Gottesdienst am 4. Sonntag nach Trinitatis - 19.06.2016

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St. Johannis

Predigt:
Diakon Günter Neidhardt

"Von der Gemeinschaft
der Sünder" 

Gnade sei mit uns, von Gott dem Vater und dem Sohn und dem Hl. Geist. 

Liebe Schwestern, liebe Brüder, 

der Predigttext, der uns für heute vorgeschlagen ist, steht im Brief des Apostels Paulus an die Römer 14,10 – 13. 

Ich lese die neuere Übersetzung aus der „Guten Nachricht“:
Warum verurteilst du deinen Bruder oder deine Schwester? Und du, warum verachtest du sie? Wir werden alle einmal vor Gott stehen und von ihm gerichtet werden.  In den Heiligen Schriften heißt es ja: »So gewiss ich, der Herr, lebe: Alle werden vor mir auf die Knie fallen, alle werden Gott die Ehre geben.« So wird also jeder Einzelne von uns sich für sein eigenes Tun verantworten müssen. Hören wir also auf, uns gegenseitig zu verurteilen! Seid vielmehr kritisch gegen euch selbst, wenn ihr euch im Glauben stark fühlt, und vermeidet alles, was einem Bruder oder einer Schwester Anstoß bereiten oder sie zu Fall bringen kann. 

Stille 

Liebe Gemeinde, 

in unserem Glaubensbekenntnis haben wir eben gebetet, bekannt: …ich glaube an die Gemeinschaft der Heiligen….. Ja, das ist richtig. Heute aber sprechen wir von der „Gemeinschaft der Sünder“. Vom Zusammenleben der Menschen, mit all den Fehlern die wir machen, mit aller Schuld die wir auf uns laden. Kein so einfaches Thema. 

Ich will ihnen eine Geschichte erzählen. Keine einfache Geschichte, eine Geschichte von Schuld und Verurteilung. Die Geschichte einer jungen Frau: 

Sie ist in einer schwierigen Situation. Die junge Frau ist schwanger, hat keine Arbeit (und bekommt auch keine), kaum Geld und sucht verzweifelt nach einer passenden Bleibe. Bis vor kurzem hat sie mit dem Vater des Kindes zusammengelebt. Dann aber, als man sehen konnte, dass sie schwanger war, musste sie gehen. Es war sein Haus und von heute auf morgen musste sie raus. Rausgeschmissen. Sieh zu wie du zurechtkommst. 

Wir empören uns darüber. Wie kann der Mann das machen. Erst seinen Spaß gehabt und wenn seine Verantwortung gefordert ist, jagt er die junge Frau davon. Unser Urteil ist schnell gefasst. 

Wie kann er nur? 

Nun, er tut das auf Druck seiner Frau. 

Der Vater des Kindes ist verheiratet und seine Frau hatte die junge Frau selbst ins Haus geholt. Als Hausmädchen, Hilfe im Haushalt. Anfangs war sie auch sehr zufrieden mit der Arbeit. Dass ihr Mann da ein Auge und auf das junge Hausmädchen geworfen hatte, das hat sie wohl bemerkt, aber ignoriert. Zunächst. Bis dann der Babybauch immer runder wurde. Da wurde es der Hausherrin zu viel. Sie oder ich, so stellte sie ihrem Mann ein Ultimatum. Und er? „Sie ist deine Angestellte, mach was du willst“ so sagt er. Die Hausherrin war nicht zimperlich. Innerhalb kürzester Zeit hat sie es geschafft, dass die junge Frau Hals über Kopf davonlief. Nur weg hier. Was genau passiert ist will ich gar nicht wissen – ich weiß es auch nicht. Es muss wohl sehr heftig gewesen sein. Mobbing sagt man heute wohl. 

Wie kann diese Frau so hart, so herzlos sein. Erst kümmert sie es nicht und dann – Wie kann sie so böse sein. Da ist das Urteil schnell gefasst. 

Sicher, sie muss verletzt gewesen sein. Was ist das für eine Zumutung. Ein Mann, zwei Frauen. Eine ist die Ehefrau und die andere läuft so nebenbei. Irgendwann platzt es dann heraus, aus der Hausherrin, mit voller Wucht. 

Und so plötzlich kam es ja auch nicht. Es gab schon länger Streit und die junge Frau bot allen Anlass dazu. Sie wusste genau, dass ihre Chefin so gerne ein Kind haben wollte, allein es klappte nicht. Und nun war sie schwanger, die Angestellte und nutzte diese Situation weidlich aus. Legte sich mitten am Tag auf das Sofa, strich sich über ihren Bauch und sagt dann schon mal zur Chefin: Also, an ihrem Mann liegt es ja nicht, dass sie keine Kinder bekommen können. Und, es ist ja jetzt wohl mein Kind, das hier erben wird. 

Ganz schön gehässig. Warum tut sie das? Nun, bestimmt hat auch sie eine Vorgeschichte. Die Geschichte eines Mädchens das immer nur die Kleine, die Dumme war. Mehr als zum Putzen reicht es nicht. Nie hat sie jemand um ihre Meinung gefragt. Nie hat sich jemand dafür interessiert, wie es ihr eigentlich geht, was sie möchte. Sie hatte zur Verfügung zu stehen. In jeder Hinsicht. Hatte sie eine Wahl. Das sagen, das hatten doch immer die anderen. Wie kam das und wer ist daran schuld? Eltern, Umfeld, Milieu? Ich weiß es nicht. 

Sie hatte keine Wahl. Bis jetzt. Jetzt war sie wer. Können wir das beurteilen, urteilen? 

Eine schwierige Geschichte ist das das. Voller Schuld, voller Versagen, voller Verletzungen. 

In solchen komplizierten Konstellationen fragen wir gerne: Wer hat eigentlich angefangen, wer hat das ganze Elend ausgelöst. Wer ist schuld. Und dann meinen wir, wenn wir das wüssten, könnten wir die Situation lösen, Gerechtigkeit wieder herstellen. 

In der Geschichte, die wir eben gehört haben funktioniert das aber nicht. Je mehr man erfährt, über die Umstände, die Hintergründe, umso weniger kann man sagen wer denn schuld ist. 

Am Ende ist da eine junge Frau, allein, verzweifelt. Da ist ein Mann gequält von Schuldgefühlen und eine zweite Frau, verbittert. Das Leid der anderen macht ihr ja das Leben nicht leichter. 

Und unser Urteil. Wie fällt das aus. Stehen wir mehr auf der einen Seite oder auf der anderen. Wer ist schuld? Aber, selbst wenn wir eine eindeutige Antwort auf diese Frage geben könnten (was ich bezweifle), würde es etwas helfen, etwas ändern? 

Erinnern wir uns an Paulus. Vielleicht ist seine Frage, sind seine Fragen an die Gemeinde in Rom wirklich besser: „Warum verurteilst du deinen Bruder und deine Schwester. Warum verachtest du sie?“ 

Das ist schon eine gute Frage. Wie kommen wir dazu, über andere zu urteilen. Was wissen wir schon über Hintergründe? Ist unser Urteil wirklich so neutral oder prägt nicht unsere eigene Geschichte, prägen nicht unserer eigenen Erfahrungen auch unsere Urteile? Das Leben ist vielschichtiger als dass wir einfache Urteile, einfach Bewertungen abgeben könnten. Warum urteilst du, über: Arbeitslose, Drogenabhängige, Flüchtlinge, Alleinerziehende, Obdachlose, Kirchenferne, Juden, Muslime ………. 13 Hören wir also auf, uns gegenseitig zu verurteilen! Seid vielmehr kritisch gegen euch selbst, wenn ihr euch im Glauben stark fühlt, und vermeidet alles, was einem Bruder oder einer Schwester4 Anstoß bereiten oder sie zu Fall bringen kann. 

So schreibt Paulus der römischen Gemeinde. Es gab da Spannungen, Auseinandersetzungen, ja richtig Zoff in der Gemeinde. Es wurde darum gerungen, wie denn zu Glauben sei. Wie denn der christliche Glaube ausgedrückt werden muss. Voraussetzungen, Frömmigkeitsformen, Liturgie, Kirchenrecht, Zulassung zum Abendmahl, Kindertaufe, Lebenswandel, Plichten,………… 

Diesen Katalog könnten wir noch beliebig verlängern und, sie merken es schon, unschwer können wir die Fragen, die Diskussionspunkte ins Heute übertragen. Kirchentagsfrömmigkeit oder Gebetskreis, pfingstlerische / charismatische Gruppen oder ein politisch engagiertes Christentum. Kinderabendmahl oder Erwachesnentaufe……Wir sind auch als Kirche und als Kirchenmenschen in der Versuchung, das Christsein anderer zu beurteilen und nicht selten auch zu verurteilen. 

Manchmal sind wir schnell bei der Hand, anderen den „richtigen“ Glauben abzusprechen. 

Hören wir also auf, uns gegenseitig zu verurteilen! Seid vielmehr kritisch gegen euch selbst, wenn ihr euch im Glauben stark fühlt, und vermeidet alles, was einem Bruder oder einer Schwester Anstoß bereiten oder sie zu Fall bringen kann. 

So schreibt es Paulus den Römern und so schreibt er es uns. Und das ist bestimmt richtig. Verschiedenheit ist auch immer eine Chance auf Neues. 

Aber ist das alles worum es Paulus geht: Keine Urteile zu fällen, damit unsere Zusammenleben freundlicher und friedvoller wird. Nein, das ist nicht alles. Es geht noch ein bisschen weiter. Die Bibel ist ja nicht nur ein Ratgeber für ein gutes Miteinander. In der Bibel geht es immer auch um Gott. Unser Verhältnis zu ihm und vielleicht noch mehr, sein Verhältnis zu uns. 

Und so heißt es eben auch: 

»So gewiss ich, der Herr, lebe: Alle werden vor mir auf die Knie fallen, alle werden Gott die Ehre geben.« 

So wird also jeder Einzelne von uns sich für sein eigenes Tun verantworten müssen. 

So geht es eben auch darum, dass wir am Ende der Tage beurteilt werden. Deshalb sollen wir mit unseren Urteilen, die wir über andere sprechen vorsichtig sein. Und ebenso vorsichtig wird Gott mit uns sein. Wenn Gott einen Menschen ansieht, dann sieht Gott mehr als das was vor Augen ist. Gott sieht das Herz an (1.Sam.16,7). Das ist der umfassende Blick, geprägt von Liebe. 

Das hat auch Hagar so erlebt. Sie ist die junge schwangere Frau von der ich eingangs erzählt habe, sie kennen vielleicht ihren Namen aus der Bibel. (1. Mo. 16) Dort steht die ganze Geschichte. Hagar ist die Magd Saras und Saras Ehemann, der Vater des Kindes ist Abraham. Anfangs hat Sara hat das so gewollt. Aber dann erträgt sie es nicht mehr und bedrängt Hagar mit aller Härte. Und so will ich die Geschichte dieser Dreiecksbeziehung zu Ende erzählen. 

Hagar flieht, landet in die Wüste, allein, ohne Hoffnung. Aber genau da findet sie eine Quelle und genau da findet sie Gott. Sieht ihr Leben, alles was dazu gehört. Da wo wir nur bruchstückhaft etwas wahrnehmen (und versucht sind zu beurteilen), da sieht Gott das ganze Leben. So sieht er Hagar und so sieht er auch Sara und so sieht er auch Abraham. Und so sieht er auch uns. 

Unter diesem umfassenden, von der Liebe zu uns Menschen geprägten Blick, geht das Leben weiter. Das von Hagar, von Sara und Abraham. Auch unser Leben steht unter diesem Blick Gottes. 

So geht es weiter, nur so. 

Hagar kehrt zurück, geschickt von Gott und sie arrangieren sich, Sara, Abraham und Hagar. Hagar wir ihren Sohn zur Welt bringen: Ismael wird er heißen. Heute gilt er als Stammvater aller Muslime. Und auch Sara wird noch schwanger. Isaak wird ihr Sohn heißen und dessen Sohn Jakob wird der Stammvater des Judentums und damit auch des Christentums werden. 

Hagar erlebt, eigentlich alle Beteiligten, erleben einen Neuanfang, einen Neuanfang der, wenn vorschnell ge- und verurteilt worden wäre, wohl nicht möglich gewesen wäre. Der aber möglich war und immer wieder möglich ist weil Gott sie sieht, weil Gott uns sieht. Wenn Gott einen Menschen sieht, dann sieht er ihn ganz, mit allem was dazu gehört. Nicht nur die Fehler und die Verletzungen. Du bist der Gott der mich sieht, sagt Hagar. Und dieser Blick trägt sie weiter. 

Den Ort an dem Hagar das erlebt hat, den nennen die Leute später Brunnen des Lebendigen, der mich sieht. (1.Mo.16,14)

Amen

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