Gottesdienst am 1. Sonntag nach Trinitatis - 14. Juni 2020

 

St. Johannis

Predigt:
Diakon Günter Neidhardt

"Er hat ein offenes Ohr dafür"

Liebe Gemeinde!

Sie waren ein Herz und eine Seele. Mit diesem Ausdruck beschreiben wir die Verbindung zwischen zwei Menschen, die sich lieben, zwischen Menschen die in besonderer Zuneigung miteinander verbunden sind: beste Freunde; Verwandte. Menschen, die sich ohne Worte verstehen und einmütig sind. Seelenverwandte.

Die Menge der Gläubigen aber war ein Herz und eine Seele.

Diese Beschreibung der ersten christlichen Gemeinde, damals nach Himmelfahrt und Pfingsten, steht am Beginn der Apostelgeschichte im 4. Kapitel und ist unser heutiger Predigttext:

Die Menge der Gläubigen aber war ein Herz und eine Seele; auch nicht einer sagte von seinen Gütern, dass sie sein wären, sondern es war ihnen alles gemeinsam. Und mit großer Kraft bezeugten die Apostel die Auferstehung des Herrn Jesus, und große Gnade war bei ihnen allen. Es war auch keiner unter ihnen, der Mangel hatte; denn wer von ihnen Land oder Häuser hatte, verkaufte sie und brachte das Geld für das Verkaufte und legte es den Aposteln zu Füßen; und man gab einem jeden, was er nötig hatte. Josef aber, der von den Aposteln Barnabas genannt wurde – das heißt übersetzt: Sohn des Trostes –, ein Levit, aus Zypern gebürtig, der hatte einen Acker und verkaufte ihn und brachte das Geld und legte es den Aposteln zu Füßen. 

Beten wir einen Augenblick in der Stille und bitten Gott um Segen für sein Wort.

Liebe Schwestern, liebe Brüder!

Szenenwechsel. Wir sind so Ende der 1970er Jahre und im Rummelsberger Brüderhaus. In dem gemeinschaftlichen Wohnhaus der angehenden Diakone wird so manche lange Nacht unter den jungen Brüdern, also den Diakonenstudenten, heiß diskutiert. Einer davon war ich.

Und es ging um nichts weniger als die Zukunft der ganzen Welt, um die Zukunft eines gerechten Miteinanders. Zusammen in kleinen Wohngemeinschaften leben, besitzlos, miteinander teilen, einer ist für den anderen da! 

Ja, wirft einer ein. Und das muss weltweit gedacht und verwirklicht werden.

Aber wir leben doch schon in einer Brüderschaft, haben uns doch schon für Gemeinschaft entschieden. Schön und gut, so der nächste Mitbruder, aber wir müssen da doch viel konsequenter, radikaler sein. Alle unsere Gehälter in einen Topf und dann wird das ausbezahlt, was jeder braucht.

Macher war dann doch etwas skeptischer. Wir reden uns leicht, als Bafög Bezieher, wenn man eh nichts hat lässt es sich ja leicht vom Teilen reden. Und haben solche Utopien je funktioniert?

Und dann gab es da auch eine kleine Minderheit die dem evang. Arbeitskreis der CSU nahestanden und lauthals „Kommunismus“ riefen.

Andererseits, das lässt sich nicht leugnen, so wie die erste christliche Gemeinde von Lukas beschrieben wird, kommt das einer Utopie schon sehr nahe. Mit Kommunismus hat es nichts zu tun, wohl aber mit der Freiheit des Umgangs mit Eigentum. Irgendwann, meist spät, endeten die Weltrettungsstrategien der Diakonenstudenten, um die Diskussion bei nächster Gelegenheit wieder aufzunehmen.

Ihr Lieben, 

was haltet ihr von so einer Idee des Teilens, des miteinander Lebens?

Da ist schon so etwas wie eine innere Freiheit von Besitz zu spüren. Da kann auch mal was abgegeben und verkauft werden. Die Not beim anderen wird wahrgenommen. – Ist das zumutbar oder nur Utopie? Realitätsfremd? Die Welt ist halt nicht so.

Ja, es ist wohl so, dass die Apostelgeschichte, bzw. der Abschnitt der uns heute beschäftigt, ein idealisiertes Bild von den Anfängen der ersten Christengemeinden zeichnet: das einmütige Beisammensein in den Häusern, der Gottesdienst dort und die Gütergemeinschaft. 

Die Apostelgeschichte ist aber auch so ehrlich, von Konflikten und Betrug innerhalb dieser ersten Christengemeinde zu berichten. 

Der Rückblick auf unsere christlichen Anfänge ist dennoch durchaus spannend und auch für uns heute zukunftsweisend. Der Verfasser der Apostelgeschichte will mit seiner Erzählung in die Gemeinden nach innen wirken: So soll es sein.  Und zugleich betont er die Außenwirkung. So, wie die Christen leben, so werden sie wahrgenommen. Ihr Leben ist wie Verkündigung des Wortes Gottes. Sie müssen anders leben als die Menschen, die nicht erlöst sind.

Der Philosoph Friedrich Nietzsche hat das mal ehr spöttisch so formuliert: „Die Christen müssten viel erlöster aussehen, wenn ich an einen Erlöser glauben sollte.“

Da ist schon ein bisschen was dran. So wie die Christen leben, so werden sie wahrgenommen und so wird das ganze Christentum wahrgenommen und damit auch die Kirche.

Sie kennen das: Da schämt man sich über einen anderen, der auch Gemeindeglied ist – wie kann der nur…….

Sie kennen das: Da sagt eine, die ohne Konfession lebt: „Also bei den Christen ist es auch nicht besser als bei den anderen. Scheinheilig finde ich das.“

Vielleicht kennen Sie auch Kirchengemeinden, in denen großer Streit herrscht.

Am Miteinander muss man arbeiten – ein Herz und eine Seele werden, das ist Ziel und Wunsch und Arbeit. Ja, ich würde zuspitzen und sagen: Ein Herz und eine Seele werden, daran müssen wir arbeiten, darum dürfen wir beten und dabei wissen wir Gott an unserer Seite. 

Es gibt dieses wunderbare ruhige Lied von Manfred Siebald. Ein christlicher Versuch ein Herz und eine Seele zu werden, auch mit den Menschen, mit denen wir es manchmal schwer haben.

Es heißt dort: „Manchmal spreche ich ganz leise Deinen Namen aus vor Gott und ich sage ihm, was ich weiß von Dir": 

Hören wir uns dieses Lied an, gesungen von Manfred Siebald:

Manchmal spreche ich ganz leise Deinen Namen aus vor Gott 
und ich sage ihm, was ich so weiß von Dir: 
Deine Schmerzen, Deine Freuden, 
was Du träumst und was dir droht,

und ich weiß: Er hat ein offnes Ohr dafür. 
Danken will ich Ihm für Deine Kräfte 
und für das, was Deinen Händen glückt, 
bitten will ich Ihn, dass Du noch ruhen kannst 
und dass Dich die Arbeit nicht erdrückt. 
Manchmal spreche ich ganz leise Deinen Namen aus vor Gott 
und ich sage ihm, was ich so weiß von Dir: 
Deine Schmerzen, Deine Freuden, was Du träumst und was Dir droht 
und ich weiß: Er hat ein offnes Ohr dafür. 
Danken will ich Ihm für jeden Engel, 
der Dich heimlich schützt und der Dich trägt. 
Bitten will ich, dass die Wunden heilen, 
die die Welt Dir manchmal dennoch schlägt. 
Manchmal spreche ich ganz leise Deinen Namen aus vor Gott 
und ich sage ihm, was ich so weiß von Dir: 
Deine Schmerzen, Deine Freuden, was Du träumst und was Dir droht 
und ich weiß: Er hat ein offnes Ohr dafür. 
Danken will ich Ihm für Deinen Glauben, 
auch den kleinen, den Du oft versteckst, 
bitten will, dass Dein Glaube fest wird 
und dass er ins Licht des Himmels wächst.“  

Liebe Gemeinde,

ein Herz und eine Seele sein, das ist Auftrag und Ziel unserer Arbeit. In der Apostelgeschichte steht auch, dass Gnade ist: und eine große Gnade war bei ihnen allen.

Das Innenleben einer Gemeinschaft will ehrlich und differenziert betrachtet werden. Das gilt aber ebenso für die Außenwirkung einer Gemeinschaft:  Wie wirkt das Zusammenleben auf andere? Sind wir als Gemeinde eine verschworene, abschlossen, wohlig eingerichtet? Wir drinnen, die draußen?

Wie passt unser Gemeinschaftsbild zu unserer so ausdifferenzierten Gesellschaft? Ist mehr Offenheit gefragt oder mehr Konzentration aufs eigentliche. Wie ermöglichen wir allen einen einfachen Zugang zum Evangelium. Profil und Konzentration, das ist die Überschrift über einen Prozess zur Gestaltung der zukünftigen Kirche. Profil und Konzentration, darum geht es wirklich.

Und ja, natürlich, Veränderungen machen unsicher, sind vielleicht auch mit Konflikten verbunden. Das gemeinsame Ringen bliebt uns aber nicht erspart. Einfach ist das nicht. Aber es ist, aus meiner Sicht, höchste Zeit ernsthaft über die zukünftige Kirche zu diskutieren, zu streiten, zu experimentieren ohne dabei lang geübte Praxis leichtfertig aus den Augen zu verlieren.

Augenzwinkernd hält uns Lothar Zenetti, ein inzwischen verstorbener katholischer Priester, den Spiegel vor wen er schreibt: 

Frage 100 Katholiken was ist das Wichtigste in der Kirche, sie werden sagen: Der Gottesdienst. Frage 100 Katholiken was ist das Wichtiges am Gottesdienst, sie werden sagen: Die Heilige Messe. Frage weiter 100 Katholiken was ist das Wichtigste an der Heilligen Messe, so werden antworten: Die Wandlung. Sage 100 Katholiken, das Wichtigste an der Kirche ist die Wandlung.  Nein, auf keinen Fall, alles soll so bleiben wie es ist.“   

Liebe Gemeinde,

es lohnt sich sehr die Apostelgeschichte und besonders die Berichte über die erste christliche Gemeinde zu lesen. Wir werden dort nicht fertige Rezepte, gültig für alle Ewigkeit,  finden. Aber: Fragen und Lösungswege die damals gefragt und gegangen wurden, können Ansatzpunkte für uns und für heute sein. Eine Verknüpfung von innerem Gemeindeleben und dem weiten Blick auf die Verantwortung für die ganze Welt gehört unverzichtbar dazu und zusammen.

Ein Lösungsweg damals war übrigens die Berufung und Einsetzung von Diakonen.

Das bringt mich schließlich zurück zum Anfang, ins Rummelsberger Brüderhaus und zu den Diakonenstudenten die nichts mehr und nichts weniger wollten als die Welt zu retten. Was ist daraus geworden? Nun, zunächst mal sind wir (fast alle) Diakone geworden (Diakoninnen gab es damals noch nicht), Menschen die sich Brüder nennen in Gemeinschaft verbunden sind, voneinander wissen und am Leben der Anderen Anteil nehmen, auch weltweit. Und ja auch einen Teil Ihres Gehalts abgeben. Was noch? Naja bis heute diskutieren, streiten, predigen, handeln wir, wie die Welt besser wird. Wie Gottes Reich schon auf dieser Erde Raum gewinnt.

Amen