Gottesdienst am Sonntag Kantate (18. Mai 2014) Jubelkonfir[-][br]mationen

Bildrechte beim Autor

St. Johannis Rödental

Predigt:

Pfarrer Jörg Mahler

"Das gläserne Meer"

Der Predigttext, welcher der Predigt zu Grunde liegt, steht in der Offenbarung 15, 2-4

Und ich sah, und es war wie ein gläsernes Meer, mit Feuer vermengt; und die den Sieg behalten hatten über das Tier und sein Bild und über die Zahl seines Namens, die standen an dem gläsernen Meer und hatten Gottes Harfen und sangen das Lied des Mose, des Knechtes Gottes, und das Lied des Lammes: Groß und wunderbar sind deine Werke, Herr, allmächtiger Gott! Gerecht und wahrhaftig sind deine Wege, du König der Völker. Wer sollte dich, Herr, nicht fürchten und deinen Namen nicht preisen? Denn du allein bist heilig! Ja, alle Völker werden kommen und anbeten vor dir, denn deine gerechten Gerichte sind offenbar geworden.

Liebe Festgemeinde!

Die meisten von uns waren sicherlich schon einmal am Meer im Urlaub. Ich erinnere mich an einen Spaziergang entlang eines einsamen Kiesstrands. Der leichte Wind brachte sanfte Wellen ans Ufer. Die wiederum brachten die Muschelschalen in gleichmäßigen Rhythmus zum Klappern. Die Gischt rauscht. Die Sonne schien, am Horizont fuhr ein Schiff vorüber. Am Meer kann man ausspannen: Tief durchatmen, die Lasten zurücklassen, den Blick in die Ferne schweifen lassen. Das Meer vermittelt ein Gefühl von Freiheit.

I.

Der Seher Johannes nimmt uns im heutigen Bibeltext mit an den Strand eines Meeres: Er schildert uns eine Vision, die er von Gott bekam. Gott hat ihn immer wieder Dinge schauen lassen, die aufschreibt, um seine Gemeinden zu stärken. Die Offenbarung des Johannes ist eine Schrift mit vielen Symbolen und Andeutungen, die entschlüsselt werden wollen. Da ist also dieses Meer, das er als gläsern beschreibt. Ich stelle mir es als ruhiges Meer vor, mit hellem und klarem Wasser. Ein freundliches Meer, das Frieden ausstrahlt. Am Ufer dieses gläsernen Meeres stehen Menschen mit Harfen. Harfen Gottes nennt Johannes sie: Für mich ein Hinweis darauf, dass die wunderbaren Klänge einer Harfe genauso wie überhaupt alle Instrumentklänge Geschenke Gottes sind: Gott hat uns die Musik gegeben, und dazu die Fähigkeit, den Instrumenten und der eigenen Stimme Töne zu entlocken, bestimmt auch vielen unter uns – bei den Liedern haben wir davon ja schon eine Kostprobe bekommen.

Harfenklänge am gläsernen Meer. In Gedanken geselle ich mich zu diesen harfenspielenden Menschen, genieße ihre Musik. Und ich frage sie: „Wer seid ihr denn überhaupt?“. Da wendet sich einer um und spricht zu mir: „Wir sind die, die den Sieg behalten haben über das Tier und sein Bild und die Zahl seines Namens!“. Ich schaue verwundert drein, denn ich verstehe nicht, was er mir in dieser verschlüsselten Sprache sagen will. Ein anderer bemerkt meine Irritation und erklärt: „Wir sprechen so verschlüsselt, weil es gefährlich war, unseren Gegner beim Namen zu nennen: Tier nannten wir unseren Kaiser, den schrecklichen Diokletian. Er hatte überall im Land seine Standbilder aufgestellt, und gefordert, dass wir diese Bilder anbeten und ihm opfern. Und wer das nicht tat, den hat er verfolgen lassen. Wie ein Tier auf der Jagd hat er sich auf die Lauer gelegt, um uns Christen zu finden und zu vernichten. Versteh mich recht: Wir waren nicht gegen den Staat. Wir waren keine Separatisten. Wir wollten einfach nur unseren Glauben leben, zu unserem Gott beten, der allein Gott ist. Diokletians Vorgänger waren da toleranter. Sie gaben die Freiheit, dass jeder seiner religiösen Überzeugung folgen kann. Er aber hat uns verfolgt. Viele starben in der Arena. Doch wir, die wir hier an Ufer dieses gläsernen Meeres stehen, wir haben das Tier und sein Bild überwunden: Wir sind treu beim Glauben geblieben, haben uns nicht unterkriegen lassen. Uns hat Gott die Kraft gegeben, zu widerstehen. Darum singen wir ihm hier zu Harfenklängen unser Loblied!“.

 II.

Liebe Gemeinde!

Die Jubelkonfirmation ist der Zeitpunkt, auch im eigenen Leben zurückzublicken und zu fragen: Habe ich auch Grund, Gott so ein Loblied zu singen? Gibt es auch in meinem Leben Dinge, die ich mit seiner Hilfe geschafft habe? Herausforderungen, die ich bestanden habe? Nöte, Krankheiten, Probleme, die ich überwunden habe? Wohltaten, die mir mein Gott geschenkt hat: gute Eltern und Geschwister, einen Ehepartner und Kinder, echte Freundschaften, eine Arbeitsstelle, auf der ich mich wohlgefühlt habe, ein gutes finanzielles Auskommen, eine Wohnung oder ein eigenes Häuschen, einen Garten mit Blumen und eigenem Obst und Gemüse, Urlaube, Träume vom Leben, die sich erfüllt haben? Sicherlich wird nicht jeder alles im Leben erlebt haben, das er sich gerne gewünscht hätte. Und man braucht auch nicht alles, um wirklich glücklich zu sein. Aber doch gibt es diese Wohltaten Gottes, das, was mir geschenkt wurde, was mir gelungen ist, das, worin ich bewahrt worden bin. Wohltaten Gottes, für die wir ihm Dank schulden, für die wir in den Gesang der Überwinder am gläsernen Meer mit einstimmen.

III.

Welches Lied oder welche Lieder singen diese Überwinder denn genau? Johannes nennt das Lied des Mose und das Lied des Lammes.

Zunächst das Lied des Mose: Es ist ein Lied der Befreiung: Mose hat unter der Leitung Gottes das Volk Israel aus der ägyptischen Sklaverei befreit, sie durchs Schilfmeer und die Wüste geführt, bis sie an der Grenze des Gelobten Landes standen. Die Bibel erzählt vom großen Lobgesang des Mose, nachzulesen im 2.Buch Mose, das 15.Kapitel. Er bejubelt seinen Gott in den höchsten Tönen für das Wunder der Errettung und die geschenkte Freiheit.

Wohl dem, der ähnliche Erfahrungen in seinem eigenen Leben gemacht hat. Aber es gibt eben auch die anderen Erfahrungen: Die Erfahrung der Israeliten vor ihrer Rettung, die Erfahrung der Not. Wenn man da drinnensteckt, und sich über lange Zeit nichts ändert, da kann ein Mensch die Hoffnung verlieren. Wie wird’s weitergehen in der Ukraine oder in Syrien? Die Aussichten der Menschen dort sind düster.  Solche Notzeiten gibt es in jedem Leben in je eigener Form, und der ein oder andere unter uns wird gerade jetzt in so einer Notzeit stecken: die Sorgen um die Kinder oder um die eigene Gesundheit, die Unsicherheit, wie es wohl werden wird, wenn im Alter die Kräfte schwinden. Für manche Not gibt es überhaupt nicht die Aussicht, dass es sich wieder ändert, z.B. für körperliche Einschränkungen, die das Alter eben einfach mit sich bringt. Manchmal, da kann man trotz all der guten Erfahrungen, die man im Leben schon gemacht hat, nicht anders, als ein Klagelied anzustimmen. Kantate, singet, fordert uns dieser Sonntag auf. Ja, wem zum Klagen zu Mute ist, der darf auch sein Klagelied singen, die Bibel gibt uns in den Psalmen viele Beispiele dafür. Klagen, die Not benennen, sie aussprechen vor Gott und in den Himmel werfen.

Johannes nennt als zweites das Lied des Lammes, das diese Überwinder am gläsernen Meer singen. Das Lamm, das ist kein anderer als Jesus Christus, der als das Gotteslamm durch sein Blut die Sünde von uns allen wegnimmt, so wie damals Israel in der Passahnacht durch das Blut des Lammes an den Türpfosten vom Racheengel verschont wurde.

Ich blicke auf sein Kreuz: Am Kreuz wird Jesus wohl kaum noch gesungen haben. Aber er stirbt mit Worten aus alten jüdischen Liedern auf den Lippen: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ (Psalm 22,2) – da schreit einer, da klagt Jesus seinen himmlischen Vater sogar an. Soweit kann es kommen, wenn ein Mensch in der größten Not ist. Und kurz vor seinem Sterben haucht er mit letzter Kraft: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist!“. Auch dieses Wort stammt aus einem alten jüdischen Lied (Psalm 31,6). Da spüre ich das große Vertrauen, das Jesus trotz allem in seinen himmlischen Vater hat. Das ist das andere Lied, das Menschen in der Not singen: Neben das Klagelied tritt das Vertrauenslied. In unseren Gesangbüchern haben wir dafür sehr viele Beispiele. Lieder, die Menschen auswendig können, die sie in Nöten singen oder beten, und die in ihnen das Vertrauen auf Gott stärken, der größer ist als die Not, und der trotz aller Bedrängnisse alles und alle in seiner Hand hält. Eines der bekanntesten Vertrauenslieder ist wohl ein Lied von Paul Gerhardt, das er kurz nach dem 30-jährigen Krieg geschrieben hat:

Befiehl du deine Wege, und was dein Herze kränkt

Der allertreusten Pflege, des der den Himmel lenkt.

Der Wolken Luft und Winden gibt Wege Lauf und Bahn,

der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann.

Vertrauenslieder – in ihnen halten wir fest an Gott, vertrauen auf ihn, dass ers gut macht, auch in der Not. Jesus hat so ein Vertrauenslied am kreuz gebetet, und sein Vertrauen in Gott wurde nicht enttäuscht. Er hat den Tod überwunden. Sein Vater hat ihn auferweckt und die Macht des Tods ein für allemal durchbrochen.

Das Lied des Lammes, von dem Johannes schreibt, es ist wohl ein Lied über dieses Lamm Jesus Christus, ein Lied, das Gott preist für seine Wohltaten, die er uns durch Jesus Christus tut: „Durch ihn nimmst du unsere Sünde hinweg, durch ihn schließt du die Pforten in dein Reich auf, durch den Tod hindurch!“.

IV.

Und so singt also diese himmlische Schar ihr Lied, von dem uns Johannes eine Strophe mithören läßt:

Groß und wunderbar sind deine Werke, Herr, allmächtiger Gott! Gerecht und wahrhaftig sind deine Wege, du König der Völker. 4 Wer sollte dich, Herr, nicht fürchten und deinen Namen nicht preisen? Denn du allein bist heilig! Ja, alle Völker werden kommen und anbeten vor dir, denn deine gerechten Gerichte sind offenbar geworden.

Heute sind wir hinzugetreten zu diesem Chor der Überwinder ans gläserne Meer. Das Meer passt als Ort perfekt zu diesem Gesang: Wenn ich am Meer stehe, dann trägt es die Sorge davon, läßt mich staunen und auf die Macht Gottes vertrauen. Freiheit und Zugleich Geborgenheit fühle ich. Wie durch die Lieder des Vertrauens und des Lobs. Wer dieses Lied der Überwinder hört, dem wird bewußt, welche Wohltaten er selbst in seinem Leben gespürt hat, und er stimmt mit ein in das Lob Gottes. Wer ihr Lied hört, und dabei aber selbst in Nöten steckt, der läßt sich hoffentlich von dieser Erfahrung der Rettung anstecken, so dass sich sein Klagelied in ein Lied des Vertrauens wandelt. Vielleicht singt er anfangs nur leise mit, oder summt nur die Melodie. Und doch wird sich dabei die Gewißheit der Gottes Nähe einstellen – und damit Trost und Mut, um den eigenen Weg zu gehen.

Liebe Festgemeinde!

Das Singen an sich ist gegenüber früheren Zeiten sehr zurückgegangen. Meine Großmutter hat noch erzählt, dass sie früher beim wandern kräftig gesungen haben, zu hause in der Stube und im Chor. Weltliche und geistliche Lieder. Heute ist es den jungen Leuten häufig peinlich, zu singen. Vielleicht noch zu Hause im Zimmer, zur CD des Lieblingsstars wenn keiner zuhört. Oder beim Sport die Fangesänge. Auch so mancher Erwachsene singt nicht gern im Gottesdienst mit, weil er meint, er könne ja nicht singen. Singen ist etwas Schönes, und es kommt nicht auf den richtigen Ton, sondern aufs Herz an. Lieder haben durch ihre Melodie, die Instrumente und ihren poetischen  Text oft mehr Kraft, als das gesprochene Wort. Sie können unsere Stimmung heben. Wenn wir singen, werden die Worte, die da stehen, zu unseren eigenen Worten, gehen durch uns hindurch, nehmen zusammen mit den Klängen Raum ein in uns. Darum lasse ich mich vom Sonntag Kantate gerne einladen, wieder mehr zu singen.

Manchmal muss es ein Klagelied sein. Oft darf es ein Vertrauenslied sein, das in mir das Vertrauen auf den Gott stärkt, der alles in seiner Hand hat. Und meistens ist es ein Danklied für die großen Wohltaten Gottes, das ich anstimme. Das Klagelied, das Vertrauenslied und das Loblied werden zu Liedern meines Lebens, in die ich je nach Situation einstimme. Und mit mir viele Christinnen und Christen, aber auch Zweiflerinnen und Zweifler.

Eine für mich spannende letzte Frage bleibt noch offen: Wo befindet sich dieses gläserne Meer mit den harfenspielenden Sängern? Hat Johannes einen Einblick in den Himmel bekommen, oder ist es ein Ort auf unserer Erde? Wird sich diese Vision erst in der Zukunft ereignen, oder ereignet sich das schon in der Gegenwart? Im 4.Kapitel seines Buchs beschreibt er, dass sich an diesem Meer auch der Thron Gottes befindet. Es wird also wohl ein Blick in den Himmel gewesen sein, der sich ihm auftat. Und trotzdem genau das auch hier auf der Erde, und auch heute: dass Menschen ihrem Gott Loblieder singen, der ihnen viel Gutes getan hat. Und dass andere Menschen daraus Kraft schöpfen für ihren eigenen Weg. Und dass da Gott mitten unter uns ist. Dieses gläserne Meer ist also überall dort, wo diese Lieder als Lebenslieder gesungen werden. Und einmal, darauf vertrauen wir als Christen, werden wir auch an seinem himmlischen Thron dabeisein und einstimmen in das Lied des Mose und das Lied des Lammes, mit all denen, die uns schon vorausgegangen sind dorthin, und denen, die uns noch folgen. Da werden auch wir an jenem gläsernen Meer singen:

Groß und wunderbar sind deine Werke, Herr, allmächtiger Gott! Gerecht und wahrhaftig sind deine Wege, du König der Völker. 4 Wer sollte dich, Herr, nicht fürchten und deinen Namen nicht preisen? Denn du allein bist heilig!

Amen.

Und der Friede Gottes, der all unser menschliches Begreifen übersteigt, sei mit Euch allen. Amen.

nach oben