Gottesdienst am Karfreitag (18. April 2014)

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St. Johannis Rödental
und Oberwohlsbach

Predigt:
Pfarrer Jörg Mahler

"Jesu Kreuzigung"

Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen!

 Predigttext (Jesaja 53, 1-12)

Aber wer glaubt dem, was uns verkündet wurde, und wem ist der Arm des HERRN offenbart? Er schoss auf vor ihm wie ein Reis und wie eine Wurzel aus dürrem Erdreich. Er hatte keine Gestalt und Hoheit. Wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte.

Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg; darum haben wir ihn für nichts geachtet.

Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre.

Aber er ist um unsrer Missetat1 willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.

Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, ein jeder sah auf seinen Weg. Aber der HERR warf unser aller Sünde auf ihn.

Als er gemartert ward, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird; und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer, tat er seinen Mund nicht auf.

Er ist aus Angst und Gericht hinweggenommen. Wer aber kann sein Geschick ermessen? Denn er ist aus dem Lande der Lebendigen weggerissen, da er für die Missetat meines Volks geplagt war.

Und man gab ihm sein Grab bei Gottlosen und bei Übeltätern2, als er gestorben war, wiewohl er niemand Unrecht getan hat und kein Betrug in seinem Munde gewesen ist.

So wollte ihn der HERR zerschlagen mit Krankheit. Wenn er sein Leben zum Schuldopfer gegeben hat, wird er Nachkommen haben und in die Länge leben, und des HERRN Plan wird durch seine Hand gelingen.

Weil seine Seele sich abgemüht hat, wird er das Licht schauen und die Fülle haben. Und durch seine Erkenntnis wird er, mein Knecht, der Gerechte, den Vielen Gerechtigkeit schaffen; denn er trägt ihre Sünden.

Darum will ich ihm die Vielen zur Beute geben und er soll die Starken zum Raube haben, dafür dass er sein Leben in den Tod gegeben hat und den Übeltätern gleichgerechnet ist und er die Sünde der Vielen getragen hat und für die Übeltäter gebeten.

Predigt

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen. Amen.

Liebe Karfreitagsgemeinde!

I. Justizskandale gibt es durch alle Zeiten hindurch. Menschen zu Unrecht verurteilt werden: im Mittelalter beispielsweise die Hexen, oder heute stellt sich in Amerika ab und an im Nachhinein heraus, dass jemand, der zum Tode verurteilt wurde, doch unschuldig war. Durch alle Zeiten hindurch werden Menschen Opfer: Opfer von Krieg und Vertreibung, von Vernichtung und Terror: im zweiten Weltkrieg, heute in Afrika oder in Syrien. Meist geht es dabei um Einfluss und Macht – um politische, religiöse oder gesellschaftliche Macht. Weil bestimmte Gruppen ihre Interessen durchsetzen wollen, räumen sie ihre Kritiker aus dem Weg. Und so kann Feindschaft sogar zwischen verschiedenen Volksgruppen entstehen. Dabei werden oft genau die zu Opfern, die sich für Frieden, Gerechtigkeit und Versöhnung einsetzen. Als Opposition werden sie in vielen Ländern mundtot gemacht.

Einer von den vielen zu Unrecht Verurteilten, eines der vielen Opfer der Menschheitsgeschichte war auch jener Jesus von Nazareth, den man um das Jahr 33 auf dem Berg Golgatha in Jerusalem ans Kreuz schlug. Ein junger Mann war er, der eintrat für einen achtsamen Umgang miteinander, der die Menschen von religiöser Bevormundung befreien und ihnen die Liebe Gottes ins Herz legen wollte, der Kranke geheilt und Niedergeschlagene aufgerichtet und Ausgegrenzte zurück in die Gesellschaft geführt hat. Schrecklich, dass so jemand diesen grausamen Tod sterben muss.

Aber Jesus war noch mehr: In ihm ist Gott selbst zu uns Menschen gekommen, in ihm begegnet uns der Vater, in seinen Augen schauen wir das Angesicht Gottes, in seinem Reden und Tun spiegelt sich die Liebe des Himmels. Der Sohn Gottes stirbt am Kreuz. Paul Gerhardt, der wohl bekannteste lutherische Lieddichter, beklagt das Unfassbare in dem Choral, der uns heute durch den ganzen Gottesdienst begleitet:

Oh Haupt voll Blut und Wunden, voll Schmerz und voller Hohn, o Haupt zum Spott gebunden mit einer Dornenkron, o Haupt sonst schön gezieret mit höchster Ehr und Zier, jetzt aber hoch schimpfieret: Gegrüßet seist du mir!

Höchste Ehre kommt ihm zu, die Mächte der Welt zollen ihm Respekt zollen. Doch nun fragen wir fassungslos: Wer hat dein Augenlicht, dem sonst kein Lichte gleichet, so schändlich zugericht?

Das Kreuz am Karfreitag ist, was es ist: Das Instrument einer grausamen Hinrichtung. An ihm stirbt ein Gerechter einen grausamen Tod, an ihm wird Gott selbst aus dieser Welt verbannt. Karfreitag, das ist der Schlusspunkt der Passionsgeschichte Jesu.

II. Wer hat Schuld am Tod des Gerechten, am Tod des Gottessohns? Pontius Pilatus war es, der das Todesurteil gesprochen hat. Am Kreuzestitulus, der am Kreuz angebrachten Tafel, konnte man lesen, wessen die Verurteilten angeklagt waren. INRI, Iesus Nazarenus Rex Iudaorum, steht an Jesu Kreuz  geschrieben: Jesus von Nazareth, König der Juden. Der Statthalter des Römischen Kaisers in Judäa hat Jesus hinrichten lassen unter der Anklage, er sei ein Verschwörer, der sich König nennen läßt und die Macht an sich reißen wolle. Eingefädelt wurde das Ganze freilich von einer Gruppe von Oberpriestern um den Hohenpriester Kaiphas, die um die religiöse Ordnung fürchteten, um die überlieferten Traditionen und wohl auch um die gewinnbringenden Geschäfte im Tempel.

Paul Gerhardt aber nennt in seinem Lied noch einen Schuldigen an Jesu Tod:

Nun was du, Herr, erduldet,  ist alles meine Last; ich hab es selbst verschuldet, was du getragen hast.  Schau her, hier steh ich Armer,  der Zorn verdienet hat.  Gib mir, o mein Erbarmer,  den Anblick deiner Gnad.

Brachte auch meine Schuld ihn ans Kreuz? Historisch gesehen ist dies sicherlich falsch: Wir wissen, wer die juristische Verantwortung trägt. Doch wenn wir den Karfreitag auf der Beziehungsebene zwischen uns und Gott betrachten, dann ist da schon was dran: Denn wie oft leidet Gott an uns? Wenn wir einen nahen Menschen mit Verachtung strafen, oder ihm böse Worte an den Kopf werfen, dann leidet der auch. Genauso leidet Gott an uns. Da ist zuerst der Unglaube: Wie oft vertrauen wir uns nicht Gott an, sondern bauen auf weltliche Sicherheiten? Mit dem Propheten Jesaja gesprochen: „Aber wer glaubt dem, was uns verkündigt wurde?“ (V1). Da ist die große Interessenlosigkeit an Gott und seinem Wort. Den Menschen ist soviel wichtiger als er. Auch das wird ihn, den Geber unseres Lebens, treffen: Seine Geschöpfe, denen er soviel Segen schenkt, sie lassen ihn links liegen. In der Zeitung stand, dass jeder zweite in Deutschland nicht weiß, was am Karfreitag und an Ostern geschah. Kein Interesse, mit Worten aus der alttestamentlichen Lesung gesprochen: „Er hatte keine Gestalt, die uns gefallen hätte. Darum haben wir ihn für nichts geachtet.“. Und diese Interessenlosigkeit geht weiter, auch gegenüber anderen Menschen: Mein Leben zählt, mein Glück, mein Erfolg. Und der andere muss zurückbleiben: Jeder sah nur auf seinen Weg, sagt der Prophet. Die Geschichte Gottes mit uns ist über lange Wegstrecken hin eine traurige Geschichte, sie ist eine wirkliche Leidensgeschichte für ihn. Mit jeder Lieblosigkeit, die wir ihm oder einem anderen antun, da fügen wir ihm Schmerzen zu, als ob wir den Hammer in der Hand hätten und mit auf einen der Nägel am Kreuz schlagen. Die Masse der Menschen, die die Kreuzesnägel heute aufs Neue einschlägt, die kreuzigen ihn erneut und immer wieder. So muss es auch Paul Gerhardt empfunden haben.

Gott ist wegen uns betrübt und  leidet. Dennoch liegen wir ihm so sehr am Herzen, dass er diese Leidensgeschichte beendet, und mitten im Kreuz eine neue Heilsgeschichte schreibt. Wir heute wissen es längst: Durchs Kreuz schenkt Gott uns die Vergebung unserer Schuld. Doch nicht so schnell.

III. Für die Menschen, die damals dabei waren, ist das Kreuz zunächst kein Zeichen von Heil, sowenig wie für Gott selbst. Es ist ein Zeichen von Leid und Ungerechtigkeit. Die Frauen um Jesus und die Jünger ließ es zurück mit Trauer und Angst. Wie aber zeigt ihnen Gott, dass er im Kreuz dennoch eine Heilsgeschichte für uns schreibt? Oder andersherum gefragt: Wie kommen diejenigen, die damals dabei waren, dazu, dass sie verstehen, dass in diesem Kreuz Heil liegt, dass im Sterben Jesu Entscheidendes für unser Verhältnis zu Gott passiert?

Die Jüngerinnen und Jünger Jesu kannten ihre Heilige Schrift, das Alte Testament sehr gut. Dort gibt es Verstehenshilfen, um das Leiden eines Gerechten zu deuten. Ein solcher Text ist das 4.Gottesknechtslied des Propheten Jesaja, das wir als Lesung gehört haben: Dort ist die Rede von dem leidenden Gerechten. Also einem, der sich fürs Recht Gottes einsetzt und deswegen verachtet wird und leiden muss. Jesaja bezeugt, was es mit seinem Leiden auf sich hat:

Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre.

Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.

Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, ein jeder sah auf seinen Weg. Aber der HERR warf unser aller Sünde auf ihn.

Da redet also der Prophet von einem, der stellvertretend die Schuld der Menschen auf sich nimmt. So etwas ähnliches hat es schon einmal gegeben in Israel, und zwar bei Mose: Er hatte das Volk aus Ägypten in die Freiheit geführt, bis hin an die Grenze zum Gelobten Land. Das Volk war Gott aber undankbar und versündigte sich immer wieder. Was tat Gott? Er legte die Schuld des Volks dem Mose auf die Schulter: Das Volk durfte trotz allem ins Gelobte Land, Mose dagegen durfte nicht über den Jordan gehen und musste vorher sterben (5.Mose 4,21ff).

Seitdem wurde immer wieder ein Prophet erwartet, einer, der größer ist als Mose, und der das Leiden und die Schuld der Menschen auf sich nimmt und wegnimmt. Einer, von dem Jesaja sagt: Durch seine Wunden, die unsere Wunden sein müssten, sind wir geheilt.

Für die Jüngerinnen und Jünger lag es nahe, auf diesem Hintergrund ihrer jüdischen Tradition Jesu Tod genau so zu verstehen: Denn hatte er nicht noch am Abend vorher, beim gemeinsamen Passahmahl, seinen kommenden Tod so gedeutet? Hat er nicht, nachdem er für den Wein gedankt hatte, noch deutlicher gesagt: „Dies ist mein Blut des Neuen Bundes, das für Euch vergossen wird zur Vergebung der Sünden!“. Durch seinen Tod Vergebung der Sünden, durch seinen Tod wird ein neuer Bund zwischen Gott und Menschen aufgerichtet.

Das stellvertretende Leiden des Gottesknechts, von dem Jesaja schreibt, und Jesu Worte über Brot und Wein werden bei den Jüngerinnen und Jüngern präsent gewesen sein, um Jesu Tod zu deuten.

Doch noch etwas Wichtiges kam dazu. Und nur dadurch konnten sie überzeugt sein, dass Jesu Tod wirklich uns zu gut geschehen ist, dass uns Menschen durch seinen schrecklichen Tod Großes geschenkt wird. Fragen wir uns: Was hätte Gott der Vater tun können, nachdem die menschliche Schuld seinen Sohn ans Kreuz gebracht hat. Er hätte die Menschheit strafen können, sein Weltgericht anbrechen lassen, eine Sintflut schicken ähnlich der zur Zeit Noahs. Aber nein, schon damals hatte er gesagt und entschieden: Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen. Was hätte Gott noch tun können? Er hätte einfach nichts machen können. Er hätte sich sagen können: Sollen die Menschen doch schaun, wie sie alleine zurechtkommen. Ich überlasse sie sich selbst, nur meinen Sohn hohle ich zurück von den Toten zu mir in den Himmel. Aber Gott hat auch das nicht getan, sondern einen dritten Weg gewählt: Er hat seinen Sohn auferweckt, und er ist in ihm den Jüngerinnen und Jüngern noch 40 Tage lang weiter begegnet. Er ist ihnen erschienen, er hat ihnen den Frieden Gottes zugesprochen, er hat sie gesegnet, und sie sogar in die Weite der auch vom Bösen gezeichneten Welt gesandt: Geht hin! Bringt die Botschaft der großen Liebe Gottes allen Menschen!

Gott hat also am Karfreitag seine Menschen nicht aufgegeben. Trotz allem. Muß das nicht heißen: Er vergibt uns unsere Schuld? Muß das nicht heißen: Er schenkt uns einen neuen Anfang? Genauso wie es Jesus schon am Kreuz getan hat? Für die Soldaten, die ihn kreuzigen, hat er gebeten: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun. Und zum reuigen Verbrecher an seiner Seite hat er gesagt: Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein! So wie Jesus starb, mit Worten der Vergebung und der Liebe, genauso begegnet uns Gott nach seinem Tod auch weiter.

Das also ist die Frohe Botschaft von Karfreitag, deshalb liegt in seinem Tod das Heil: Das Kreuz offenbart uns die große Liebe Gottes! Paul Gerhardt staunt:

Es dient zu meinen Freuden und tut mir herzlich wohl, wenn ich in deinem Leiden, mein Heil, mich finden soll!

Gott hat aus der Passions- und Leidensgeschichte seine große Heilsgeschichte gemacht!

IV. Wir haben es vorhin schon erkannt: Karfreitag hat auch mit uns zu tun. Und deshalb frage ich mich selbst: Wie geht es mir am Karfreitag? Angesichts dessen, dass Christus am Kreuz stirbt?

Zuallererst bin ich erschüttert: Der Sohn Gottes, der nur Gutes wollte, wurde umgebracht.

Ich bin zugleich beschämt, denn die Welt hat sich nicht verändert. Immer noch werden Unschuldige verfolgt und zu Opfern. Ich bin beschämt: Auch ich schaffe es nicht immer so zu leben, wie es vor Gott richtig und gut wäre. Ich bin beschämt: Auch meine Schuld kreuzigt heute den Gottessohn wieder.

Ich bin aber auch tief getroffen und staune angesichts der großen Liebe Gottes: Er straft nicht, sondern er vergibt! Er will trotz allem weiterhin Gemeinschaft mit uns Menschen, auch mit mir!

Und deshalb will ich ihm auch all meine Schuld in der Beichte geben und ihn bitten: Nimm auch meine Schuld! Nimm sie mit ans Kreuz, mit in deinen Tod, und sprich mich frei. Und ich will mit ihm neu anfangen. Ich will neu Ja sagen zu meinem Gott, und mich von seinem Geist bestimmen lassen.

Damit wird dann diese Heilsgeschichte zu meiner Lebensgeschichte: Denn dann betrifft sich mich und verändert mein Leben: Sie macht mich frei von meiner Last und läßt mich voller Hoffnung die Zukunft anpacken.

Liebe Karfreitagsgemeinde!

Die Passionsgeschichte Jesu ist die Leidensgeschichte Gottes an uns. Doch Gott hat aus ihr eine Heilsgeschichte gemacht. Das ist der tiefe Kern vom Karfreitag. Darum mein Wunsch: Möge diese Geschichte Gottes eine Geschichte für mich und dich werden, möge sie uns zur Lebensgeschichte werden, so wie Paul Gerhardt dichtet:

Ich danke Dir von Herzen, o Jesu, liebster Freund, für deines Todes Schmerzen, da du`s so gut gemeint. Ach gib, dass ich mich halte zu dir und deiner Treu und, wenn ich nun erkalte, in dir mein Ende sei.

Amen.

Und der Friede, den Gott uns am Kreuz schenkt mit sich selbst schenkt, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus.  Amen.

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