Predigt zum 2. Sonntag nach Epiphanias - 15. Januar 2023

Esther Böhnlein
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Predigt:

Pfarrerin Esther Böhnlein

"Wir haben Gottes Spuren festgestellt"

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!

Liebe Gemeinde,

am Freitag, den 3. April 2016 habe ich Gott getroffen. Der Ort, an dem ich ihn gesehen habe, hat mich überrascht. Seit wenigen Tagen erst wohnte ich damals in Berlin. Vermutet hätte ich Gott also zum Beispiel im Berliner Dom oder in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Stattdessen fuhr er – wie ich – mit der S-Bahn Nr. 7 vom Berliner Hauptbahnhof in Richtung Zoologischer Garten. Gott war ein junger Mann, vielleicht Anfang 30. Seine Klamotten waren zerrissen, er war barfuß. Der Waggon um ihn blieb leer, niemand wollte ihm zu nahe kommen. Die Fahrt dauerte nur wenige Minuten, schon war er wieder verschwunden. Der Gedanke an Gott, der kam mir erst beim Aussteigen. Es war ja kein gewöhnlicher Freitag. Nein, was war Karfreitag. Und in der S-Bahn ein junger Mann Anfang 30, barfuß und mit zerrissenen Klamotten. Eine absurde Situation. Meine Begleitung äußerte nach dem Aussteigen denselben Gedanken. Gott, der mit der S7 fährt. Die Erinnerung daran hat sich mir eingebrannt. Eine Begegnung mit Gott? Keine realistische Option. Die Neugierde darauf bleibt aber. Und ich bin damit nicht allein.

Unser heutiger Predigttext steht im 2. Buch Mose im 33. Kapitel:

Und Mose sprach: Lass mich deine Herrlichkeit sehen! Und er sprach: Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte vorübergehen lassen und will ausrufen den Namen des Herrn vor dir: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich. Und er sprach weiter: Mein Angesicht kannst du nicht sehen; denn kein Mensch wird leben, der mich sieht. Und der Herr sprach weiter: Siehe, es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Fels stehen. Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felskluft stellen und meine Hand über dir halten, bis ich vorübergegangen bin. Dann will ich meine Hand von dir tun, und du darfst hinter mir her sehen; aber mein Angesicht kann man nicht sehen.

Ein bisschen verwundert bin ich schon über Mose. Hatte er doch die bisherigen 33 Kapitel im 2. Buch Mose so viel Kontakt zu Gott, wie wir es uns nur erträumen können. Schon im 3. Kapitel begegnet Gott Mose im brennenden Dornbusch, stellt sich ihm sogar vor. Spricht mit ihm, macht ihm Versprechungen und hilft Mose dabei, das Volk Israel aus der Sklaverei in Ägypten zu befreien. Eine Erfolgsgeschichte. Wieso fragt Mose trotzdem, ob er Gott sehen darf? Und dann ist es noch nicht einmal eine Frage, sondern eine Aufforderung:

Und Mose sprach: Lass mich deine Herrlichkeit sehen! Und Gott antwortet ihm: Mein Angesicht kannst du nicht sehen.

Gott sehen – das klappt also nicht. Der Wunsch danach ist trotzdem geblieben. Mose möchte mehr über Gott wissen, als es gerade der Fall ist. Für Glaubende bedeutet dies vermutlich nur den Wunsch nach mehr Details. Für Menschen, die nicht glauben der gerade sehr hadern, wird damit die Sehnsucht angesprochen, Gewissheit über die Existenz Gottes zu erlangen.

Und es wäre doch auch irgendwie schön, Gott mit eigenen Augen sehen zu können. Nie wieder Glaubenszweifel, nie wieder Unsicherheit. Ein Beweis, zack, alles ist klar.

1) Es gibt tatsächlich eine Nische in unserem menschlichen Leben, in dem Menschen davon berichten der Herrlichkeit Gottes nahe gekommen zu sein. Quer durch alle Altersschichten hindurch lösen sogenannte Nahtoderfahrungen daher eine große Faszination aus: Das sind Erlebnisse, die Menschen machen, die fast tot sind. Beispielsweise, weil das Herz aufgehört hat zu schlagen, während die Person gerade notoperiert wird. Eine Suche im Internet ergibt schnell unzählige Berichte von solchen Erlebnissen. Wissenschaftler forschen schon länger in diesem Bereich, um Nahtoderlebnisse besser verstehen zu können. Sie haben herausgefunden, dass die Erlebnisse ein bestimmtes Muster aufweisen. Sie ähneln sich, ohne, dass die vielen Abertausenden sich hätten absprechen können. Einmal ist da ein Tunnel, einmal eine Brücke. Helles, warmes Licht. In der Sendung „Quarks“ der ARD erzählt Christina von ihrem Erlebnis. Während einer Operation am offenen Herzen war sie 23 Minuten klinisch tot. Sie sah sich selbst von oben, konnte den Ärzten zuhören. „Ich konnte mir ein Bild vom Himmel machen. Die Farben waren anders als auf der Erde. Man hat sich sofort wohlgefühlt. Aus der Entfernung haben mir meine verstorbenen Großeltern zugewunken“, erzählt Christina. Andere wiederum, reißt das eigene Erlebnis in den Zweifel. Ein Mann berichtet davon, dass er schon einmal fünf Minuten tot war. In diesen fünf Minuten war da nichts. Kein Licht, keine Wiese, keine Verwandten, kein Gott. Nun zweifelt er an seinem christlichen Glauben.

2) Zum Glück kommt nicht jeder und jede in die Situation, ein Nahtoderlebnis zu haben. Und dennoch gibt es Momente im Leben, die wir in die Kategorie Gotteserfahrung einsortieren. Bei Mose ist es ja auch so: Er darf Gott nicht ansehen. Er darf ihm nur Hinterhersehen. Erst im Zurückblicken, im Rückblick also erkennt er Gott. Es ist doch auch in unseren Leben so, dass manchmal ein Erlebnis oder etwas Beobachtetes einfach erst im Nachhinein mit der Nähe Gottes in Verbindung gebracht werden kann. Erst, wenn nach einer aufwühlenden Erfahrung etwas Zeit vergangen ist und zurückgeblickt wird. Wir sprechen zum Beispiel von Schutzengeln, wenn jemand nur knapp einem Unfall entgangen ist. Von einer schicksalshaften Fügung oder von einem Wunder.

3) Und Gott wusste um unsere menschliche Neugierde auf ihn. Also hat er Spuren hinterlassen, überall. Wir müssen uns nur auf die Suche machen. Oder richtig hinschauen. Gottes Spuren in der Schöpfung, in der Natur. In der Stille und in der Gemeinschaft. In der Literatur, im Film und in der Kunst. „Gott spannt leise feine Fäden“, heißt es in einem Lied. Ein anderes wiederum trägt den Titel „Wir haben Gottes Spuren festgestellt.“ Es gibt Fragen und Spuren in der Welt, die auf Gott hindeuten. Darum können wir das Leben, die Gedanken und die Welt nach Gott durchsuchen.

Mose darf Gottes Herrlichkeit nur hinterher sehen. Viele tausend Jahre später, mit der Geburt von Jesus in der Krippe an Weihnachten, war Gottes Herrlichkeit dann plötzlich für alle sichtbar. Unser heutiges Evangelium erzählt genau davon. Frau Sochor/Herr Rank hat es vorhin vorgelesen. Unscheinbar, im letzten Vers. Ich lese ihn noch einmal vor:

Es geschah zu Kana in Galiläa, und er offenbarte seine Herrlichkeit.

Die konkreteste Spur, die Gott uns Menschen gegeben hat, das ist seine Menschwerdung in Jesus Christus. Er ist das Fundament unseres christlichen Glaubens. Und dennoch: Im irdischen Leben bleiben der Glaube und die Gotteserkenntnis von uns Menschen bruchstückhaft. Es ist ein Erahnen, ein Vorgeschmack auf Gott. Und vielleicht – so ist die Hoffnung – ist die Gotteserkenntnis ja im Tod vollständig?

Jürgen Ebach, ein deutscher Theologe und Alttestamentler, hat das in Bezug auf unseren Predigttext so formuliert:

(Zitat Anfang) „Und es gehört zu meinen größten Sehnsüchten, am Ende, wenn alles vorbei ist, und wenn mein Leben hier zu Ende ist, dann endlich Gott gegenüber zu treten, und ihn dann zu sehen. Und ihm all diese Fragen stellen zu können, die sich in meinem Leben angesammelt haben.“ (Zitat Ende)

Wir haben seine Herrlichkeit gesehen, so schreibt Johannes am Anfang seines Evangeliums. In Jesus, sagt er, hat Gott seine Herrlichkeit gezeigt, hat er sogar sein Gesicht gezeigt. Und wir haben es erst hinterher richtig verstanden. Im hinterher sehen.

Machen wir uns also auf die Suche nach Gott und seinen Spuren in unseren Leben. Ich bin mir sicher, dass er sie überall hinterlassen hat. Manchmal aber, da ergeben sie erst im hinterher sehen Sinn.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alles Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Predigtlied EG 56, 1-3 Weil Gott in tiefster Nacht erschienen