Gottesdienst in St. Johannis am 23. Sonntag nach Trinitatis - 4. November 2018

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St. Johannis

Predigt:
Diakon Günter Neidhardt

"Dass die Liebe uns leite"

Liebe Gemeinde, 

der Predigttext der uns für heute vorgeschlagen ist, befasst sich mit dem Verhältnis von Staat und Kirche, Christentum und Politik. Ich habe das eingangs schon erwähnt. Wir hören den Text: 

Römer 13,1-7 

Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, ist sie von Gott angeordnet. Wer sich der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt der Anordnung Gottes; die ihr aber widerstreben, ziehen sich selbst das Urteil zu. Denn vor denen, die Gewalt haben, muss man sich nicht fürchten wegen guter, sondern wegen böser Werke. Willst du dich aber nicht fürchten vor der Obrigkeit, so tue Gutes; so wirst du Lob von ihr erhalten. Denn sie ist Gottes Dienerin, dir zugut. Tust du aber böses, so fürchte dich; denn sie trägt das Schwert nicht umsonst: sie ist Gottes Dienerin und vollzieht das Strafgericht an dem, der Böses tut. Darum ist es notwendig, sich unterzuordnen, nicht allein um der Strafe, sondern auch um des Gewissens willen. Deshalb zahlt ihr ja auch Steuer; denn sie sind Gottes Diener, auf diesen Dienst beständig bedacht. So gebt nun jedem, was ihr schuldig seid: Steuer, dem die Steuer gebührt; Zoll dem Zoll gebührt; Furcht dem Furcht gebührt; Ehre, dem die Ehre gebührt. 

Herr, segne unser Reden und Hören durch deinen Heiligen Geist. 

Amen. 

Liebe Brüder und Schwestern, 

natürlich halten wir uns an Ordnungen, an Gesetze und Regeln. Ständig eigentlich. Nein, bei uns herrscht nicht Mord und Totschlag. Schauen wir uns nur den Gottesdienst an: Alles ist geregelt, Wir folgen der Ordnung des Gottesdienstes die im Gesangbuch unter der Nummer 679 zu finden ist. Die Präparanden haben das in den letzten beiden Unterrichtseinheiten gelernt und eingeübt. Ich hoffe Sie haben sich, auf dem Weg hierher an die Straßenverkehrsordnung gehalten. Die Blätter auf der meine Predigt steht hat das Format DIN A4 / quer und natürlich ist es geregelt wie mein Talar auszusehen hat. Die Rechtssammlung der Evang. Luth. Kirche in Bayern ist um einiges umfangreicher als die Bibel. Ja wir sind von Gesetzen und Regelungen umgeben, so wird unser Alltag geregelt. Und so klappt ja auch das Zusammenleben, meistens jedenfalls. Und wenn gegen Ordnungen oder Gesetzte verstoßen wir dann wird das geahndet. Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, ist sie von Gott angeordnet. 

Szenenwechsel: 

Es sind Unruhen in Tunesien und Ägypten. Viele Menschen protestieren gegen die totalitär agierende Regierung. Denn ungerecht geht es zu, Korruption schwächt die Gesellschaften, Geheimpolizei überall. In Syrien ist es ruhig, bis einige Schulkinder in der Stadt Daara auf ihrem Schulhof zwei Graffitis an die Mauer sprühen, unter anderem »Nieder mit dir, Assad«. Der Schulleiter macht Meldung, Kinder werden verhört. Einige Kinder kommen nicht nach Hause zurück. Eltern fragen besorgt, sie bekommen keine Antwort. Eltern und Freunde gehen auf die Straße, demonstrieren für ihre verschwundenen Kinder, der Präsident tut, als habe er Verständnis, aber lässt die Polizei die Demonstrierenden niederschießen. Die Kinder wurden gefoltert, sind tot. Das ist der Beginn des Syrien-Krieges, in dessen Verlauf Millionen ihre Heimat verlieren, Zehntausende unschuldig in Kerkern der Geheimpolizei gefoltert und ermordet werden. Die größte Elendsgeschichte des bisherigen 21. Jahrhunderts. Präsident Assad gibt freiwillig keinen Zentimeter seiner Macht preis. Er verantwortet das Elend von Millionen. 

Und der soll als Obrigkeit von Gott eingesetzt sein, dem zu gehorchen sei. Nein. Assad und all die andern Gewaltherrscher, die Kritiker töten (lassen), die foltern und wegsperren lassen (lassen). Wir kennen doch die Namen der Präsidenten und Herrschenden denen Recht und Gesetz nichts gelten. Nein, sie können sich nicht darauf berufen, dass sie von Gott beauftragt seien! Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, ist sie von Gott angeordnet. Verstörende Worte angesichts von Gewalt und Allmachtsfantasien von Unterdrückern, Folterern und Mördern in den Regierungpalästen dieser Welt. 

Szenenwechsel: 

Ich stelle mir Paulus vor, der da sitzt und schreibt, an die Gemeinde in Rom. Er kennt sie nicht persönlich. Paulus entfaltet im Römerbrief ja so etwas wie ein umfassendes Werk darüber, was Christen glauben und wie sie leben sollen. Er wird es sich gut überlegt haben, was zu schreiben sei, wie etwas formuliert werden muss und ja, der Römerbrief ist ein wundervolles Werk, das Menschen bis heute Trost, Halt und Orientierung gibt. Wenn, ja wenn dieses Kapitel 13 nicht wäre, diese „Alle! Obrigkeit ist von Gott“. Die lutherische Tradition hat sich damit immer besonders schwer getan. Hatte doch sogar Luther in den Wirren der Reformation die Fürsten, also die Obrigkeit, dazu aufgerufen in der Kirche, notfalls mit Gewalt, Ordnung zu schaffte. Das wirkte bis ins Nazi-Regime. Nicht selten haben Kirchen / Prediger dazu aufgerufen dem Regime bedingungslos ! zu gehorchen. Wir kennen das Ende mit 6 Millionen ermordeter Juden und 65 Millionen Taten des Weltkrieges. Der bedingungslose !!!!!! Gehorsam gegenüber den jeweiligen Machthabern eines Staates, berufen auf Römer 13, auf die Bibel ist, das muss in aller Deutlichkeit gesagt werden: Eine Irrlehre! 

Natürlich wusste Paulus nichts von Demokratie und dem Gewaltmonopol des Staates. Er wusste nichts von Gewaltenteilung und demokratischer Kontrolle. Wir haben ein vollkommen anderes Verständnis von Obrigkeit Aber: Damit sind wir mit Paulus bis heute einig: Es gibt Böses in jeder Gesellschaft, Unfrieden und Gewalt, Ausbeutung und Unterdrückung. Böses eben. Die Obrigkeit, und da kann ich mich mit Paulus verständigen, hat dafür zu sorgen, dass durch Ordnungen und Regeln, durch Gesetzte dafür zu sorgen, dass das Böse keine Macht bekommt. 

Tue Gutes, dann musst du die Obrigkeit nicht fürchten, denn sie schützt das Gute. Sie straft nur die Bösen, also die das Zusammenleben von Menschen schädigen oder zerstören wollen. Das Gewissen gebietet euch, um des Guten willen die Obrigkeit anzuerkennen. Also erkennt sie an, zahlt Steuern, Zoll, respektiert die Diener, die Beamten. So schreibt er. „Gebt dem Kaiser was des Kaisers ist“ sagt Jesus. Das ist, nebenbei angemerkt, auch eine Antwort gegen den sog. Gottesstaat, egal welcher Glaubensrichtung. 

Die Obrigkeit, die staatliche Gewalt, hat eine Funktion zum Guten. Viele Ausleger sagen deshalb, mit Obrigkeit meint Paulus nicht Kaiser und Präsidenten, sondern einfach die Ämter, die Behörden. Bleibt aber dennoch die Frage: Was machen wir, wenn alle nicht zum Guten helfen? Wenn, und das ist in vielen Ländern Realität, die Staatsdiener, die Beamten korrupt bis unter die Haarspitzen sind. 

(Als jemand der fast 7 Jahre in Afrika gelebt hat, weiß ich ganz gut wovon ich spreche). 

Darauf gibt Paulus keine Antwort. Vielleicht wollt er die Römer nicht kritisieren. Er hat aber auch die Vision eines Ideals, eines großen Friedensreiches, in dem am Ende alle Menschen Gott loben. Die Macht der Regierenden und deren Staatsdiener soll ausschließlich dem Menschen dienen, das Zusammenleben im Guten regeln. Wenn das nicht der Fall ist, dann ist Wiederstand geboten. Das schließt auch Paulus nicht aus. Ganz im Gegenteil. Kadavergehorsam befördert das Böse!. 

Ihr Lieben, natürlich stehen wir heute nicht an der Schwelle zu einem neuen Naziregime. Dennoch machen uns politische Entwicklungen im Land und in der Welt Sorge. Demagogen und Populisten gewinnen hie und da die Oberhand. Die Demokratie, die uns so selbstverständlich geworden ist, ist gefährdet durch Vereinfacher, durch Rufer nach Ordnung, durch Zerstörung unserer Kultur der Kommunikation, Verschwinden von Anstand. 

Timothy Snyder, Geschichtsprofessor an der Yale-Universität, rät uns 20 Lektionen für den Widerstand, unter anderem: 

* Leiste keinen vorauseilenden Gehorsam. 

* Verteidige die Institutionen im Land. 

* Übernimm Verantwortung für das Antlitz der Welt. 

* Denk an deine Berufsehre. 

* Sei bedächtig, wenn du eine Waffe tragen darfst. 

* Setze ein Zeichen. 

* Sei freundlich zu unserer Sprache. 

* Glaube an die Wahrheit. 

* Frage nach und überprüfe. 

* Nimm Blickkontakt auf und unterhalte dich mit anderen. 

* Engagiere dich für einen guten Zweck. 

* Achte auf gefährliche Wörter. 

* Bleib ruhig, wenn das Undenkbare eintritt. 

* Sei so mutig wie möglich. 

Schauen wir und drei seiner Lektionen abschließend noch etwas genauer an: 

Verteidige die Institutionen im Land. Sie helfen uns, dass wir den Anstand wahren. Die Gerichte, die Zeitung , die Kirchen, die Gewerkschaften. Autokraten, die an die Macht gekommen sind, stürzen sich als erstes auf sie (Stichworte sind Lügenpresse oder Fake news, Diffamierung der Kirchen, Verhöhnung der sog. Altparteien….) 

Glaube an die Wahrheit. Die Wahrheit wird euch frei machen, sagt Christus. Wenn wir die Lüge nicht aufdecken, werden wir irregeführt und können nicht verantwortlich handeln. Tyrannen machen Politik mit Lügen. Darum informiere dich umfassend, kritisch. 

Schaut euch in die Augen. Wer Böses plant, hält Blicken nicht stand. Pflegt Freundschaften. Wechselt nicht auf die andere Straßenweite, wenn euch jemand entgegenkommt. Sucht neue Freunde im Geiste Jesu. 

Um das Verhältnis von Christentum und Politik, von Kirche und Obrigkeit ging es heute. 

Lasst uns mindestens in der Kirche versuchen, dass wir uns nicht, wie Paulus sagt, der Welt gleich stellen. Dass die Liebe uns leitet. Wir sind ein Leib. Unser Sozialstaat ist eine große Errungenschaft, eine organisierte Solidarität. Unsere Freiheit ist kostbar. Sie zu schützen ist es wert. 

Prof. Fulbert Steffensky, den ich bei einer Bibelarbeit am Kirchentag in Berlin erleben durfte formulierte das so: „Den Großmut einer Gesellschaft erkennt man daran, dass sie die Güte und Souveränität hat, niemandem die Zukunft zu nehmen“. Ganz im Sinne des Apostels aus Röm. 13 „Seid niemand etwas schuldig, außer dass ihr euch untereinander liebt“. Beteiligt Euch. Meckern ist eine moderne Form des Untertanen-Geistes. 

AMEN

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