Gottesdienste in Oberwohlsbach und St. Johannis am Sonntag Sexagesimae - 04.02 2018

Gabriele Hantke

OWB, St. Johannis

Predigt:
Prädikantin Hantke

"Lass dir an meiner
Gnade genügen"
 

Lasst uns miteinander in der Stille um den Segen des Wortes Gottes bitten. (Stille) 

Der Herr segne Reden und Hören. Amen. 

Predigttext (2. Kor 11,18.23b-30;12,1-10): 

Paulus schreibt:

(2. Korinther 11,18.23b-30:
Da viele sich rühmen nach dem Fleisch, will ich mich auch rühmen.[…] …Ich habe mehr gearbeitet, ich bin öfter gefangen gewesen, ich habe mehr Schläge erlitten, ich bin oft in Todesnöten gewesen. Von den Juden habe ich fünfmal erhalten vierzig Geißelhiebe weniger einen; ich bin dreimal mit Stöcken geschlagen, einmal gesteinigt worden; dreimal habe ich Schiffbruch erlitten, einen Tag und eine Nacht trieb ich auf dem tiefen Meer. Ich bin oft gereist, ich bin in Gefahr gewesen durch Flüsse, in Gefahr unter Räubern, in Gefahr unter Juden, in Gefahr unter Heiden, in Gefahr in Städten, in Gefahr in Wüsten, in Gefahr auf dem Meer, in Gefahr unter falschen Brüdern; in Mühe und Arbeit, in viel Wachen, in Hunger und Durst, in viel Fasten, in Frost und Blöße; und außer all dem noch das, was täglich auf mich einstürmt, und die Sorge für alle Gemeinden. Wer ist schwach, und ich werde nicht schwach? Wer wird zu Fall gebracht, und ich brenne nicht. Wenn ich mich denn rühmen soll, will ich mich meiner Schwachheit rühmen. 

2. Korinther 11,1-10:
Gerühmt muss werden; wenn es auch nichts nützt, so will ich doch kommen auf die Erscheinungen und Offenbarungen des Herrn. Ich kenne einen Menschen in Christus; vor vierzehn Jahren – ist er im Leib gewesen? Ich weiß es nicht; oder ist er außer dem Leib gewesen? Ich weiß es auch nicht; Gott weiß es –, da wurde derselbe entrückt bis in den dritten Himmel. Und ich kenne denselben Menschen – ob er im Leib oder außer dem Leib gewesen ist, weiß ich nicht; Gott weiß es –, der wurde entrückt in das Paradies und hörte unaussprechliche Worte, die kein Mensch sagen kann. Für denselben will ich mich rühmen; für mich selbst aber will ich mich nicht rühmen, außer meiner Schwachheit. Und wenn ich mich rühmen wollte, wäre ich nicht töricht; denn ich würde die Wahrheit sagen. Ich enthalte mich aber dessen, damit nicht jemand mich höher achte, als er an mir sieht oder von mir hört. Und damit ich mich wegen der hohen Offenbarungen nicht überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nämlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlagen soll, damit ich mich nicht überhebe. Seinetwegen habe ich dreimal zum Herrn gefleht, dass er von mir weiche. Und er hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi bei mir wohne. Darum bin ich guten Mutes in Schwachheit, in Misshandlungen, in Nöten, in Verfolgungen und Ängsten um Christi willen; denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark. 

Herr, gib uns ein Wort für unser Herz und ein Herz für dein Wort. Amen. 

In 3 Wochen gibt es die Zwischenzeugnisse. Da müssen die Schüler (müsst Ihr) Rechenschaft ablegen für das, was sie (Ihr) im letzten halben Jahr geleistet haben (habt), was gelungen ist, was weniger gelungen ist. Da werden einige freudestrahlend Zeugnisgeld von den Großeltern, Paten… bekommen, werden selbst zufrieden sein, da wird es aber auch lange Gesichter geben. 

In den Sommermonaten finden immer wieder Klassentreffen statt – 10jähriges, 20jähriges oder was auch immer. Wenn man sich in diesem Kreis ehemaliger Mitschüler länger nicht gesehen hat, ist es spannend zu sehen, zu hören, was aus den jeweiligen Mitschülern geworden ist. Und zwangsläufig zieht man dann auch selber mal Bilanz, vergleicht sich mit den anderen. Ist mit manchem zufrieden, auf manches schaut man vielleicht mit Unbehagen oder Unzufriedenheit. 

Was habe ich erreicht? Welche Steine lagen mir im Weg und haben es mir schwer gemacht? 

Auch Paulus ist hier in einer Situation, in der er Rechenschaft ablegen muss. Er sieht sich in Korinth Urteilen und Vorwürfen ausgesetzt, in denen er nicht so gut weg kommt: Sicher, er schreibt ganz tiefsinnige Briefe, aber wenn er zu reden hat, dann tut er sich schwer. Ein großer Redner ist er wahrlich nicht. Und er hat eine chronische Krankheit, die ihm zu schaffen macht. Generationen von Gelehrten haben sich Gedanken gemacht, was es war, aber egal was, es hat ihm enorm zu schaffen gemacht. Einen Pfahl im Fleisch nannte er es selber. Die Krankheit hat ihn wohl massiv eingeschränkt und muss ihn sehr belastet haben. 

Und nun sieht er sich genötigt, sich gewissermaßen selbst eine Art Zeugnis auszustellen, nicht zuletzt, weil auch die Gemeinde in Korinth dadurch verunsichert worden war. Ist dieser Paulus einer, der uns etwas zu sagen hat? 

Paulus steht hier in diesem Briefabschnitt unumwunden zu seinen Schwächen. Ja, es gibt vieles, was ihm Sorgen bereitet. Ja, er hat Ängste und Fragen und Zweifel. Ja, in der Öffentlichkeit frei sprechen ist nicht seine Stärke. 

Hier möchte ich am liebsten sagen: Danke, Paulus! Danke, dass Du Dich nicht verstellst! Dass Du nicht versuchst, Dich als etwas ganz besonders Tolles zu verkaufen! Dass Du kein Tarnmäntelchen umhängst und Deine Schwächen versteckst! Du zeigst uns hier, dass wir als Christen zu unseren Schwächen und Fehlern, zu unseren Fragen und Zweifeln stehen können! 

Ja, auch wir sind längst nicht perfekt! Ich bin manchmal ungeduldig. Auch ich habe meine Ängste. Jeder und jede von uns weiß diese Liste sicher zu verlängern. Aber wir sind es gewohnt, so ist es in unserer Gesellschaft üblich, uns möglichst gut zu verkaufen! Den Mantel des Schweigens über gewisse Dinge zu hängen. 

Lieber Paulus, ich wünschte, wir könnten hier von Dir lernen! Was würde es mit unseren Gemeinden, mit unserer Kirche und auch mit unserer Gesellschaft machen, würden wir ehrlich zu unseren Schwächen stehen? 

Paulus macht hier in diesem sehr persönlichen Text aber auch noch etwas anderes deutlich. Zu den eigenen Schwächen zu stehen heißt nicht, sich unnötig klein zu machen. Er zählt sehr ausführlich auf, was er alles um seines Glaubens willen und um seiner Sendung willen auf sich genommen hat. Was er ertragen und erlitten hat. Und das war wahrhaftig nicht wenig: Inhaftierung, Strafen, Gewalt, Lebensgefahr. Da hätte manch einer aufgegeben. Paulus nicht. Er wusste sich getragen. 

Paulus erzählt hier auch in einer fast rätselhaften Umschreibung von seiner Bekehrung. Davon, dass er entrückt bis in den dritten Himmel wurde. Er spricht davon, dass er Gott, dass er Christus selbst begegnet ist. Er sieht sich angesichts der Vorwürfe in Korinth dazu genötigt, den Menschen dort klarzumachen, dass er nicht aus sich selbst heraus handelt, sondern, dass Gott ihn herausgerufen hat. Er tut dies fast widerwillig, und auch nur ganz ganz selten spricht er von dieser Gottesbegegnung. Das ist ein sehr intimer Moment für ihn gewesen. Das kann man eh nicht wirklich mit anderen Menschen teilen. Aber er hütet diesen Moment wie einen Schatz. 

Vielleicht können Sie sich noch an den Komiker Hape Kerkeling erinnern, der alles und jedes aufs Korn genommen hat; auch vor einer niederländischen Königin machte er keinen Halt. Und dann war er unterwegs auf dem Jakobsweg und schrieb ein Buch über seine Erfahrungen dabei. Ich war sehr positiv und angenehm überrascht, als es irgendwo mitten im Buch sinngemäß hieß: „Heute bin ich Gott begegnet. Mehr werde ich dazu nicht schreiben, denn das ist allein eine Sache zwischen Gott und mir.“ 

Solche „heiligen Momente“ im Leben wahrnehmen und schätzen – lieber Paulus, ich möchte auch hier von Dir lernen! Es gibt sie, diese Momente der Gottesbegegnung, vielleicht in dem einen oder anderen Gottesdienst, vielleicht auch woanders. Und diesen Moment dann wahrnehmen, schätzen, nicht zerreden und zerstören. Ich denke auch daran, wenn in besonderen Gottesdiensten, bei Konfirmationen, Trauungen, Taufen, Menschen besonders gesegnet werden, dann wäre es doch ein Geschenk, wenn wir bei diesen Gelegenheiten heilige Momente nicht zerstören, indem sie im Blitzlichtgewitter untergehen. 

Paulus hat mit der Erwähnung von seiner Bekehrung von einem kostbaren, von einem starken Moment in seinem Leben erzählt. Aber er schreibt hier auch deutlich und ausführlich, wie ihm seine Schwachheit zu schaffen macht. 

Er erwähnt seine Krankheit, diesen Pfahl im Fleisch. „Verständlicherweise wollte er diese Krankheit loswerden. Vielleicht auch, um seine Kritiker zum Schweigen zu bringen.“ (Zitat Lesepredigt) 3x hat er Gott gebeten, ja, zum Herrn gefleht, dass er diese Krankheit loswerden könne. Aber die erhoffte Heilung kam nicht. Stattdessen eine Antwort, die für ihn sicher schwer zu ertragen gewesen sein mag: Und er (=Gott) hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. 

Paulus, ich kann Dich gut verstehen! Wer wünschte sich in einer solchen oder ähnlichen Situation nichts sehnlicher als Heilung? Wer wünschte sich nicht, dass das eine oder andere Handicap, das einen belastet, von einem genommen würde? Eine solche Antwort – vielleicht verstehen wir so etwas auch als Nicht-Erhören eines Gebets – ist eine große Herausforderung für unser Leben und für unseren Glauben! 

Es besteht leicht die Gefahr, dass wir uns mit einer solchen Antwort nicht ernst genommen fühlen. Leicht führt das zu einem Eindruck, Gott würde nicht auf uns eingehen, er würde uns nur vertrösten. Aber Paulus hat das anders verstanden. 

Weder Paulus noch uns werden die Tiefen des Lebens erspart. Wir brauchen heute in unserem Land keine Benachteiligung und Verfolgung zu befürchten, weil wir an Gott glauben. Und doch erleben auch wir immer wieder Zeiten in unserem Leben, in denen der Boden unter unseren Füßen zu wanken beginnt, Augenblicke, in denen wir meinen, wir würden fallen und keiner ist da, der uns auffängt. Mitten in den tiefsten Tiefen unseres Menschseins, in den 

Enttäuschungen unseres Lebens, wenn Träume und Hoffnungen wie Seifenblasen zerplatzt sind, sehnen wir uns danach, dass jemand uns eine Hand entgegenstreckt und uns festhält. Oft besonders dann, wenn es uns schlecht geht, wird uns bewusst, wie sehr wir doch gerade dann solche Zeichen der Nähe und der Zuneigung brauchen, wie sehr wir davon leben. In den glücklichen Augenblicken unseres Lebens rückt das oft in den Hintergrund. Dann vermissen wir es vielleicht nicht. Aber wenn es darauf ankommt, wenn wir uns hilflos fühlen, wenn wir uns selbst eingestehen, dass unsere eigene Kraft nicht ausreicht, sehnen wir uns nach einem Lächeln, nach einem freundlichen Wort, nach einer herzlichen Geste. Mitten in den dunklen Tälern unseres Lebens, dann, wenn wir den nächsten Schritt nicht mehr erkennen können, weil alles um uns herum dunkel erscheint, fragen Menschen nach Gott. Und gerade mitten in ihrer eigenen Schwachheit, mitten in ihren eigenen Schwächen haben Menschen erfahren, wie Gott sie nicht allein lässt. Haben sie gespürt, wie Gott ihnen zur Seite steht. So ging es Paulus und nach ihm vielen. 

Auch Dietrich Bonhoeffer, dessen im Gefängnis geschriebenes Lied wir nachher singen werden, der wegen seiner Überzeugung von 1943 bis 1945 inhaftiert war und ermordet wurde, hat das erlebt. Von ihm stammt der Satz: '"Ich glaube, dass uns Gott in jeder Notlage so viel Widerstandskraft geben kann und will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns, sondern allein auf ihn verlassen.“' (Zitat Lesepredigt) 

Ein anderes Beispiel kommt mir in den Sinn: Im November im nächsten Jahr ist es 30 Jahre her, dass die Mauer fiel. Christen haben dem DDR-Regime Gebete und Kerzen entgegengesetzt – und das Wissen, dass es eine Kraft und eine Macht gibt, die größer ist als sie selbst. Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Später haben die Mächtigen gesagt: Wir haben mit allem gerechnet, nur nicht mit Kerzen und Gebeten. 

Lieber Paulus, so möchte ich hier wieder sagen, das möchte ich auch von Dir lernen: Dass ich, wenn ich wieder einmal an meine Grenzen stoße, wenn ich nicht weiter weiß, meine Hoffnung auf den setze, der mir Kraft geben kann und will, der mich nicht allein lässt. Dass ich nicht aufhöre, zu Gott zu beten, mich ganz auf ihn zu verlassen. 

Das heißt für mich außerdem: Dass ich nicht aufhöre, meine manchmal kleine Kraft einzusetzen, anstatt aufzugeben und über die Verhältnisse zu klagen. Sich auf Gott verlassen heißt nicht, die Hände in den Schoß zu legen. Aber es heißt, sich die Hände von dem zum Dienst füllen zu lassen, der der Herr dieser Welt ist und der – wie er es bei Paulus tat – die Herzen der Menschen ändern kann. 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. 

Amen. 

(Anm.: Die in dieser Schriftart abgedruckten Sätze sind Zitate aus der "Lesepredigt" von Pfr. Dr. Norbert Dennerlein, Elkb)

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