Gottesdienst in St. Johannis am Sonntag Exaudi am 2. Juni 2019

 
Gabriele Hantke

St. Johannis

Predigt:
Prädikantin
Gabriele Hantke

"Die Kraft des Gebets"

Bitte um den Geist Gottes 

Lasst uns miteinander in der Stille um den Segen des Wortes Gottes bitten. (Stille) 

Der Herr segne Reden und Hören. Amen. 

Wie gut es doch tut, wenn ich Freunde, wenn ich Geschwister im Glauben darum bitten kann, für mich zu beten! 

Ich weiß nicht, ob Sie diese Erfahrung auch schon gemacht haben. Natürlich ist es schön, wenn ich einer vertrauten Person einfach auch nur etwas erzählen kann, was mich bewegt, was mich beschäftigt, was mir Sorgen oder Kummer macht. Allein das erleichtert und entlastet schon. Aber wie viel mehr erleichtert und entlastet es, wenn ich mit dem- oder derjenigen beten kann, das in die Hände dessen legen kann, der die ganze Welt in Händen hält! Und ich kann aus eigener Erfahrung nur sagen, es ist heilsam zu wissen, dass jemand mich in sein Gebet einschließt. Ganz abgesehen davon, dass das Gebet auch tatsächlich etwas bewirkt – wenn ich auch manchmal erstaunt bin, auf welche Weise. 

Auch unser Predigttext, der uns für diesen Sonntag vorgegeben ist, ist eigentlich ein Gebet, eine Fürbitte. 

Predigttext (Eph 3,14-21): 

Deshalb beuge ich meine Knie vor dem Vater, der der rechte Vater ist über alles, was da Kinder heißt im Himmel und auf Erden, dass er euch Kraft gebe nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, stark zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen, dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne und ihr in der Liebe eingewurzelt und gegründet seid. So könnt ihr mit allen Heiligen begreifen, welches die Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe ist, auch die Liebe Christi erkennen, die alle Erkenntnis übertrifft, damit ihr erfüllt werdet mit der ganzen Gottesfülle. Dem aber, der überschwänglich tun kann über alles hinaus, was wir bitten oder verstehen, nach der Kraft, die in uns wirkt, dem sei Ehre in der Gemeinde und in Christus Jesus zu aller Zeit, von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.
Herr, gib uns ein Wort für unser Herz und ein Herz für dein Wort. Amen. 

Da betet einer für eine ganze Gemeinde. Für die Menschen in der Gemeinde in Ephesus. Ich bin gleich daran hängen geblieben: Wie wichtig es ist, dass wir füreinander beten! Herr, höre meine Stimme, wenn ich rufe, sei mir gnädig und erhöre mich! Genau das, zu dem uns der Sonntag Exaudi einlädt! 

Viele treue Christen und treue Freunde tun dies – sie beten für ihre Familien, für ihre Freunde, für ihre Nachbarn! Und obwohl dies völlig im Verborgenen geschieht, manchmal der, für den gebetet wird, das gar nicht weiß, haben diese Gebete eine nicht zu unterschätzende Bedeutung und Kraft! So ist dieser Text eine Ermutigung an die, die Fürbitte leisten, das auch weiter zu tun! Und eine Einladung an die, die damit nicht so vertraut sind, sich darauf einzulassen! Denn beten heißt ja, den Kontakt zum Schöpfer nicht abreißen zu lassen, sondern ganz im Gegenteil diesen zu suchen! 

Auch in jedem Gottesdienst folgen wir dieser Einladung, andere Menschen in unseren Gebeten mit zu tragen. Wir tun dies im Fürbittgebet am Ende des Gottesdienstes. Das gehört zu unserem Auftrag als Kirche! Und – wir sollten als Christen auch für unsere Kirche, für unsere Gemeinden beten! Gerade in Zeiten wie diesen, in denen die Kirche unruhigen Gewässern, ja, vielleicht sogar Krisen entgegensteuert, ist das bitter nötig! 

Wir sollten darum beten, dass da, wo unsere Kirchen auch nicht ganz unschuldig an der Krise sind, wo wir in den Kirchen durch Missbrauch und Missstände Menschen abschrecken, weil sich Vertreter der Kirchen schuldig gemacht haben, dass da die rechte Klarheit im Denken, Reden und Handeln in unsere Kirchen kommt. 

Wir sollten darum beten, dass da, wo wir als Gemeindeglieder durch unsere Laschheit und Unverbindlichkeit dem Bedeutungsverlust Vorschub leisten, der Geist Gottes uns wieder erfrischt, damit wir Christen leuchten in der Welt und Zeugnis ablegen. 

Natürlich ist in unseren Kirchen und Gemeinden nicht alles in Ordnung. Natürlich ist der Mitgliederschwund – und die möglichen Konsequenzen für die Gemeinden – erschreckend. Natürlich sind viele zu Recht entsetzt über den Traditionsabbruch gerade auch bei den Jüngeren, die oft nicht einmal mehr wissen, dass Weihnachten herzlich wenig mit Rentieren, dass Ostern nichts mit Hasen oder Christi Himmelfahrt mit biergefüllten Bollerwagen zu tun hat. Aber stimmen wir in das allgemeine Lamentieren und Schimpfen ein und verfallen in depressive Weltuntergangsstimmung, oder legen wir das in Gottes Hände und bitten ihn um Seinen guten Heiligen Geist, der erneuert und stärkt? 

Die Jünger, erst erfreut von der Auferstehung Jesu, dann aber doch wieder erschreckt und entmutigt vom Weggang Jesu an Himmelfahrt, hatten ihn bitter nötig, den Geist Gottes, den Jesus ihnen verheißen hat! Uns kommt es manchmal auch so vor – Jesus ist nicht fassbar, wir fühlen uns auch irgendwie allein in dieser unsicheren kirchlichen Situation. Bitten wir um den Geist Gottes, der auch uns verheißen ist! 

In diesem Gebet wird Gott beschrieben als guter Vater. Jesus hat seinen Jüngern – und damit auch uns Christen heute – mit dem Vaterunser ein Gebet geschenkt, in dem er uns aufruft und einlädt, genau das in Gott zu sehen, den liebevollen Vater! Wenn Jesus ‚Vater’, aramäisch ‚Abba’ sagt, ist das schon fast wie unser ‚Papa’ – und drückt damit größtes Vertrauen aus. Ich weiß, dass die Väter in unserer Welt nicht immer perfekt sind, manche gar problematisch. 

Aber wenn Jesus Gott den ‚rechten Vater’ nennt, dann hat er einen im Blick, wie er ihn im Gleichnis vom verlorenen Sohn beschreibt: einen Vater, der nicht aufhört, sein Kind zu lieben, wie weit es sich auch entfernt hat vom ihm, was immer es auch angestellt hat, einen Vater, der nicht aufhört, nach seinem Kind Ausschau zu halten und dem es nicht im Traum einfallen würde, es zurückzuweisen oder Bedingungen zu stellen, bevor er es wieder lieb hat! 

Und dieser Vater im Himmel, davon ist der Beter im Epheserbrief überzeugt, der will uns, jedem einzelnen, aber auch unseren Gemeinden, nur Gutes geben: Er betet um Kraft, stark zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen. 

Vielleicht kennen Sie das auch: da gibt es Menschen, die werden vom kleinsten Lüftchen umgeweht. Und da gibt es die, die den Stürmen des Lebens eine innere Kraft und Gewissheit entgegensetzen, dass man staunt! Um solch eine innere Kraft sollten wir bitten. Dann können wir an den Herausforderungen des Lebens wachsen. 

Was ist es, das uns diese Kraft gibt? Auch darauf gibt uns der Text eine Antwort: dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne und ihr in der Liebe eingewurzelt und gegründet seid Auch dazu brauchen wir den Geist Gottes! 

Wir können die Wohnung unseres Herzens bereiten. Wir können damit beginnen, das herauszufegen, was im Weg ist. Wir können Platz machen, die vielen unnötigen Dinge aus dem religiösen Supermarkt hinauswerfen. Aber dass Christus in uns Wohnung nimmt, das ist ein Geschenk Gottes. Aber fangen wir an, laden wir ihn in unser Leben ein! 

Wir können den Boden bereiten, lockern, Steine rausklauben, mit Gebet und Wort Gottes düngen, aber dass wir Wurzeln schlagen in der Liebe Gottes, bleibt ein Geschenk Gottes! Aber fangen wir an, lockern wir den Boden und hören auf, alte Pfade festzutrampeln! 

Von der Breite, Länge und Höhe ist die Rede. Das ist eine Raumbeschreibung! Gott stellt uns in so einen Raum hinein. Und gibt diesem Raum noch eine andere Dimension: die Tiefe. Wo haben wir solche Räume schon erlebt, die dem Leben plötzlich eine ganz neue Tiefe geben? Die plötzlich etwas eröffnen? Etwas spüren lassen davon, dass Gottes Liebe, wie es das Kinderlied sagt, so hoch ist, dass nichts höher sein kann, so tief, dass nichts tiefer sein kann, so weit, dass nichts weiter sein kann, dass sie einfach wunderbar ist? Vielleicht in unserer Gemeinde, wenn wir merken, sie trägt uns, wenn es uns nicht gut geht, oder wir können andere mittragen. 

Vielleicht, wenn wir erleben, dass Jugendliche etwas auf die Beine stellen für die Gemeinde, für die Kirche, für andere? Vielleicht, wenn ich sehe, wie angesichts der scheinbaren Aussichtslosigkeit in der Klimapolitik Jugendliche mit der „Friday for Future“-Bewegung etwas auf die Beine stellen und nun doch Politiker zum Nachdenken und hoffentlich uns alle zum Handeln bewegen. 

Ich fahre gern im Urlaub in andere Länder. Vor ein paar Jahren war ich in England, in Norwich. Ich war dort am ersten Abend in der Kathedrale in einem Evensong, einem liturgischen Abendgebet. Da waren, wenn auch in der anderen Sprache, die vertrauten Worte in den Gebeten und Liedern, die getragen haben. Ich war am Sonntag auch in einem Gottesdienst in einer kleinen Gemeinde, wurde danach sofort zum Kirchenkaffee eingeladen, war willkommen, habe eine tiefe Gemeinschaft gespürt. Vielleicht haben Sie ja auch schon solche Urlaubserfahrungen gemacht? 

Vielleicht kommen in einer alltäglichen Situation plötzlich ganz tiefgreifende Fragen auf? Mich hat neulich eine 9. Klasse verblüfft, die nicht nur den Unterrichtsstoff wiederkäute, sondern in der einige echt nachzufragen begannen, und eine Offenheit im Gespräch entstand, die solche Räume eröffnete. 

Vielleicht haben Sie – an einem schönen Wochenende oder im Urlaub – einen Sonnenauf- oder untergang erlebt, eine Bergtour oder Radtour gemacht mit besonders schönem Panorama, oder haben die Weite des Meeres bestaunt, dass Ihnen das Herz aufgegangen ist und Sie über die Größe und Schönheit der Schöpfung Gottes nur staunen konnten? Räume, in die Gott uns stellt. 

Die Jünger kamen sich zwischen Himmelfahrt und Pfingsten eher vor wie in einen leeren Raum geworfen. Und manchmal geht es uns auch so. Aber vielleicht zeigen ja diese anderen Erfahrungen, dass Gott uns eben nicht in einen leeren Raum stellt, sondern in einen Raum voller Liebe. 

Mit dem Verfasser des Epheserbriefes bete ich darum, dass uns diese Liebe Gottes erfüllen möge – so, dass unser Herz überfließt von dieser Fülle, wir etwas davon weitergeben möchten. Wenn dem so ist, habe ich dann doch keine Angst um unsere Kirche! 

Der Predigttext endet mit einem Lobpreis Gottes. Auch das macht mir etwas deutlich: Der Beter traut Gott wirklich etwas zu! Das ist kein verzagtes Gebet, so nach dem Motto: Nun, Herr, vielleicht, und falls es dir eventuell möglich ist, und vielleicht kannst du ja… Nein, zu dem Gott, der überschwänglich tun kann, wendet er sich. Und dem gibt er alle Ehre! 

Trauen wir Gott etwas zu! Lassen wir uns aus Zweifel und Mutlosigkeit herausrufen! Lassen wir uns von der Liebe des Höchsten beschenken! Lassen wir uns vom Geist Gottes beflügeln! So können wir Christen, so kann Kirche zum Segen für andere werden! 

Und lassen Sie mich schließen mit dem Lobpreis aus dem Epheserbrief: Dem aber, der überschwänglich tun kann über alles hinaus, was wir bitten oder verstehen, nach der Kraft, die in uns wirkt, dem sei Ehre in der Gemeinde und in Christus Jesus zu aller Zeit, von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen. 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.