Gottesdienst in St. Johannis am Heiligen Abend - 24.12.2017

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St. Johannis

Predigt:
Pfarrer Jörg Mahler

"Das Wort ward Fleisch"

Predigttext:

„Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns und wir sahen seine Herrlichkeit.“ (Joh 1,14) 

Text 1: 

Weihnachten aus nigerianischer Sicht (Kolumne für die Süddeutsche Zeitung von Olaleye Akintola, Journalist und aus Nigeria stammend) 

Predigt 1: 

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, und die Liebe Gottes, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen. Amen. 

Olaleye Akintola schreibt über Weihnachten in Nigeria: «Die Kirchen sind in den Wochen um Weihnachten und Neujahr üblicherweise bis in die letzte Ecke gefüllt. Wenn man die Kirche verlässt, schallen einem von der Straße Gebete und Gesänge entgegen.»,. 

Liebe Gemeinde am Heiligen Abend, liebe Schwestern und Brüder in Christus, 

Gesänge auf der Straße kanns bei uns auch geben, wenn die Weihnachtslieder nach dem Weihnachtsgottesdienst nicht nur in unserem Inneren nachschwingen, sondern wir sie auf unserem Heimweg weitersummen und singen. Und eine bis in die letzte Ecke gefüllte Kirche haben wir heute Abend auch (fast). 

Allen, die heute hier sind, geht es um mehr als um Weihnachtsmärkte, Glühwein und Geschenke. 

Dennoch hat der Kolumnist denke ich Recht, dass vielen in unserem Land nicht mehr wirklich klar ist, was wir eigentlich feiern, und dass sie aus dem Geburtstagsfest von und für Jesus ein reines Familienfest ohne das Geburtstagskind gemacht haben. 

Und dass sie auch nicht mehr unterscheiden können zwischen Advent und Weihnachten. 

Advent, das ist die Zeit der Hoffnung und Erwartung, und Weihnachten, das ist die Zeit der Erfüllung. 

Advent war ursprünglich eine Zeit der Buße und des Fastens und ist kirchlich gesehen immer noch die Zeit der Stille und der inneren Einkehr, Weihnachten ist dann das große freudige Fest. 

Advent, das sind in der Regel vier Wochen – und wenns mal drei sind, muss ich nicht schon vor dem Totensonntag Weihnachtsmärkte eröffnen. Weihnachten, das sind nicht nur zweieinhalb Feiertage, sondern fünf Wochen bis Maria Lichtmeß am 2.Februar, fünf Wochen, die unter dem besonderen Lichterglanz der 

Heiligen Nacht stehen – weshalb wir auch den Christbaum in unserer Kirche jedes Jahr bis zum 2.2. stehen lassen. 

Advent – Zeit der Hoffnung und Erwartung. Ohne den Advent bräuchte es kein Weihnachten. Denn der Advent entsteht durch das Bewusstsein, dass bei uns nicht alles in Ordnung ist, dass wir einen Retter, eine Erlösung brauchen. 

Wir haben vorhin eine Verheißung des Propheten Jesaja aus dem 6.Jhd. v.Chr. gehört. Damals war eine politische Katastrophe voraussehbar, die verheerende Niederlage gegen die babylonische Großmacht. Das bedeutete Schock, Schmerzen, Trauer und Depression, für die Politik, für das Zusammenleben und für den Glauben. Mitten in dieser dunklen Zeit erwartet er ein großes Licht, den Friede-Fürst. 

Diese Katastrophe ist dennoch eingetreten. Doch wie vorhin ebenso gehört, hält der Prophet Micha die Hoffnung auf Gottes Eingreifen wach, in dem er den rettenden Herrn ankündigt, der wie einst David aus Bethlehem kommen wird. 

Das ist Advent: Hoffen und Erwarten in dunkler Zeit. 

Solche Zeiten sind auf den ersten Blick Olaleye Akintola näher als vielen von uns. Er vermutet in seiner Kolumne, dass der inhaltslose Advent etlicher logisch sei, weil sie nicht ganz so viel Bedarf nach Hilfe von oben, nach Erlösung hätten wie die Menschen in seiner Heimat Nigeria, dass sie sich auf ihre Einkäufe und Glühwein-Tassen konzentrieren, weil es gerade keine Tragödie zu beklagen gibt, weil niemand im Umfeld mangels Geld an einer Krankheit gestorben ist. Kein Freund, der erstochen wurde, kein Familienmitglied, dem ein Attentäter ein frühes Grab beschert hat.“ 

Vielleicht hat er recht, Not lehrt beten. Wenn ich genau hinschaue, haben aber auch viele in unserem Land Angst vor dunklen Zeiten: 

Da sind Entscheidungen und Statements des US-Präsidenten, die zu Konflikten führen können, die viele Länder mit sich reißen. Aber auch andere führende Politiker in der Welt setzen statt auf die Stärke des Rechts auf das Recht der Stärke. Oder wenn wir auf die letzten Wahlergebnisse schauen: Nie war die Regierungsbildung in der Geschichte der BRD so schwer wie jetzt. Und manch einer der neuen Abgeordneten gibt Dinge von sich, die nicht dem christlichen Menschenbild und nicht der freiheitlich-demokratischen Grundordnung entsprechen. Vor 27 Jahren wurden Mauern eingerissen, heute entstehen neue – reale und in den Köpfen der Menschen, wobei die letzteren vielleicht die Schlimmeren sind. 

Rettung erwarten in dunkler Zeit. Lösungen in den verzwickten Situationen, in denen wir stecken. Auch im Privaten: Ich komme beruflich nicht wirklich auf die Beine. Die Beziehung zu einem Menschen, der mir wichtig ist, ist getrübt und wir finden nicht wirklich zueinander. Die Diagnose des Arztes lässt mich bangen. Ich gehe nicht mehr gern auf die Arbeit, weil alles zu viel ist und das Betriebsklima nicht zum Besten steht. Es läuft einfach nicht rund in meinem Leben. Mit den Kindern kommts immer wieder zu Unfrieden. Auch heute Abend gibt es viele, die genug Grund zum 

Seufzen haben. Die sich nach diesem Licht sehnen, die Rettung erwarten. Lösungen und Erlösung. 

Advent heißt Hoffen und Erwarten, Advent heißt aber auch: Gott sieht unser Dunkel, unsere Erwartungen. Und lässt sie nicht unbeantwortet. Schon durch seine Propheten hat er Hoffnung gemacht: Über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. 

Und dann hat er es Weihnachten werden lassen. Was verheißen wurde, beginnt sich zu erfüllen. Christ, der Retter ist da. Wir haben sie heute wieder neu gehört, die Geschichte von der Geburt Jesu, wie sie uns der Evangelist Lukas erzählt. Lukas ist ein guter Geschichtenerzähler und schafft es, eine ganz besondere Atmosphäre aufzubauen. Doch wir haben mehr Evangelisten. Johannes ist von einem ganz anderen Schlag, eher der Durchdenker, der Philosoph unter den Evangelisten. Er bringt Weihnachten in einem einzigen Satz auf den Punkt. Und dieser Satz wird uns heute durch den weiteren Gottesdienst begleiten: „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns“. 

Das Wort ward Fleisch. Was hat es mit diesem Wort Gottes auf sich? 

- Gottes Wort war von allem Anfang da und hat große Kraft. Durch sein Wort hat Gott die Welt geschaffen. 

- Er hat sein Wort an Einzelne gerichtet, wie z.B. an Abraham, den er gesegnet hat und ihm den Auftrag gab, ein Segen für andere zu sein. 

- Durch die Propheten hat er sein Wort an das ganze Volk gerichtet, um ihnen Mut und Kraft zuzusprechen, aber auch um seine Menschen auf die rechte Bahn zurückzuführen, denn der Mensch trennt sich immer wieder von Gott und geht seine eigenen Wege, die oft zu Abwegen werden: Seit dem Sündenfall ist das Paradies verloren. 

Bisher begegnete Gott seinen Menschen im Wort. Johannes schreibt: Das Wort ward Fleisch. Warum das? Was hat Gott dazu veranlasst? 

Das hat mit dem Advent zu tun, mit den Advents- und Hoffnungssituationen, in denen wir und die ganze Welt sich immer wieder befinden. Scheinbar war das Wort allein doch zu schwach, um Unglück zu verhindern und alles wieder zurechtzubringen. Deshalb hat Gott die Entscheidung getroffen: Jetzt komme ich selbst. In Jesus will ich mich hören lassen, in ihm will ich mit und unter den Menschen wohnen und ihnen leibhaftig begegnen. 

In der Barmer theologischen Erklärung von 1934 heißt es treffend: „Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben.“. 

Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns. Das ist also das Besondere an dieser Geburt im Stall von Bethlehem. Deswegen 

feiern soviele Menschen auf der ganzen Welt diesen einen Geburtstag. Deshalb haben wir einen Baum aufgestellt und mit Kugeln geschmückt. Deshalb hängen an den Fenstern Sterne und leuchten Lichter auf Tannen und Fichten in den Gärten. Deshalb gibt es heute so ein festliches Essen. Deshalb haben wir Geschenke eingepackt und machen uns damit eine Freude. Damit man sieht und spürt, dass etwas Großes geschehen ist, verändern wir die Welt um uns herum. 

Das Wort ward Fleisch. Weihnachten zeigt: Wir und die ganze Welt sind Gott nicht egal: Er kommt selbst, um zu heilen, zu versöhnen, zurechtbringen, und: ja, um die Trennung zu ihm überwinden. 

Singen wir uns gegenseitig dieses Weihnachtsevangelium zu, bevor wir mit einer kleinen wahren Begebenheit und dem 2.Teil der Predigt fortfahren: Vom Himmel hoch, da komm ich her- das bekannteste Weihnachtslied Martin Luthers! 

Text 2: 

Ein Geiger in der U-Bahn 

Predigt 2: 

„Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns - und wir sahen seine Herrlichkeit.“. 

Und wir sahen seine Herrlichkeit. Mit diesen Worten endet die in einem Satz auf den Kern gebrachte Weihnachtsgeschichte des Johannes. 

Gottes Herrlichkeit in einem ärmlichen Stall bei Bethlehem? Die Hirten haben die Herrlichkeit Gottes dort erkannt – weil sie ein Engel darauf hingewiesen hat. 

Auch die Sterndeuter aus dem fernen Morgenland haben die Herrlichkeit Gottes dort gefunden. 

Und noch mehr Menschen haben in dem fleischgewordenen Wort, in und durch Jesus die Herrlichkeit Gottes gesehen: Diejenigen, die Jesus als jungen Mann getroffen haben: Wer gesehen hat, wie er Kranke gesund gemacht hat, wem bei seinen Reden über Gott und das Leben eine neue innere Weite aufgegangen ist, wer durch ihn den richtigen Weg gefunden hat, wem er neue Orientierung oder Kraft oder Mut oder Trost geschenkt hat, der sah die Herrlichkeit Gottes. Wer miterlebt hat, wie er angesichts seines bevorstehenden Leidens und Sterbens innerlich gekämpft und doch an Gott festgehalten hat, wer ihn im Vertrauen auf seinen himmlischen Vater sterben sah, wem er als der Auferstandene erschienen ist, der sah die Herrlichkeit Gottes. 

Und wir sahen seine Herrlichkeit: Dieses „wir“ sind für Johannes im Besonderen auch die Leser seines Evangeliums. Wer seine 

Geschichten über Jesus und dessen Worte nachliest, der erblickt darin die Herrlichkeit Gottes. Und Johannes wirbt bei seinen Lesern: „Lass Dich auf Jesus ein, dann wirst auch Du im eigenen Leben spüren, wie Gott wirkt, und so seine Herrlichkeit sehen.“. 

Wie ist das also bei uns? Sehen wir die Herrlichkeit Gottes? Die gerade gehörte Episode über den Geiger Joshua Bell, übrigens ein Experiment einer Tageszeitung, macht uns auf etwas Wichtiges aufmerksam: Nehmen wir denn in unserem alltäglichen Umfeld, vielleicht sogar zu einem unangemessenem Zeitpunkt das besondere überhaupt wahr? Und wenn dem so ist: Schätzen wir Gottes Wirken in unserem Leben und in unserer Welt überhaupt wert? 

Eine mögliche Schlussfolgerung dieses Experimentes in der Metro könnte sein: Wenn wir nicht einmal einen Moment Zeit haben anzuhalten und einem der besten Musiker der Welt zuzuhören während er eines der wundervollsten Musikstücke auf einem der schönsten Instrumente spielt die je gebaut wurden...... wie viele andere schöne Gelegenheiten verpassen wir während wir durch unser Leben hasten? Und wie oft übersehen wir dabei Gottes Herrlichkeit? 

Weihnachten heißt auch: Genau hinschauen. Nicht der, der im prächtigen Palast geboren wird, ist der Retter der Welt, sondern der im Stall von Bethlehem. 

Die Geburt eines Kindes, neues Leben – da scheint sie auf, Gottes Herrlichkeit. Kinder, die fröhlich spielen, zwei Menschen, die sich verlieben und miteinander durchs Leben gehen wollen – da lässt sie sich spüren, Gottes Herrlichkeit. Wenn sich einer traut die mitunter unbequeme Wahrheit zu sagen und Dinge beim Namen zu nennen, da öffnet sich ein Blick auf seine Herrlichkeit. Wo Menschen sich nach versöhnen – da ist Herrlichkeit Gottes pur. Wo jemand nach schwerer Krankheit wieder gesund wird, wo jemand Kraft für seinen Weg bekommt, wo jemand eine Prüfung schafft, wo jemand das Wort ergreift und eintritt für einen anderen – da ist sie zu sehen, die Herrlichkeit Gottes. Wo sich jemand von Gott rufen und beauftragen lässt, wo einem Menschen vergeben wird, wo einer im Glauben und festem Vertrauen stirbt – da ist die Herrlichkeit Gottes. 

Manchmal ist Gott verborgen am Werk, manchmal ganz offenbar. 

Es gibt im Leben beides: Das Dunkle, aber auch mitten darin den Advent, die Hoffnung und Erwartung, und schließlich Weihnachten. Im Leben kommt oft beides zusammen. So wie heute: Es kommt nur ab und an vor, dass der 4.Advent auf den Heiligen Abend fällt. Der Adventskranz brennt noch und zeigt mit seiner 4.Kerze: Mitten im Dunkeln, mitten auch in meinem Dunkel ist die Rettung ganz nah. Und der Christbaum zeigt: Christ, der Retter ist da. Wenn ich versuche, die Spuren seiner Herrlichkeit wahrzunehmen, dann sehe ich: Neben all dem Schlimmen und Dunklen gibt es so viele Spuren des Segens. Gott wirkt, rettet, heilt mitten unter uns. 

Genau das ist das Weihnachtsgeschenk Gottes an die Welt: Dass er sich in die oft so unklaren und wenig befriedigenden Verhältnisse unseres Lebens hinein begibt. Unser Gott kommt nicht allein zu denen, die heute voll Freude und Dankbarkeit hier sitzen. Er kommt auch zu denen, die eine Sorge drückt. „Und zu denen, die innerlich ihre Tränen vielleicht gerade noch zurückhalten. Und zu denen, bei denen sich ein Streit entladen hat wie ein plötzliches Gewitter zum falschen Zeitpunkt. Das ist die Art, wie Gott in die Welt kommt: Er stellt sich der Unvollkommenheit. Und der Armut. Aber damit nicht genug. Er will all das, was schwer auf uns liegt verwandeln. Er will, dass die Schönheit des Himmels, der Glanz, das Fest, die Freude uns erfüllen.“ (Christof Hechtel) 

Deshalb ist der Heilige Abend so besonders, weil sich da Himmel und Erde begegnen. 

Ich habe eine Karte gefunden, die diese Weihnachtsbotschaft auf ungewöhnliche Weise zum Ausdruck bringt, und ich möchte ihnen diese Karte heute zum Geschenk machen. Ich hoffe, sie haben sie alle bekommen. Sie trägt den Titel „Geheimnis der Welt“. 

Abgebildet ist darauf unsere Welt: ein Wald, ein See wie ein Spiegel. Darin sichtbar das Blau des Himmels. 

Und zugleich ist darauf Gottes Welt zu sehen: Maria mit dem Kind, die mit ihrer behütenden Hand über den Fuß ihres Kindes streicht. Engel und weiße Wolken. Und in der Mitte wie ein Blitz die aufgehende Sonne, das Weihnachtslicht. 

Wie von Ferne berührt wirkt die Landschaft, in der die himmlische Welt erscheint. Die Gestalten des Himmels werden gleichzeitig Teil dieser Welt und gehen doch darin nicht auf. Sie sind da, und doch sieht man: es ist etwas Größeres, Weiteres, es ist eine andere Dimension, um die es hier geht. Dieses Bild illustriert die Weihnachtsgeschichte des Johannes: In unserer Welt scheint die Herrlichkeit Gottes auf. Nur kann es sein, dass wir ab und an unsere Wahrnehmung schulen müssen, um sie zu erkennen. 

Das Bild zeigt die Welt im Licht von Weihnachten: Es ist immer noch dieselbe Landschaft, und doch ist sie durch die himmlischen Figuren eine andere geworden. Wir sehen zwei unterschiedliche und doch miteinander verbundene Welten. 

Der Blick des Jesuskindes geht in die Zukunft – und in den Himmel. Genau wie auch unser Leben in die Zukunft und einmal in den Himmel führt. Mit dem Blick auf diese Welt Gottes, auf seine Herrlichkeit, die mitten in unserer Welt und in unserem Leben aufscheint, gehen wir heute Abend nach Hause und in unsere Zukunft. Amen. 

Und der weihnachtliche Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vorstellungskraft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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