesus seinen Gott auch mit „Vater“ an: weil er sich eben wie ein guter Vater aller seiner Kinder annimmt und für sie sorgt! Deshalb beginnt er auch das Vater unser mit genau dieser Anrede.) 

„Ich preise dich, Vater des Himmels und der Erde“. Jesus freut sich, weil es einmal anders ist, als sonst in der Welt. Dass bei Gott endlich einmal die einfachen Menschen, die unmündig gehaltenen zu ihrem Recht kommen. 

Für uns ist das normal geworden. Wir wissen seit Kindertagen, dass Gott gerade für die Menschen am Rande da ist. Und doch ist das ein großer Grund zum Staunen und Danken. Denn es könnte ja auch anders sein. Gott könnte ja auch auf die Starken setzen und wie so mancher König damals oder so manche Regierung heute die Schwachen nicht ausreichend stützen. Wenn Gott nichtmal auf ihrer Seite stehen würde, welche Lobby hätten sie dann noch? Gott aber macht dieses Spiel unserer Welt nicht mit: Er kommt besonders zu den einfachen Menschen. Es gefällt ihm so. So hat er sich entschieden, und das ist so sensationell, dass Jesus davon das Herz über geht und er seinen Vater lobt. Vielleicht hat er dieses Gebet sogar voller Freude gesungen. Kantate, Singet! 

II. Jesu Heilandsruf 

Und Jesus, er stellt sich selbst in diese Bewegung Gottes hinein. So wie Gott wirkt, so will auch Jesus wirken. Nach seinem Gebet erklärt er das den Menschen um sich herum: „Der Vater hat mich gesandt, um genau diese Botschaft zu leben. Also: Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.“. 

Das ist keine unverbindliche Einladung; das ist eine Aufforderung. Dieser Aufruf Jesu gibt so etwas wie sein Programm an, mit dem er unterwegs ist: Im Namen Gottes Erquickung schaffen. Das ist Jesu Heilandsruf: Er will zerbrochenes Heil machen. Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid. Und die Menschen kommen auch zu ihm. 

Es sind meist Menschen, die ein Joch tragen. Ich sehe vor mir ein Bild aus früheren Zeiten: Da geht eine Frau aus dem Haus heraus bis an die Wasserstelle. Dort schöpft sie zwei große Eimer voller Wasser. Und dann legt sie das Joch auf ihre Schulter, und links und rechts hängen die schweren 

Eimer herab. Und sie trägt sie bis nach Hause. Sie schleppt sich Schritt für Schritt vorwärts und hofft, nicht unter der Last zusammenzubrechen. Ihre Schultern sind schon ganz gebeugt. Wie ihr geht es vielen, die ihr Joch im Leben zu tragen haben. 

Jesus ruft die, die gebückt und gebeugt wurden. Es geht hier nicht um diejenigen, die schon alles haben im Leben. Es geht nicht um diejenigen, die immer gut drauf sind und die alles können und die immer schon Bescheid wissen. Es geht nicht um diejenigen, die alles in die Hand nehmen und perfekt organisieren können. Es geht Jesus um die, deren Leben Mühe macht und die Lasten mit sich herum tragen. Die Menschen spricht er an, die krank sind, die einfach arm dran sind, weil das Geld hinten und vorne nicht reicht und weil vieles in ihrem Leben gegen sie gelaufen ist. Diejenigen sind gemeint, die mit sich selbst nicht mehr viel anzufangen wissen - Menschen, die abgedriftet sind, die Alkoholiker geworden sind und die Drogen nehmen: Menschen, die am Abgrund stehen. Es gibt auch die Leute dazwischen. Vielleicht sind das Sie und ich. Menschen eben, die Phasen haben in denen alles leicht von der Hand geht. Die Arbeit macht Spaß, in der Familie läuft es, man ist gesund. Und dann gibt es wieder Phasen, wo man verzweifeln könnte - so Tage an denen nichts läuft und wo einem die Haare zu Berge stehen. Es ist gut, sich daran dann zu erinnern, dass Jesus gesagt hat - „Ihr könnt zu mir kommen.“. 

Jetzt fallen mir auch wieder diese anderen Menschen ein, von denen ich vorhin erzählt habe, die immer schon alles selbst gut können und niemanden brauchen. Ich glaube auch sie tragen ein schweres Joch. Immer stark sein zu müssen, immer Recht haben zu müssen, immer alles wissen zu müssen ist auch eine Last. Auch diese dürfen sie bei Jesus abgegeben. Nur diesen Menschen fällt es eben besonders schwer sich zu bücken und auf Gott zuzugehen. Keine Angst: Gott kommt auch auf sie zu. 

„Erquicken“ will uns Jesus, wenn wir zu ihm kommen. Erquicken ist ein altes Wort, das mir aber gut gefällt. Erquickung: Wenn es im Sommer zu heiß ist, dann sehnen wir uns nach einer Abkühlung, wie sie ein frischer Sommerregen oder Holundersaft mit Zitrone schafft. Auch die Natur freut sich im Sommer über solche Erquickungen. Wenn es trocken ist, dann haben die frisch angesäten Körner keine Chance zu wachsen. Nach dem Regen sieht es anders aus, da ist alles grün. Die Natur wird zum Leben gerufen. So ähnlich fühlt es sich an, wenn Gott den erquickt, der mühselig ist und beladen. Da wächst wieder etwas, da entsteht etwas, da öffnet sich jemand für andere und für sich selbst - wird ansprechbar und spricht an. 

III. Erquickung durch Musik 

Aber wie geschieht das konkret, dass Gott uns erquickt? 

Ich könnte von vielem erzählen: von der wohltuenden Stille in der Kirche, von der Vergebung, von seinem ermutigenden Wort, von seiner stärkenden Gegenwart in Brot und Wein. Ich könnte von vielem erzählen, will aber heute am Sonntag Kantate nur von einem erzählen: von der Musik als einer ganz besonderen Gabe Gottes. 

Das Singen an sich ist gegenüber früheren Zeiten sehr zurückgegangen. Meine Großmutter hat noch erzählt, dass sie früher beim Wandern kräftig gesungen haben, zu Hause in der Stube und im Chor. Weltliche und geistliche Lieder. Heute ist es den jungen Leuten häufig peinlich, zu singen. Vielleicht noch zu Hause im Zimmer, zur CD des Lieblingsstars wenn keiner zuhört. Oder beim Sport die Fangesänge. Auch so mancher Erwachsene singt nicht gern im Gottesdienst mit, weil er meint, er könne ja nicht singen, oder weil ihm dies eingeredet wurde. Singen ist etwas Schönes, und es kommt nicht auf den richtigen Ton, sondern aufs Herz an. Lieder haben durch ihre Melodie, die Instrumente und ihren poetischen Text oft mehr Kraft, als das gesprochene Wort. Sie können unsere Stimmung heben. Wenn wir singen, werden die Worte, die da stehen, zu unseren eigenen Worten, gehen durch uns hindurch, nehmen zusammen mit den Klängen Raum ein in uns. Darum lasse ich mich vom Sonntag Kantate gerne einladen, wieder mehr zu singen. 

Manchmal muss es ein Klagelied sein. Da ist mir einfach zum Klagen zu Mute, so wie Jesus in Gethsemane und am Kreuz geklagt hat. Vielleicht hat Jesus ja am Kreuz auch klagend gesungen: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!“. Dieser Satz stammt aus einem alten Klagelied, dem Psalm 22. Klagen, das heißt: ich spreche meine Not aus vor Gott, werfe sie an den Himmel. Was in mir ist, muss raus. Das Klagelied hilft nicht nur, Not und Sorgen abzulegen, sondern vermag auch neue Hoffnung zu geben. 

Oft darf unser Lied aber ein Vertrauenslied sein, wie Jesu anderes Wort am Kreuz: „Vater, ich befehle mich in deine Hände“. Ein Vertrauenslied stärkt in mir das Vertrauen auf den Gott, der alles in seiner Hand hat. So gehe ich meinen Weg getrost weiter. 

Meistens aber singe ich ein Dank- und Loblied für die großen Wohltaten Gottes, die er mir im Leben immer wieder schenkt, so wie es Jesus in unserem heutigen Predigttext tut. Ein Loblied macht das Herz fröhlich. 

Der Liederschatz der Kirche ist unermüdlich groß, und es ist gut, dass das "Gesangbuch" des jüdischen Volkes, der Psalter, darin eine wichtige Rolle spielt, denn die Psalmen sprechen wie nur wenige andere Lieder tief aus dem Herzen des Beters. Deshalb singen wir den Introitus auch in der Regel, weil die Psalmen früher immer im Tempel und zu Hause gesungen wurden. Gerade in den Psalmen finden wir Gebetslieder für jede Lebenslage. Auch in unserem Gesangbuch und im neuen Liederbuch „Kommt, atmet auf“ gibt es so viele alte und neue Lieder zu den verschiedensten Lebenslagen. Allein die Überschriften im Gesangbuch geben uns davon einen Eindruck. 

Manchmal bin ich nur in der Stimmung, einem Lied zu lauschen und es wirken zu lassen. Meist singe ich selbst. Lieder helfen, zur Ruhe zu kommen. Lieder bringen aber auch in Bewegung und helfen, sich dem Leben wieder zuzuwenden. Lieder im Gottesdienst oder zu Hause. 

Martin Luther schreibt einmal zur Musik: 

„Musik ist ein reines Geschenk und eine Gabe Gottes, sie vertreibt den Teufel, sie macht die Leute fröhlich und man vergißt über sie alle Laster.“. 

„Entgegen einem verbreiteten Missverständnis ist Singen also mehr als der Ausdruck einer Befindlichkeit. Musik vermag eine neue Befindlichkeit zu schaffen, zu erquicken und trösten“ (CPH). 

IV. Das Joch Jesu 

Jesus setzt noch einen zweiten Aufruf zu seinem Heilandsruf hinzu: 29 Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. 30 Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht. 

Was ist denn das Joch Jesu? Also das, was er mit sich trägt und was sanft und leicht sein soll? Denn er selbst hatte es ja nicht immer leicht, und musste auch große Ablehnung erfahren. 

Ich denke, Jesus stellt uns seine innere Haltung als ein Beispiel vor Augen: Seine eigene Haltung wünscht er sich für uns, weil sie auch uns zum Segen wird: „Lernt von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig!“. Sanftmut und Demut - das heißt im Glauben leben und von Gott alles erwarten. Sanftmut und Demut, das heißt im Leben mit Gott bereit sein auch Ungutes mit hinzunehmen. Sanftmut und Demut heißt so wie ein Kind auf die Eltern vertraut, so vertraue ich als Mensch meinem Gott. 

Es gibt einen Lohn für solches Vertrauen: „So werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen“. Ruhe für unsere Seelen: ich lasse meine Gedanken spielen, was das für mich heißen könnte: ein ruhiges Gewissen, ein entspanntes Leben, das mit so vielen Menschen wie möglich im Einklang ist, mit Gott im Einklang zu sein. Aber auch Ruhe angesichts der Hektik die ganze Woche über: Ich kann einmal ausschlafen und das Telefon klingelt einmal einen ganzen Tag lang nicht. Die Ruhe aber, die Gott geben will geht weiter als ein Tag ohne Telefon oder ein Ausschlafen bis 10.00 Uhr, viel weiter. Eine Art „Lebensruhe“ könnte es sein. Ich nehme mich und das, was ich tue nicht zu wichtig. Ich weiß meinen Platz an der Arbeitsstelle könnte jederzeit ein anderer einnehmen. Ich weiß, das was ich sage ist eine Momentaufnahme und keine ewig gültige Wahrheit. Ich weiß, ich kann Fehler machen und sie werden mir vergeben durch Gott. Ruhe für die Seele, Ruhe für die Mühseligen und Beladenen. Ich bin froh, dass Gott mir das anbietet. Er will mir eine Ruhe mitten im Leben schenken: eine Ruhe, die sich einstellt, wenn ich meine ganzen Lasten einfach in seine Hände übergebe. 

Ich komme zum Ende, liebe Gemeinde! 

Kantate, Singet! Wir können Gott mit voller Stimme loben, weil er für uns da ist und uns erquickt. Wir können aber auch ganz sanft und zart singen, wenn wir das Joch auf unserer Schulter spüren. Und dabei werden wir erleben, wie wir durch den Gesang ruhiger werden und wie Gott uns auch durch die Musik erquickt. Amen. 

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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