Gottesdienste in St. Johannis (Tauferinnerung mit Erwachsenentaufe) und im AWO am drittletzten Sonntag im Kirchenjahr - 10.11.2019)

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St. Johannis, AWO

Predigt:
Pfarrer Jörg Mahler

"Also hat Gott die
Welt geliebt..."

Schriftwort für die Predigt (Joh.3,16):

Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.

Predigt:

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes. Amen.

1.

Liebe Gemeinde,

in einem japanischen Märchen wird folgendes erzählt: Ein Bauer kämpft sich durch meterhohen Schnee zu seinem hoch am Berg liegenden Hof nach Hause. Die müden Füße wollen Ihn kaum mehr tragen. Immer tiefer sinkt der erschöpfte Mann in den Schnee ein. Und der Hof Ist noch weit. Auf einmal ist eine alte Frau neben Ihm. Ihr Gesicht Ist von Sorge und Leid zerfurcht. Aber Ihre Augen leuchten. Als der Bauer kaum mehr gehen kann, reicht Ihm die alte Frau Ihre von harter Arbeit gezeichnete Hand. Und sonderbar, die alte, zarte Frau zieht Ihn besser als der stärkste Mann vorwärts. Der Bauer hält die Hand fest. Ganz warm strömt es aus der Frau zu Ihm herüber. 

„Wer bist du?" fragt der Bauer verwundert, ,,und wo kommst du her?'' 

,,Ich wohne überall", sagt die Alte. 

„So bist du also kein Mensch?" entsetzt sich der Bauer. 

,,Nein", sagt die Alte, „Ich lebe nur unter den Menschen." 

„Dann bist du die Sorge, der Kummer, die Not, die jeden Menschen begleitet?" 

„Nein", lächelt die Frau, „Ich bin die Liebe, die echte Liebe!" 

Da bleibt der Bauer verwundert stehen und schaut auf das zerfurchte Gesicht, die rauen Hände, das weiße Haar und den gebeugten Rücken der Alten. ,,Die Liebe stell ich mir anders vor. Die prangt in Schönheit, hat blühende Farben, einen roten Mund zum Küssen und einen prallen Leib zum Umarmen.

„Ach, du meinst meine Schwester, die Lust, die sich manchmal für mich, die Liebe, ausgibt. Nein, die Liebe ist ganz anders. Denk mal nach, wann du der Liebe in Wahrheit begegnet bist. Wie bist du auf die Welt gekommen, wer hat dich zärtlich aufgezogen, nachts gewacht und tags gesorgt, wer hat Ungerechtigkeit erduldet und mit Güte beantwortet, wer hat die Mühen und Leiden des Alltags getragen, wer hat die harten, egoistischen Herzen verwandelt? Das war immer die Liebe, die echte Liebe!"

„Du hast recht", sagt der Bauer. 

Und die Liebe fuhr fort: „Die echte Liebe hat — und darum bin ich so zerfurcht und gebeugt — das Schwerste zu tun. Sie muss überall da sein, wo Menschen in Lust und Leidenschaft Leben zerstören und Gutes versäumen. Wenn Menschen richtig leben wollen, muss Ich Ihnen helfen, das Leid zu tragen, ohne dass es keine echte Liebe gibt. Ich muss sie stark machen zum Opfer. Die glänzenden Bilder, die verführen und bezaubern, sind nur Trug und Schein. Die echte Liebe geht von Arbeit gebeugt, von Leid gezeichnet und doch voll Kraft und Ausdauer Ihren Weg!"

Die alte Frau wendet sich zum Gehen. „Warum verlässt du mich dann schon?", fragt der Bauer. „Ich bin jetzt in dir, Bauer", sagt die Frau. Und sie hatte recht. Der Bauer fühlte es zwar selber nicht, aber alle anderen Menschen In seiner Umgebung fühlten es fortan.

2.

Soweit diese Erzählung.

Die echte Liebe, liebe Gemeinde. Die haben wir doch alle schon erlebt. Hoffentlich auch die Lust. Aber die echte Liebe, die reicht wirklich tief: Die Liebe der Eltern, die alles für ihr Kind tun, die nachts aufstehen, wenn das Kind aufwacht, die am Bett wachen, wenn es krankt, die das Beste wollen. Die Liebe von Menschen, die uns nicht in die Irre laufen lassen, die für uns da sind. Die Liebe von Menschen, auf die wir uns verlassen können, die uns in den Arm nehmen und trösten, bei denen wir uns geborgen wissen. Die Liebe von Menschen, die uns unsere Last tragen helfen. Jedem werden Momente aus dem eigenen Leben vor Augen kommen, in denen diese Liebe spürbar wurde.

Wir finden diese echte Liebe mitten unter uns, immer wieder auf unserer Lebensreise. Und erst recht begegnet uns diese Liebe bei Gott. Am Anfang des Johannesevangeliums steht ein sehr wichtiges Bibelwort, in dem genau diese Liebe Gottes beschrieben wird: Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. (Johannes 3,16)

Also hat Gott die Welt geliebt: Die Welt, die Natur, die Tiere, die Menschen sind seine Idee, seine Schöpfung: „Und siehe, es war sehr gut“. Wie ein Vater umsorgt er uns. Martin Luther beschreibt das mit den Worten: „Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen, mir Leib und Seele, Augen, Ohren und alle Glieder, Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält; dazu Kleider und Schuh, Essen und Trinken, Haus und Hof, Weib und Kind, Acker, Vieh und alle Güter; mit allem, was Not tut für Leib und Leben, mich reichlich und täglich versorgt, in allen Gefahren beschirmt und vor allem Übel behütet und bewahrt; und das alles aus lauter väterlicher, göttlicher Güte und Barmherzigkeit, ohn all mein Verdienst und Würdigkeit.“. Echte Liebe, was Gott für uns tut.

Also hat Gott die Welt geliebt: Nicht egal ist ihm die Welt. Nicht egal ist es ihm auch, wie wir uns fühlen, was uns freut und bedrückt. Nicht egal ist es ihm, wenn Leben eingeengt und gemindert wird. Du und ich, wir sind ihm nicht egal. Er wendet sich unserer Welt, er wendet sich mir und dir liebevoll zu. 

Die Größe seiner Zuwendung können wir erst dann wirklich ermessen, wenn wir auf Jesus Christus blicken:  Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab. Sein bestes, sein Teuerstes gibt er in die Welt hinein. Weihnachten: Gott kommt auf die Erde, kommt uns ganz nah. In Jesus zeigt Gott uns den Weg des Lebens. Er offenbart sich als der heilende, fürsorgliche, zurechtbringende Gott. Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab: Am Karfreitag hat er ihn in den Tod gehen lassen, ist eingedrungen in die Tiefe von menschlichem Leid und Schuld und in den Tod. Und hat all das Dunkle überwunden: „der mich verlornen und verdammten Menschen erlöset hat, erworben, gewonnen von allen Sünden, vom Tode und von der Gewalt des Teufels“, so drückt Luther aus, was Gott aus Liebe schenkt. Jesu Angesicht am Kreuz, das ist das zerfurchte und gebeugte Angesicht echter Liebe. Das ist die Liebe, die da ist, wo Menschen Leben zerstören. Das ist die Liebe, die hilft, leid zu tragen. Die bereit ist zum Opfer. Die aber auch die Kraft hat, alles Böse zu überwinden. Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.

Die Liebe Gottes zu uns – in Christus – einfach unübertreffbar!

3.

Diese Liebe muss man sich selbst immer wieder vergegenwärtigen, bewusst und klarmachen. Das verändert im Inneren. Und sie ist keine Theorie, sie ist spür- und erlebbar, sie zeigt Wirkung in unserem Leben.

Und immer wieder geschieht dieses Wunder: Menschen, die Jesus noch nicht kannten, erfahren diese Wirkung, haben Erlebnisse mit der Liebe Gottes, und entscheiden dann für sich selbst. Ich will zu diesem Gott gehören. Ich will mich taufen lassen. Auch bei Ihnen, lieber n.n., war es ähnlich: (…) Gott hat Sie bewahrt und behütet. Und so hat sie Ihr Lebensweg näher mit Gott zusammengebracht, so dass wir heute Ihre Taufe feiern dürfen.

Das ist das eine: Menschen, die kaum Kontakt zu Gott hatten, entscheiden: Ich will zu diesem Gott gehören. Meistens aber ist es genau andersherum: Da wurde jemand als Kind getauft, und der Glaube ist in ihm im Laufe der Jahre gewachsen- durch die christliche Erziehung von Eltern, Großeltern oder Paten, durch Freunde, durch den Reli- oder Konfiunterricht. Da hat jemand begonnen, selbst die Bibel zu lesen, regelmäßig zu beten, mit Gott in Kontakt zu sein und ihn mit hinein ins Leben zu nehmen. Und dann bewährt er sich, dieser Glaube: Er hilft, Lasten zu tragen. Er öffnet uns die Augen für das, worauf es ankommt und was wichtig ist. Er nimmt Schuld. Er hilft, neu anzufangen. Er schenkt Trost und Halt, gerade dann, wenn man meint, es bricht alles zusammen. Er schenkt Hoffnung, selbst mitten im Sterben.

Wer Gott nicht kennt, wer keine lebendige Beziehung zu ihm hat, der kann das nur schwerlich nachvollziehen. Wer Gott aber kennt, der erlebt seine Gegenwart, der spürt die Kraft des Glaubens, der wird berührt von der großen Liebe Gottes und weiß sich in ihr geborgen.

Deshalb auch die Einladung an jeden Getauften, der schon lange nicht mehr die Liebe Gottes gespürt hat: lassen Sie sich neu auf ihn ein. Lassen Sie ihn hinein in ihr Leben, suchen Sie Kontakt. Und er wird seine Liebe spürbar werden lassen.

4.

Taufe und Liebe, die gehören zusammen, liebe Gemeinde. In der Taufe schenkt Gott uns seine Liebe, die Taufe nimmt uns in seine Liebe hinein. Und wer sich bewusst taufen lässt, der trägt andersherum auch die Liebe zu Gott in seinem Herzen. Taufe ohne Liebe, das gibt es nicht. Und die Liebe, die pflanzt sich auch aus der Taufe heraus fort: Wer sich von Gott geliebt weiß, der trägt diese Liebe weiter. Mit Gottes Hilfe. 

Gottes Geist ist ein Geist, der uns zur Liebe bewegt. Wie heißts nicht so wunderbar im 1. Johannesbrief: „Ihr Lieben, hat uns Gott so geliebt, so sollen wir uns untereinander lieben. Wenn wir uns untereinander lieben, so bleibt Gott in uns und seine Liebe ist in uns willkommen. Laßt uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt! (Kap 4,11f.19).“.

Erinnern Sie sich ans Ende der Geschichte von vorhin? Als sich die alte Frau zum Gehen wendet, fragt der Bauer: „Warum verlässt du mich schon?". Und sie antwortet „Ich bin jetzt in dir, Bauer“. Und die anderen Menschen in seiner Umgebung fühlten es fortan. Das ist etwas Tolles und das macht sympathisch: ein Mensch zu sein, bei dem man die Liebe fühlt, der eine liebevolle Ausstrahlung hat, der die Liebe in Wort und Tat lebt.

Oft tut einem das selber gut, für andere da zu sein, sich anderer anzunehmen. Aber manchmal, da fällt einem das gar nicht so leicht. In der Lesung für den heutigen Drittletzten Sonntag des Kirchenjahres haben wir gehört, welche Beispiele Jesus bringt, wie sich diese Liebe zueinander zeigt. Ich lese noch einmal ein paar Sätze vor, die wir vorhin schon gehört haben: Jesus spricht: „Liebt eure Feinde; tut wohl denen, die euch hassen; 28 segnet, die euch verfluchen; bittet für die, die euch beleidigen. 29 Und wer dich auf die eine Backe schlägt, dem biete die andere auch dar; und wer dir den Mantel nimmt, dem verweigere auch den Rock nicht. 30 Wer dich bittet, dem gib; und wer dir das Deine nimmt, von dem fordere es nicht zurück. 31 Und wie ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, so tut ihnen auch! 36 Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. 37 Und richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben. 38 Gebt, so wird euch gegeben.“.

Die Liebe Gottes setzt sich fort, dort wo wir einander annehmen.

Wer getauft ist, der gehört dazu, zur Gemeinschaft der Glaubenden, man könnte aber auch sagen: zur Gemeinschaft der Geliebten und der Liebenden. Denn wir als Christinnen und Christen wissen uns von Gott unendlich geliebt, und wissen uns zugleich von ihm gesandt, diese Liebe zu leben und zu anderen hin zu tragen. Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

 

[1] „Die echte Liebe“ (aus: Überlebensgeschichten von Axel Kühner, nach einem japanischen Märchen)