Heiliger Abend: Christmette in St. Johannis - 24.12.21

 

 

Predigt:

Lektor Roland Dier

"Denn die Gnade Gottes ist erschienen, um alle Menschen zu retten"

 

Vorwort:

Sie gebar ihren erstgeborenen Sohn, wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe.

Keine große Sache:
Frau bekommt Kind, wickelt es, legt es hin. Passiert millionenfach.
Keine große Sache?

Doch! Warum sonst wären wir jetzt hier in der Kirche, mitten in der Nacht, um Gottesdienst zu feiern.

Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen Gottes Vater und Mutter, Quelle unseres Lebens

im Namen Jesu Christi, Mensch gewordenes Gotteswort, Weg der Gerechtigkeit

und im Namen des Heiligen Geistes, der Kraft, die uns erfrischt und stärkt.

AMEN.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserm Vater. Lasst uns in der Stille um den Segen des Wortes beten. Herr segne unser Reden und hören.

Amen

Liebe Schwestern und Brüder,

Die Weihnachtsgeschichte des Lukas, so wie wir sie vorhin gehört haben hat alles was Augen, Ohren und Herz begehren. Sternenglanz und himmlische Musik, Hirten auf dem Felde und Engel am Himmel. Und doch ist da noch Platz. Platz für all unsere ganz persönlichen Weihnachtserlebnisse. Diese Geschichte ist unser gemeinsames und unser ganz persönliches Gedächtnis für alles, was wir mit Weihnachten verbinden: herrlich-selige Erinnerungen und herbe Enttäuschungen, himmlische Harmonien und irdische Streitereien um Kleinkram, ich sag nur: "Früher war mehr Lametta!"

Beides ist in der Geschichte aufgehoben: Die überwältigenden Erlebnisse - Licht von tausend Kerzen in der Kirche und die defekte Lichterkette für den Baum daheim am Morgen des Heiligen Abends. Und kein Ersatzlämpchen weit und breit.

Was sich seither alles zugetragen hat in all der Zeit, seitdem der Kaiser Augustus seinen Befehl zur Volkszählung gegeben hat ist eine lange Geschichte. Eine Geschichte wie ein Haus. Ein Haus in das man hineingehen kann, in dem man sich geborgen fühlen kann, in dem man geschützt ist vor den Unbilden der Natur und manches mal auch vor den Unbilden der menschlichen Kultur.

Sie hat Raum für jeden Menschen, der geboren wird und kann immer wieder und immer neu und immer mehr gefüllt werden mit allen Weihnachtsgeschichten, die wir selbst erleben mit derWeihnachtsgeschichte. Sie zu erzählen würde lange dauern, sehr lange dauern.

Aber so viel Zeit ist nicht immer. So viel Zeit nehmen wir uns vielleicht nur in der Heiligen Nacht.

Wir brauchen Weihnachten aber auch in den hektischen Momenten unseres Lebens, wenn kaum Zeit zur Besinnung bleibt. Auch dann soll es uns zu Ohren und Augen kommen, soll es Herz und Hände rühren, dass Gott als Mensch zur Welt kommt.

Die Weihnachtsgeschichte müsste man eben auch kürzer erzählen können! Die Weihnachtsgeschichte twittern, das wär`s doch.

Twitter – kennen sie? Man verschickt über eine Internetplattform, enorm kurze Texte, die in Bruchteilen eines Moments öffentlich sind auf der ganzen Welt. Bei allen Menschen mit Internet, die es wissen wollen.

Die Briefschreiber des Neuen Testaments hätten uns wohl um diese Möglichkeiten beneidet: Wie gern hätten sie mit einem Klick die Nachricht, dass Gott Mensch wurde, in die Welt hinausgetwittert!

Der Verfasser des Titusbriefes ist jedenfalls einer, der es in der Twitterkunst schon damals weit gebracht hat. Hören wir was er uns zu sagen hat im zweiten Kapitel seines Briefes an Titus:

Denn die Gnade Gottes ist erschienen, um alle Menschen zu retten. Sie erzieht uns dazu, uns von der Gottlosigkeit und den irdischen Begierden loszusagen und besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt zu leben, während wir auf die selige Erfüllung unserer Hoffnung warten: auf das Erscheinen der Herrlichkeit unseres großen Gottes und Retters Christus Jesus. Er hat sich für uns hingegeben, damit er uns von aller Ungerechtigkeit erlöse und für sich ein auserlesenes Volk schaffe, das voll Eifer danach strebt, das Gute zu tun.

Wir wissen nicht mehr, wer es war, der den Titusbrief in die Welt setzte. Ein cleverer Typ muss es jedoch gewesen sein! Denn er nennt sich Paulus, weil er weis, dass man mit diesem Absender etwas gilt in den ersten Netzwerken der jungen Christenheit. Er erkennt, wie man Aufmerksamkeit erlangt. Aufmerksamkeit, eines der sehr kostbaren Güter, die wir Menschen haben und die wir einander schenken können. Er erzählt die komplette Weihnachtsgeschichte in 11 Worten. Das sind nur 53 Zeichen, bei Twitter sind 140 Zeichen pro Nachricht erlaubt.

"Denn die Gnade Gottes ist erschienen, um alle Menschen zu retten."

Das ist die kürzeste Weihnachtsgeschichte, die ich kenne.

"Denn die Gnade Gottes ist erschienen, um alle Menschen zu retten."

Die Gnade Gottes ist für alle Menschen erschienen. Erinnern wir uns, was das heißt: für alle Menschen. Wir hier in Rödental und Umgebung gehören dazu, gehören aber zu einer echten Minderheit, und das nicht nur zur Weihnachtszeit:

'Wenn wir Essen im Kühlschrank haben, Kleider am Leib, ein Dach über dem Kopf und etwas Schlaf inder Nacht, dann geht es uns besser als 75% der Menschen auf der Erde.

Wenn wir Geld auf der Bank und in unseren Geldbeuteln haben und wir irgendwo ein bisschen Kleingeld sparen können, dann gehören wir zu den reichsten 8% der Weltbevölkerung.

Wenn wir niemals den direkten Gefahren eines Krieges ausgesetzt waren oder der Einsamkeit der Gefangenschaft, der Qual der Folter oder den Schmerzen des Hungers, dann geht es uns besser als 500 Millionen Menschen.

Weil wir einen Gottesdienst besuchen können ohne Furcht vor Belästigung, Verhaftung und Ermordung, sind wir besser dran als so viele Menschen, deren wirkliche Zahl auf Erden nur Gott allein kennt. Manche schreiben, es seien drei Milliarden ...

Wenn jemand eben nicht singen konnte, weil er oder sie erkältet ist, in der Nase, im Hals oder gar an der Seele, so konnte er doch den Text im Gesangbuch mitbeten und ist nicht einer der 780 Millionen Menschen dieser Welt, die Analphabeten sind und nicht lesen können.

Weihnachten ist für alle Menschen da. Gott wird Mensch für alle Menschen. Können wir uns das wirklich vorstellen?

Nehmen wir noch einmal die Geschichte des Lukas:

Maria und Josef hatten keinen Kühlschrank. Ihnen wäre ein Kühlschrank nur lästig gewesen. Kein Eselhätte auch einen Kühlschrank so weit transportiert! Kleider hatten sie am Leib und Windeln für das Neugeborene, ein Dach über dem Kopf fanden sie nach langer Suche.

Schlaf in jener Nacht ganz sicher nicht, aber auch heutzutage wird in Kreisssälen nicht geschlafen. Und bald darauf kann wenigstens Josef schon wieder träumen, also auch schlafen, womöglich schnarchen, um wilde Tiere zu vertreiben.

Über Geldvorräte oder gar Sparbücher der jungen Familie wird nichts Aufschlussreiches gesagt, dasssie viel sparen konnten, bezweifle ich.

Steuern waren damals lebensgefährlich hoch. Sie aber überleben es. Den Schmerz des Hungers kannten sie gewiss.

Ob die Eltern Jesu lesen konnten? Wer weiß.

Mord und Totschlag entgingen sie knapp durch ihre Flucht im letzten Moment.

Soweit Lukas.

Im Titusbrief lesen wir, worauf es zu Weihnachten noch ankommt.

Weihnachten soll uns bewegen, uns von Gottlosigkeit und irdischen Begierden loszusagen. Diese Nacht hat also Konsequenzen für alle folgenden Tage.

 

Liebe Gemeinde

Die Gnade Gottes ist erschienen ... Damit werden Hoffnungen geweckt. Und wir warten darauf, dass diese Hoffnung in Erfüllung geht. Darauf, dass die Herrlichkeit unseres großen Gottes und Retters Jesus Christus erscheint. Gott kam in die Welt und unsere Hoffnung auf ein gutes Ende lebt, alle Jahre wieder und besonders zur Weihnachtszeit.

Besonnenheit und Gerechtigkeit sind und bleiben gefragt, in allen großen und kleinen Entscheidungen für die Welt, für die Kinder, die die schon geboren sind und die, die in dieser Heiligen Nacht 2021 geboren werden.

Ein Volk sollen wir werden, das nur darauf aus ist, Gutes zu tun.

Nicht jeder einzelne soll es für sich allein versuchen, sondern wir alle miteinander. In der großen Gemeinschaft der sehr verschiedenen Kinder Gottes, sollen wir darauf aus sein, Gutes zu tun. Das istdie bleibende Herausforderung auch zu Weihnachten 2021.

Amen

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, der stärke und bewahre unsere Herzen undSinne wie neugeboren in Jesus Christus. Amen.

 

Gebet

Guter Gott,

an Weihnachten hast du uns deinen Sohn Jesus Christus gegeben. In ihm bist du bei uns.

Sein Licht leuchtet in der Dunkelheit unserer Welt. Wir preisen dich dafür und bitten dich:

Für alle Menschen, die traurig sind, die Angst haben, die kein Verständnis finden, die krank sind, die hungern, die leiden, die auf der Flucht sind.

Sieh auf das Leid dieser Menschen. Gib auch uns offene Ohren und Augen für diejenigen, die uns brauchen. Schenke uns Kraft, Gutes zu tun.

Das bitten wir dich durch deinen Sohn Jesus Christus, unseren Herrn und Bruder.

Mit seinen Worten beten wir gemeinsam: Vater unser im Himmel.....

Segen

Geht nun hinaus in diese heilige Nacht begleitet von Gottes gutem Segen

Gott lasse euch ein gesegnetes Weihnachtsfest erleben.
Gott schenke euch die nötige Ruhe, damit ihr euch auf
Weihnachten und die frohe Botschaft einlassen könnt.
Gott nehme euch Sorgen und Angst
und schenke euch neue Hoffnung.
Gott bereite euch den Raum, den ihr brauchst
und an dem ihr so sein könnt, wie ihr seit.
Gott schenke euch die Fähigkeit zum Staunen
über das Wunder der Geburt im Stall von Bethlehem.
Gott mache heil, was ihr zerbrochen habt
und führe euch zur Versöhnung.
Gott gebe euch Entschlossenheit, Phantasie und Mut,
damit ihr auch anderen Weihnachten bereiten könnt.
Gott bleibe bei euch mit dem Licht der Heiligen Nacht,
wenn dunkle Tage kommen.
Gott segne euch und schenke euch seinen Frieden.

Amen