1. Sonntag nach Trinitatis - 6. Juni 2015

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St. Johannis, OWB

Predigt:
Pfarrer Jörg Mahler

"Sei die Veränderung, die
du in der Welt
sehen möchtest"

Predigttext: Lukasevangelium, Kapitel 19, Verse 19 bis 31:

Es war aber ein reicher Mann, der kleidete sich in Purpur und kostbares Leinen und lebte alle Tage herrlich und in Freuden. 20 Es war aber ein Armer mit Namen Lazarus, der lag vor seiner Tür voll von Geschwüren 21 und begehrte, sich zu sättigen mit dem, was von des Reichen Tisch fiel; dazu kamen auch die Hunde und leckten seine Geschwüre. 22 Es begab sich aber, dass der Arme starb, und er wurde von den Engeln getragen in Abrahams Schoß. Der Reiche aber starb auch und wurde begraben. 23 Als er nun in der Hölle war, hob er seine Augen auf in seiner Qual und sah Abraham von ferne und Lazarus in seinem Schoß. 24 Und er rief: Vater Abraham, erbarme dich meiner und sende Lazarus, damit er die Spitze seines Fingers ins Wasser tauche und mir die Zunge kühle; denn ich leide Pein in diesen Flammen. 25 Abraham aber sprach: Gedenke, Sohn, dass du dein Gutes empfangen hast in deinem Leben, Lazarus dagegen hat Böses empfangen; nun wird er hier getröstet, und du wirst gepeinigt. 26 Und überdies besteht zwischen uns und euch eine große Kluft, dass niemand, der von hier zu euch hinüber will, dorthin kommen kann und auch niemand von dort zu uns herüber. 27 Da sprach er: So bitte ich dich, Vater, dass du ihn sendest in meines Vaters Haus; 28 denn ich habe noch fünf Brüder, die soll er warnen, damit sie nicht auch kommen an diesen Ort der Qual. 29 Abraham sprach: Sie haben Mose und die Propheten; die sollen sie hören. 30 Er aber sprach: Nein, Vater Abraham, sondern wenn einer von den Toten zu ihnen ginge, so würden sie Buße tun. 31 Er sprach zu ihm: Hören sie Mose und die Propheten nicht, so werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn jemand von den Toten auferstünde.

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

Liebe Schwestern und Brüder in Christus!

Letzte Woche im Radio: Babyschreien ist zu hören. Dann die Stimme des glücklichen Vaters: „Endlich bist du da, wir haben ja solange auf dich gewartet!“. Kurze Pause, und dann im typischen Werbestil die Worte: „Wer keine 9 Monate auf Glücksmomente warten will kauft ein Los von Lotto!“.

Ich finde es etwas schon gewagt, das Glück, das die Geburt eines Kindes bringt, mit Glück eines großen Geldsegens zu vergleichen. Klar: Geld braucht man zum Leben. Und für einen Lottogewinn würde man sicher auch Verwendung haben. Aber schon meine Schüler in der 7.Klasse wissen: Glück ist mehr als eine Menge Geld. Zum Glücklichsein gehört eine intakte Familie, gute Freundschaften, Geborgenheit, ein Beruf, der Freude macht… Und soviel mehr gibt es, was glücklich macht, aber nicht käuflich ist. Jesus erzählt im Evangelium des heutigen Sonntags von einem Menschen, der in all seinem Reichtum am Wesentlichen im Leben vorbeigeht.

I.

Da ist ein reicher Mann. Er hatte ein schönes und großes Haus. Er kleidete sich in die feinsten Gewänder. Er aß jeden Tag die köstlichsten Speisen. Und sein Haus hatte auch eine Türe: Die öffnete sich für seine vielen Freunde, die er zu Festen einlud. Doch für jemanden andern blieb sie verschlossen: für Lazarus. Der war arm. Er musste von dem leben, was andere ihm abgaben. Er lag vor der Türe des Reichen, begehrte das zu essen, was bei den festlichen Mahlzeiten des Reichen übrigblieb. Doch scheinbar bekam er nichts oder nur wenig ab. Und er war krank – voller Geschwüre. Er konnte sich nicht gegen die Straßenhunde wehren, die seine Wunden ableckten. Und so lebten beide ihr Leben: Hier der Reiche, dort der Arme, getrennt durch die Türe. Beide lebten sie nur wenige Meter voneinander entfernt, und doch in verschiedenen Welten.

Und dann geschieht, was geschehen muss: Beide sterben eines Tages. Jesus erzählt: Es begab sich aber, dass der Arme starb, und er wurde von den Engeln getragen in Abrahams Schoß.

Er, der soviel Mühsal erleiden musste, Hunger und Kälte und Krankheit und Not – zu ihm kommen in der Todesstunde die Engel Gottes. Und sie tragen ihn empor zu Gott in Abrahams Schoß. Der Schoß ist ein Symbol für Geborgenheit: Eine Mutter legt ihr Kind in ihren Schoß – dort ist es warm und gemütlich, dem Kind fehlt es an nichts, es kann sich ausruhen und genießen. Genauso ergeht  es dem Lazarus nach seinem Tod: Abraham, der Vater des Gottesvolks, kümmert sich selbst um diesen vom Leben geplagten armen Mann.

Wir finden das sympathisch, was mit Lazarus geschehen ist: Ein Mensch, der im  Leben keine Chancen hatte, er bekommt nun nach dem Tod alles, was ihm im Leben verwehrt wurde. Jeden Abend sehen wir in den Nachrichten, wie die Erdbebenopfer in Nepal kein Dach mehr über dem Kopf haben, oder wie Menschen aus Armut oder Krieg zur Flucht getrieben werden, weil sie zu Hause nicht überleben können. Als ich in der Ukraine gearbeitet habe, da hat eine Frau aus meiner Gemeinde, die nicht weit von mir gewohnt hat, jeden Tag die Mülleimer nach Essbarem oder anderweitig Verwendbaren durchgeschaut. Aber auch in Rödental muss manch einer schaun, dass er Geld für den Supermarkt übrig bleibt, wenn alle Nebenkosten gezahlt sind. Es gibt diese Menschen, von denen Jesus erzählt, die im Leben keine Chance haben, denen viel verwehrt wird.

Das waren die Menschen, zu denen Jesus hinging, und denen er gesagt hat: Gott ist auf eurer Seite! Gott will euer Bestes! Deshalb ist diese Geschichte von Lazarus eine Trostgeschichte: Sie zeigt Gottes Wertschätzung. Gott verspricht: Wenn ihr hier ein so hartes Leben führt, dann wird es euch einmal so gehen, wie dem Lazarus. Dann werden euch auch die Engel Gottes abholen und in seinen Schoß geleiten. Es ist ein Geschenk, das er bereithält.

Ein kritischer Hörer wird fragen: Ist das eine Vertröstung auf später, die sich mit der Not abfindet? Zweimal Nein. Denn Erstens: Für die, die keine Chance sehen, dass sich etwas ändert, ist das keine Vertröstung, sondern ein wirklicher Trost: Der offene Himmel über ihnen gibt ihnen Selbstwertgefühl und die Kraft, ihren Weg weiterzugehen. Und zum Zweiten: Dass Gott sich derer annimmt, denen die Türen verschlossen sind, das zeigt uns seine Gerechtigkeit. Und seine Gerechtigkeit soll uns ermuntern, verschlossene Türen aufzutun. Gott will, dass eine Bewegung der Solidarität in unserer Welt in Gang kommt, die heilsam und verändernd wirkt. Das zeigt auch der Fortgang unserer Geschichte.

II.

Was geschieht mit dem Reichen, als er stirbt? Hier erzählt Jesus ganz nüchtern: „Der Reiche aber starb auch und wurde begraben.“. Er wurde nicht von Engeln hinaufgeführt in den Himmel, er wurde begraben, der Unterwelt übergeben. Jesus nennt diesen Ort Hölle und spricht von ihr mit den Bildern seiner Zeit, von einem Ort des Dunkels und der Qual. Die gerechte Folge der Unbarmherzigkeit des reichen Mannes?

Damit ist die Geschichte aber nicht zu Ende. Nun wird sie interessant: Denn es scheint zwischen diesen beiden Orten, dem Himmel und der Hölle, einen Blickkontakt zu geben. Der Reiche sieht den Lazarus, wie es ihm gutgeht bei Abraham und Gott. Und er ruft hinauf: „Vater Abraham, erbarme dich meiner und sende Lazarus, damit er die Spitze seines Fingers ins Wasser tauche und mir die Zunge kühle; denn ich leide Pein in diesen Flammen.“.

Nur eine kleine Linderung will er, einen kleinen Tropfen Wasser. Wenn in dieser Woche 35 Grad vorhergesagt sind, wissen wir, wie gut es tut, einen Schluck Wasser zu trinken: So bekommt unser Körper ein klein wenig Erfrischung. Und der Reiche will gar nicht, dass Abraham ihm den Wassertropfen bringt. Nein, und das ist erstaunlich: Er ist bereit, dass Lazarus, den er nur als stinkenden Bettler kennt, seinen feuchten Finger auf seine Zunge legt! Doch selbst diese kleine Erleichterung der Höllenqualen lehnt Abraham ab: „Abraham aber sprach: Gedenke, Sohn, dass du dein Gutes empfangen hast in deinem Leben, Lazarus dagegen hat Böses empfangen; nun wird er hier getröstet und du wirst gepeinigt. Und überdies besteht zwischen uns und euch eine große Kluft, dass niemand, der von hier zu euch hinüberwill, dorthin kommen kann und auch niemand von dort zu uns herüber.“.

Das ist hart: Es besteht eine große Kluft, die keiner überschreiten kann. So wie einst die Tür vom Haus des Reichen verschlossen war, und Lazarus nicht hereinkam, so ist jetzt auch diese Tür verschlossen: Der Reiche hat keine Chance, in den Himmel zu kommen. Nichteinmal ein Tröpfchen Wasser aus dem Himmel kann zu ihm kommen. Es scheint hier so, als würde der einen Schlussstrich ziehen. Es gibt einmal den Moment, in dem alles zu spät ist. Ein Leben lang hätte sich der reiche Mann ändern können, aber er hat sein ganzes Leben so weitergelebt wie immer, hat die Türe für Lazarus verschlossen gehalten. Und nun ist es für ihn zu spät.

Neben diesem Gleichnis Jesu gibt es natürlich andere Geschichten, die vom großen Erbarmen des himmlischen Vaters erzählen. Und im Glaubensbekenntnis bekennen wir ja auch, dass Christus hinabgestiegen ist in das Reich der Toten, um ihnen, wie es im 1. Petrusbrief heißt, das Evangelium zu predigen und sie einzuladen zum himmlischen Fest. Wir haben die Hoffnung, dass Gottes Erbarmen größer ist als alles andere.

Aber es gibt auch diese anderen Geschichten in der Bibel, die uns Konsequenzen unserer Lebensführung aufzeigen. Wir sollten als Christen den liebenden Vater in unseren Herzen tragen, aber dabei nicht zu schnell über solche unbequemen Texte hinweggehen, sondern uns fragen: Was will Jesus damit erreichen, in uns verändern, dass er uns solches erzählt?

Ich predige fast jeden Sonntag über die Liebe Gottes. Ich erzähle davon, wie Gott uns Kraft gibt und wie der Glaube uns Freude im Leben schenkt. Doch auch diese Geschichte gehört zum Evangelium. Eine Geschichte, die uns wachrüttelt: Der Glaube hat auch etwas damit zu tun, wie wir leben. Dieser Text, der alle zu kurz Gekommenen tröstet, er ist zugleich bitter ernst und stellt an jeden von uns die Frage: Wo bist Du dieser reiche Mann? Was ist Dein Reichtum? Und wo ist der Lazarus, den Du nicht einlässt?

Was ist Dein Reichtum? Besitz, gute Beziehungen, Begabungen, Erkenntnisse, Erinnerungen, Erfahrungen des Glaubens und Erlebnisse mit Gott?

Wo ist der Lazarus, dem Du die Türe öffnen musst? Die andere, der ich durch meine Begabungen, meine Zeit, meine Beziehungen helfen kann? Der Mitmensch, der darauf wartet, dass ich ihm vom Glauben erzähle?

Wenn wir uns selbst diese Fragen stellen, dann kommen wir dem Gleichnis Jesu auf die Spur. Dann löst es heilsame Veränderungen in uns aus. Denn Jesus erzählt es nicht, um zu drohen, sondern um die einen zu trösten und die anderen darauf aufmerksam zu machen, dass zu einem gelingenden Leben auch die Offenheit für andere und ihre Situation gehört. Und oft, da gehören wir gleichzeitig zu beiden Gruppen – zu denen, die Trost brauchen, aber auch zu denen, die regelmäßig Impulse brauchen, um das Gute zu tun.

III.

Der reiche Mann hat das scheinbar endlich begriffen. Nun will er, dass das auch seine Familie begreift und nicht die gleichen Fehler macht wie er. Er wagt es, und richtet noch eine Bitte an Abraham: „So bitte ich dich, Vater, dass du Lazarus sendest in meines Vaters Haus; denn ich habe noch fünf Brüder, die soll er warnen, damit sie nicht auch kommen an diesen Ort der Qual.“.

Diesmal bittet er nichts für sich, sondern er bittet für die Menschen, die ihm wichtig sind. Abraham antwortet: „Sie haben Mose und die Propheten; die sollen sie hören.“.

Tatsächlich: Mose und die Propheten sprechen davon, dass Gott Gerechtigkeit und Frieden zwischen den Menschen will. Eigentlich ist alles gesagt. Es sind Propheten wie Amos, die soziale Ungerechtigkeit anprangern. Es sind Propheten wie Jeremia, die sich in die Politik einmischen und sie kritisch begleiten. Es sind Propheten wie der Apostel Johannes, die für einen Glauben wirbt, der sich in der Tat bewährt. Es sind Stimmen in unserer Zeit, die Partei für die Umwelt und die Tiere ergreifen. Denn Propheten gibt es auch heute. Es sind Stimmen, durch die wir Gottes Stimme hören. Doch der reiche Mann weiß, dass sich leider zu wenige Menschen die Bibel zu Herzen nehmen oder ihr Leben durch die heutigen Propheten in Frage stellen lassen. Deshalb lässt er nicht locker und kommt er mit dem letzten Vorschlag: „Vater Abraham, wenn einer von den Toten zu ihnen ginge, so würden sie Buße tun.“. Und Abraham antwortet: Hören sie Mose und die Propheten nicht, so werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn jemand von den Toten auferstünde.“.

Müssen wir jetzt am Ende der Geschichte resignieren, weil die Menschen sich nicht mehr von Gott bewegen lassen? Nein: Jesus erzählt die Geschichte vom reichen Mann und dem armen Lazarus genau deswegen, dass sich etwas ändert: Die Geschichte lädt uns ein zur Umkehr. Durch diese Umkehr kann die traurige Brutalität des Lebens überwunden werden: der Arme muss nicht arm bleiben. Ihm kann die Tür des reichen Mannes aufgehn. Er kann einen Platz an seinem Tisch finden neben den anderen Gästen und der Familie, und so kann für sein tägliches Brot gesorgt sein. Es freut mich zu erleben, wieviele Menschen für Bedürftige spenden, sich aktiv für Flüchtlinge engagieren, für Senioren und viele mehr. Es gibt viele Menschen, die sich in unsere Kirche, unsere Stadt und unsere Gesellschaft einbringen. Menschen, die sich bewegen lassen.

In früheren Jahrhunderten waren die Menschen aus Angst vor den Folgen nach dem Tod bemüht, die guten Gebote Gottes zu achten und Bedürftige zu unterstützen. Aber ist Angst die richtige Motivation für das Tun des Guten? Ich denke Nein. Auf eine andere Motivation weist ein Sätzchen hin, das ich am Mittwoch in Coburg in der Fußgängerzone sah: An ihrem Beginn im Steinweg war mit bunten Kreiden quer über den Weg geschrieben: „Peace – Be the change you want to see in the world.“. Frieden – sei der Wandel, den du in der Welt sehen möchtest. Friede - zwischen den Menschen, zwischen Menschen, Tier und Natur, zwischen Mensch und Gott. Das ist doch das Idealbild für ein glückliches Leben auf unserer Erde. Der Lottogewinn kann Glücksgefühle auslösen. Mehr noch aber ein neugeborenes Kind. Glück ist soviel Immaterielles wie Geborgenheit in guten Beziehungen. Zum Glück für uns und nachfolgende Generationen gehört aber auch im Einklang mit unseren Mitmenschen, mit der Natur und den Tieren zu leben. Und es entspricht dem, wie sich Gott ein gelingendes Leben vorstellt. Wer die Sehnsucht nach Gottes umfassenden Frieden im Herzen trägt, und wer sich auf Mose, die Propheten und Jesus mit ganzem Herzen einlässt, der schließt seine Türen auf. So zu leben bereichert innerlich. Und dadurch geht eine Bewegung von uns aus. Da wird deutlich, dass wir alle zum Reich Gottes gehören, der reiche Mann und der arme Lazarus, so dass es irgendwann keine Tür mit Menschen davor und dahinter mehr geben muss.

Das wünsche ich mir und dafür bete ich. Be the change you want to see in the world – sei der Wandel, den du in der Welt sehen möchtest! Mit Gottes Hilfe und unter seinem Segen.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unser menschliches Denken und Begreifen, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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