Eine kleine Geschichte von.....

Lektor Roland Dier

 

.....Trost und Hoffnung
 

Die Geschichte spielt vor über 75 Jahren auf Lamb Holm, einer Insel hoch im Norden Europas an der Südspitze von Orkney. Die Mitspieler sind italienische Kriegsgefangene und die britische Lagerleitung.

Die Rolle der Soldaten war zunächst die von Bauarbeitern. Sie mussten die Churchill Barriers bauen. Vier Dämme, die der britische Premierminister Winston Churchill errichten ließ, um die in der Bucht von Scapa Flow liegende britische Home Fleet besser vor Angriffen von U-Booten der deutschen Kriegsmarine zu schützen. Die Dämme verbinden Orkney Mainland über die Inseln Lamb Holm, Glimbs Holm und Burray mit South Ronaldsay.

Einer der Soldaten war Domenico Chiocchetti. Domenico war Maler. Ein Künstler. In all der Zeit, bei all der harten Arbeit, der Kälte, der Dunkelheit, spendete Domenico ein kleines Heiligenbildchen Trost, das die Madonna mit einem Olivenzweig zeigte. Seine Mutter hatte es ihm gegeben, als er in den Krieg gezogen war. An ihrer Stelle sollte sich die heilige Mutter nun um ihren Sohn kümmern. Immer wieder zog er das Bild aus seiner Tasche und betrachtete es. Und in seinem Kopf entstand ein neues Bild.

Es begann zunächst unauffällig. Die Italiener hatten in ihrem Camp 60 Wege angelegt, damit sie nicht immer durch Schlamm waten mussten. Nach und nach pflanzten Domenico und seine Kameraden an diesen Wegen Blumen an. Bunte Farbtupfer in der Landschaft, kleine Sprosse der Hoffnung. Doch das genügte Domenico nicht. Er wollte etwas Größeres schaffen. Einen Ort der Einkehr und des Gebetes. Einen Ort des Trostes und der Hoffnung. Als im September 1943 ein italienischer Pfarrer in das Lager kam, wusste Domenico, dass es nicht mehr lange dauern würde, ehe sie ihre eigene Kapelle haben würden – eine echte „Italian Chapel“. Und er würde ihr Baumeister werden. 

Doch für seine Kirche brauchte er mehr als diese Vision. Er brauchte gestandene Handwerker. Mit Domenico Buttapasta fand er einen, der mit Zement zaubern konnte. Giuseppe Palumbi war Schmied und brachte Metalle in die schönsten Formen. Giovanni Pennisi war ebenfalls Maler. Viele weitere Kameraden packten schließlich mit an und sei es nur dadurch, dass sie durch ihre Mehrarbeit an den Churchill Barriers Domenico und seinen Kirchenbauern den Rücken frei hielten. Und als die Lagerleitung noch zwei Nissenhütten spendierte war der Grundstein für das Kirchenschiff gelegt. 

Nach acht Monaten Bauzeit war ihre Italian Chapel nahezu fertig. Mit einem Gottesdienst weihten die Gefangenen ihr Werk ein. Es sollten, Gott sei dank, nur wenige weitere folgen. Denn mittlerweile war es Sommer 1944 – zwischen den Engländern und Italienern gab es längst einen Waffenstillstand. Und so dauerte es nicht mehr lange, ehe die Gefangenen verlegt wurden – weg von Orkney. Einzig Domenico. Er war hier noch nicht fertig, sein Werk noch nicht getan. Und so blieb er als letzter noch freiwillig auf der Insel zurück, um die Italian Chapel zu vollenden. Erst als das geschehen war, verließ Domenico Orkney in Richtung Heimat. 

Hier wäre die Geschichte der Italian Chapel fast zu Ende gewesen. Der Krieg war vorüber. Arbeiter rückten an, um das Camp 60 dem Boden gleich zu machen. Nichts mehr sollte an das Lager erinnern. Doch vor der kleinen Kapelle machten die Arbeiter ehrfürchtig halt. Entgegen der Anweisungen schonten sie das Werk der Italiener. Und im laufe der Zeit wurde aus der Kapelle der Italiener eine Kapelle der Orkadier.

1958 gründeten die Bewohner Orkneys ein Komitee zur Erhaltung der Italian Chapel und restaurierten sie so gut es ging. Auch Chiocchetti kehrte noch einmal nach Orkney zurück um seine Bilder zu restaurieren.

Und so so steht sie noch heute als Zeichen des Trostes und der Hoffnung auf einer kleinen Insel zwischen Nordsee und Atlantik. Zwischen zwei stürmischen Meeren in einer stürmischen Zeit.

„The chapel is yours – for you to love and preserve.“
„Die Kirche gehört Euch – damit Ihr sie liebt und erhaltet“.

Dieser Satz von Domenico Chiocchetti, gerichtet an die Menschen von Orkney kann auch für uns und unsere Kirche gelten, in der wir jetzt wieder gemeinsam Gottesdienst feiern können.