Gottesdienste in Oberwohlsbach und in St. Johannis am Karfreitag - 19. April 2019

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OWB, St. Johannis

Predigt:
Pfarrer Jörg Mahler

"Ihr seid teuer erkauft"

Predigttext: 1. Korinther 6,20

„Ihr seid teuer erkauft; darum preist Gott mit eurem Leibe.“ 

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen. 

1. 

Liebe Gemeinde, 

Ein Junge bastelt sich ein wunderschönes Segelschiff. Mit Liebe und Sorgfalt fügt er die Teile zusammen und hat seine helle Freude an dem gelungenen Werk. Dann lässt er es im Fluss schwimmen. Heiter läuft er am Ufer entlang, während sein Segelschiff ruhig über das Wasser gleitet. Doch plötzlich wird das Schiff von der Strömung fortgerissen. Der Junge kann es nicht mehr erreichen und muss zusehen, wie es verschwindet. 

Wochen später entdeckt der Junge sein Segelschiff in einem Pfandhaus. Dort im Schaufenster liegt sein Boot, das er mit Liebe gebaut hatte. Er geht in das Pfandhaus und erklärt dem Besitzer, er möchte das Boot haben, es wäre sein Eigentum. Doch der Mann hinter dem Tresen zeigt ihm das Preisschild und erklärt: „Wenn du den Preis bezahlst, kannst du das Schiff haben!“ 

Der Junge arbeitet Wochen und Monate, verzichtet auf vieles und hat schließlich die Summe bereit. Er erwirbt sein Segelschiff und geht voller Freude damit nach Haus. Unterwegs streichelt er das Boot und sagt voller Liebe zu ihm: „Nun gehörst du mir zweimal. Einmal, weil ich dich gemacht habe, und ein zweites Mal, weil ich dich teuer erkauft habe.“ 

(Axel Kühner, Voller Freude und Gelassenheit, 102) 

2. 

Liebe Gemeinde, diese Erzählung von dem Jungen ist eine Karfreitagsgeschichte. Und sie ist vielmehr als das. Sie ordnet den Karfreitag ein in die große Geschichte, die Gott mit unserer Welt und uns geschrieben hat und schreibt. 

Mit Liebe und Sorgfalt fügt der Junge die Teile zusammen und hat seine große Freude an dem gelungenen Werk. Mit Liebe und Sorgfalt hat Gott unsere Welt ins Dasein gerufen, den Menschen geschaffen. Er hat dir und mir das Leben geschenkt. Jeder von uns ein individueller Mensch, ein Individuum. Mit unserem Körper. Mit unseren Gaben und Fähigkeiten. Mit unserer Art zu denken und die Welt wahrzunehmen und zu kommunizieren. „Sehr gut“ nennt Gott seine Schöpfung, seine Welt, uns Menschen, dich und mich. 

Das Schiff geht still im Triebe. Die große Freiheit, die uns unser Herrgott geschenkt hat, die nutzen wir. Wir entdecken die Welt. Wir arbeiten, wir gründen Familien, wir fahren in den Urlaub. Wir finden Freizeitbeschäftigungen. Eine Freiheit, die uns guttut. 

Das Schiff geht still im Triebe, ja, bis es von der Strömung fortgerissen wird. 

Wir wissen es selbst: In den zwischenmenschlichen Beziehungen werden wir nicht immer dem anderen so gerecht, wie es sein sollte. Weil es zu sehr um uns und unsere eigenen Bedürfnisse geht, oder weil wir gar nicht wahrnehmen, was der andere nötig hat, oder weil eben einfach einmal ein Wort das andere gibt. Und darunter leiden wir. 

Eine Freiheit ist uns gegeben, die aber auch in Abhängigkeiten führt. Menschen binden sich an Besitz, Konsum und Geld, und das führt zu Egoismus. Menschen wollen nichts verpassen, immer auf Achse sein, und kommen nicht mehr zu sich selbst und zu Gott, entfremden sich. 

Und ich blicke auf Gottes Schöpfung: Abgase der Autos und der Flugzeuge, Verschmutzung des Meeres nicht nur mit Plastik, Müllberge – wir sind so dicht in dieses gesellschaftliche Problem verwoben, das wir nicht entkommen können. 

Beim Blick in die große Welt, da sehen wir auch das große Leid, das Menschen einander antun: Da sind Menschen so verroht und empfinden kein Mitgefühl mehr, dass sie vergewaltigen und töten, Menschen vertreiben und ihnen ihren Frieden und ihre Lebensgrundlage rauben. Solche Nachrichten machen uns immer wieder fassungslos. 

Gott aber sieht diese Not der Menschen, und hat diese Not schon durchs ganze Alte Testament hindurch gesehen. Er will uns zurückholen. Sein Ziel ist, dass wir frei von diesen Mächten werden, frei von Sünde und Schuld. Dass wir in einer positiven Freiheit leben, die ihrem Namen gerecht wird, die uns nicht in neue Verstrickungen führt. Gott will, dass wir endlich mit der Macht des Bösen brechen und unser Leben so gestalten, wie er es sich für vorstellt. Füreinander und miteinander. 

Gott tut etwas, um sein Ziel zu erreichen. So wie jener Junge, der lange dafür arbeitet, sein Boot wieder loszukaufen, der Geld spart, um sich das Boot zurückkaufen zu können. 

Nachdem er schon eine Vielzahl von Propheten gesandt hat, um die Menschen zurechtzubringen, gibt er sich selbst in seinem Sohn in diese Welt hinein. Heilend, Tröstend, Zurechtbringend wirkt er im Heiligen Land. Aber auch Jesus scheint zu scheitern, weil ihm Macht- und Einflussinteressen in den höchsten Jerusalemer Kreisen entgegenstehen. Und so kommt es zum Karfreitag. Der König des Gottesreiches trägt keine goldene, sondern eine Dornenkrone und wurde ans Kreuz genagelt. Ist nun alles aus? - - Nein, wir wissen das besser: Gerade im Kreuz schenkt Gott uns Erlösung und Heil. 

3. 

a. Die ersten Christinnen und Christen haben versucht, diese Bedeutung der Kreuzigung Jesu mit Analogien auszudrücken: Sie haben bekannte Vorstellungen der jüdischen Tradition oder der griechischen Umwelt herangezogen, um das, was da am Kreuz geschieht, verständlich zu machen. Die bekanntesten Bilder vergleichen Jesus mit Passahlamm, durch dessen Blut wir frei von Schuld sind, und mit dem Sündenbock, der die Schuld der Menschen in die Wüste davonträgt und sie dort mit in den Tod nimmt. 

Es gibt aber weitere Bilder, die benutzt wurden, um die Bedeutung des Kreuzes zu veranschaulichen. Eines der eher Unbekannteren ist das vom Loskauf. Erinnern sie sich an unser Bibelwort? Paulus schreibt: Ihr seid teuer erkauft! 

b. Dieses Bild stammt aus dem antiken Sklavenhandel. Sklaven waren eine Handelsware. Sie wurden verkauft und gekauft, hatten keine Rechte. Es gab kaum die Chance für einen Sklaven, jemals frei zu sein. Außer ein Herr schenkt seinem Sklaven die Freiheit. Oder aber: Es kommt ein anderer Herr daher, der diesen einen Sklaven loskauft, damit er frei sein kann, oder damit es ihm bei seinem neuen Herrn besser geht. 

Paulus verwendet diese Vorstellung: Der Mensch als Sklave der Sünde. Die Verstrickung in die Schuld und in alles Lebensfeindliche ist wie so eine versklavende Macht, die Gewalt über uns hat. Und Paulus verwendet den Freikauf eines Sklaven als Analogie und sagt: Gott hat euch von diesen Mächten losgekauft. Ihr gehört nicht mehr diesen Mächten, sondern ihm. Sie haben über euch keine Gewalt mehr. 

Teuer war dieser Loskauf. Gott hat es sich sein Bestes kosten lassen. Sein Sohn: der Kleider beraubt und bloßgestellt. Geschlagen. Gemartert. Mit Dornen gekrönt und verspottet. Ans Kreuz geschlagen, seine Hände und Füße von drei Nägeln durchbohrt. Blut, das fließt. Schmerzen – körperlich und emotional. Sterben. Das ist der allerhöchste Preis, den es gibt, nicht mit Gold oder Silber aufzuwiegen. So teuer bist du erkauft. Das Wort „teuer“ verwenden wir ja auch als Synonym für wertvoll: „Du bist mir teuer“. So wertvoll bist du für Gott. 

c. Das Kreuz zeigt uns: Jesus hat den Teufelskreis des Bösen durchbrochen und sich ganz an Gott und für die Menschen hingegeben. Nicht Gewalt hat das letzte Wort, mit der Gott 

strafend vom Himmel herabfährt, sondern eine Liebe, die alles erduldet, und trotz allem, was dem Gottessohn angetan wird, weiter besteht. Diese Liebe sehen wir am Kreuz. Und diese Liebe ermöglicht uns neues Leben, einen neuen Anfang. 

„Es ist vollbracht“: Die letzten Worte Jesu bevor er starb. Jesus ist seinen Weg zu Ende gegangen. Hat sich mit all den unschuldig Leidenden und den Opfern auf der ganzen Welt solidarisiert und gezeigt: kein noch so großes Leid muss gottlos sein. Es ist vollbracht: Gott hat seine Liebe erwiesen, die bis in den Tod reicht. Es ist vollbracht: Nicht Schuld noch Leid noch Tod trennt mehr von Gott, denn Gott ist am Kreuz mitten in Schuld und Leid gegenwärtig und schenkt seine Nähe. Es ist vollbracht: Aus dem Kreuz kann neues Leben keimen. 

Ihr seid teuer erkauft! Dieses Bild vom Loskauf hat natürlich auch seine Grenzen. Erlösung ist mehr als ein Handel, und es gibt auch kein Gegenüber, dem Gott diesen Preis gezahlt hätte. Aber doch ist es ein anschauliches Bild für den Karfreitag, Loskauf ein anderes Wort für Erlösung. Wir sind losgekauft von der Macht des Bösen, und gehören nun einem neuen Herrn. Einem, bei dem die dunklen Mächte keine Macht mehr haben. Einem, der Freiheit schenkt, bei dem und mit dem es sich gut leben lässt. 

Der Junge hat zu seinem Boot gesagt: „Nun gehörst du mir zweimal. Einmal, weil ich dich gemacht habe, und ein zweites Mal, weil ich dich teuer erkauft habe.“ 

Wir Menschen, wir gehören Gott zweimal. Einmal, weil er uns mit Liebe gemacht hat. Und nocheinmal, weil er uns mit dem Leiden und Sterben seines Sohnes teuer losgekauft hat. 

4. 

Und das hat Auswirkungen auf unser Leben: 

a. Ich bin teuer erkauft. Das hat zunächst Auswirkungen auf meine Seele und Psyche. Diese Freiheit ist innerlich spürbar. Ein Mensch, der sich frei weiß, der kann gelöst und gelassen durchs Leben gehen. Auch wenn wieder die Schuld nach ihm greift, weiß er, wo er Vergebung und neu die Kraft für den guten Weg findet. 

b. Ich bin teuer erkauft. Das hat auch Auswirkungen auf das Zusammenleben mit anderen: Ich sehe im anderen meine Schwester, meinen Bruder. Ich bemühe mich, im Sinne Jesu mit ihnen umzugehen. Und wenn dies mehr und mehr Menschen verinnerlichen, dann geht vom Kreuz eine Liebesbewegung aus, die das Potential hat, auch die Gesellschaft und die Welt zu verändern. 

c. Ich bin teuer erkauft. Das hat auch Auswirkungen auf unsere innere Haltung Gott gegenüber: Wer das in der Tiefe seines Herzens begriffen hat, der will dann gerne und ganz bewusst zu Gott gehören. 

d. Ich bin teuer erkauft. Von noch einer Auswirkung schreibt Paulus den Korinthern: „Ihr seid teuer erkauft; darum preist Gott mit eurem Leibe.“. 

Interessant, dass Paulus hier von unserem Körper spricht. Der Grund ist ganz einfach, und liegt in der speziellen Situation der Gemeinde in Korinth begründet: Viele nahmen es mit ihrem Körper nicht so genau, von Hurerei und anderen Dingen hat Paulus erfahren. Und die Korinther hatten dafür eine gute Begründung: Die Erlösung beziehe sich nur auf den inneren Menschen, was der Körper tut, das wäre egal. Dem widerspricht Paulus. Leib und Seele bilden eine Einheit und sind vernetzt. Den Leib bezeichnet er als Tempel des Heiligen Geistes. Auch dem Leib gilt die Erlösung. Und erwarten wir nicht auch die leibliche Auferstehung nach unserem Tod? Auch der Leib soll nicht mehr fremden Mächten gehören. 

Wie halten wir es denn mit unserem Körper? Es gibt emotionale und seelische Zustände, die wirken sich körperlich aus. Vor Angst bleibt einem das Herz fast stehen, vor Aufregung oder Verliebtheit kann es schneller schlagen. Das Gesicht wird schamrot oder erblasst. Der Körper reagiert, besonders das Herz ist mit dem Seelenleben verbunden. Bei zuviel Stress und Hektik verkrampft sich das Herz, es gerät aus dem Rhythmus, und das führt zu Durchblutungsstörungen. 

Ihr seid teuer erkauft! Das gilt auch für unseren Körper. Auch er soll sich frei fühlen. Preist Gott mit eurem Leib, sagt Paulus. Achten wir doch auch ein wenig mehr auf unseren Körper, lassen wir ihn auch einmal zur Ruhe kommen. 

Es gibt die Redensart „mit Haut und Haar“. Das meint: Wir als ganzer Mensch, mit allem, was dazugehört. Mit Haut und Haar sind wir erlöst von der Macht des Bösen. Mit Haut und Haar gehören wir zu Christus. 

Liebe Gemeinde: Teuer erkauft und doch im täglichen Leben jämmerlich versklavt von dunklen Mächten und Abhängigkeiten. Das darf nicht sein. 

Entdecken wir die Freiheit, die uns Gott geschenkt hat, in dem er uns losgekauft hat. Und preisen wir unseren Gott, auch und gerade am Karfreitag: Preisen wir ihn mit Gebeten und Liedern, mit einer Seele, die sich frei weiß und sich der Verantwortung füreinander bewusst ist, preisen wir ihn mit dem Körper. 

Die Geschichte vom Jungen und seinem Boot ist eine Karfreitagsgeschichte und weit mehr: mit Liebe gemacht, von der Strömung fortgerissen, losgekauft: Das ist die Geschichte Gottes mit der Welt. Das ist die Geschichte Gottes mit jedem einzelnen von uns, mit dir und mir. Das ist eine Geschichte, in der der Karfreitag ganz wichtig ist, weil er zeigt, wie wertvoll wir für Gott sind. Und das ist eine Geschichte, die weitergeht. Die uns zu neuem Leben führt, das sich dem Kreuz verdankt und von dort aus seine Qualität bekommt. Ein Leben in Freiheit von den dunklen Mächten. Ein Leben, das sich in aller Freiheit selbst an Gott bindet, und Verantwortung übernimmt. Amen. 

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.