Gottesdienst am Sonntag Exaudi (Jubelkonfirmation) in St. Johannis am 17. Mai 2015

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St. Johannis

Predigt:

Pfarrer Jörg Mahler

"Der Geist der Wahrheit" 

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, und die Liebe Gottes, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

Der vorgegebene Predigttext für den heutigen Sonntag zwischen Himmelfahrt und Pfingsten steht im Evangelium des Johannes, Kapitel 15 ab Vers 26:

Wenn aber der Tröster kommen wird, den ich euch senden werde vom Vater, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, der wird Zeugnis geben von mir. [27] Und auch ihr seid meine Zeugen, denn ihr seid von Anfang an bei mir gewesen. [16,1] Das habe ich zu euch geredet, damit ihr nicht abfallt.

Liebe Gemeinde!

In Märchen und fantastischen Geschichten erhalten Helden gelegentlich ein besonderes Präsent. Ein Geschenk, das ihnen Macht, Schutz oder Glück bringen soll auf ihrem Weg.
Schlagen wir nach bei den Gebrüdern Grimm: Um der Lebenshärte trotzen zu können, bekommt der älteste Sohn des Schneiders nach seiner abgeschlossenen Lehre ein
Zauber-Tischchen, das sich auf den Spruch "Tischchen, deck dich" selbst mit Essen deckt. Der zweite Sohn bekommt einen Esel, der Gold speit, wenn er auf einem Tuch steht und "Bricklebrit" gerufen wird. Der jüngste Sohn ist erhält einen Sack mit einem Knüppel, der auf das Kommando "Knüppel, aus dem Sack" alles um ihn herum verprügelt. Auch in modernen Märchen gibt es solche besonderen Geschenke als Wegbegleiter: Frodo Beutlin – hier sind jetzt die Tolkien-Kenner gefragt – Protagonist im fantastischen Roman „Herr der Ringe“ trägt einen Ring, wodurch ihm übermenschliche Kräfte zuwachsen. Diese sind allerdings eher finsterer Qualität. Und Harry Potter, der Zauberheld der Jugend, erwirbt sich seine Kräfte sehr konservativ auf dem Ausbildungsweg. Ein herkömmlicher Zauberstab und ein Lehrbuch mit lateinisch zu rezitierenden Sprüchen verleihen ihm die notwendigen, übernatürlichen Kräfte.

Und was bekommen wir Christen? Was bekommen wir Christen als Geschenk mit auf den Weg durchs Leben und die Epochen der Geschichte? Die Antwort verrate ich vorweg: Uns ist der Heilige Geist gegeben.
 Gerade haben wir es im Evangelium des heutigen Sonntags gehört: Bevor Jesus in den Himmel auffährt, kündigt er den Seinen an, dass dieser Geist kommen wird. Und er kommt tatsächlich: Nächste Woche an Pfingsten feiern wir sein Herabkommen auf die Jünger und die auf die ganze Kirche. Aber auch heute feiern wir sein Herabkommen, und zwar auf Euch, liebe Jubilare. Bei eurer Konfirmation wurde in einem Gebet um diesen Heiligen Geist gebeten. Und dann wurde er Euch im Konfirmationssegen zugesprochen, wie schon einmal bei eurer Taufe. Das ist Gottes Geschenk für unseren Weg durchs Leben: der Heilige Geist. -

I.

Doch wer ist dieser Geist und was macht er eigentlich? Wie hilft er uns? Jesu Worte bringen uns auf die Spur. Er beschreibt in unserem Bibelabschnitt seine Aufgabe: Der Geist wird Zeugnis von mir geben. Der Geist bezeugt, was Jesus getan und gewirkt hat. Er erinnert uns an Jesu Einsatz für die Menschen, seine liebevolle Zuwendung, seine heilenden Worte, seine machtvollen Taten, die göttliche Vergebung, die uns sein Kreuz zeigt, seinen Sieg über den Tod.

Jesus gibt dem Geist einen besonderen Namen. Er nennt ihn „Tröster“. So hat es zumindest Martin Luther übersetzt. Im Griechischen steht hier das Wort „Paraklet“, was eigentlich viel umfassender ist und jemanden meint, der nicht nur tröstet, sondern der ganz aktiv Schutz und Beistand gewährt, der ein Helfer ist und Sicherheit schenkt. Dieser Paraklet, dieser Geist, er erinnert nicht nur an Jesu Wirken, sondern er wirkt vielmehr genauso wie Jesus es zu seinen Lebzeiten getan hat. Dieser Geist setzt das Werk Jesu nach dessen Himmelfahrt fort.

II.

Und jetzt die Frage an uns, an jeden einzelnen: Habe ich etwas von diesem Geist, von diesem Beistand in den Jahren meines Lebens gespürt? Konnte ich Gottes Wirken wahrnehmen?

Einige von Ihnen, liebe Jubilare, kenne ich ja persönlich von Geburtstagsbesuchen oder anderen Gelegenheiten. Manchmal frage ich in Gesprächen: „Haben Sie den Segen Gottes in ihrem Leben gespürt?“. Ich erinnere mich bei manch einem an eine große Dankbarkeit für all das, was Gott geschenkt hat: den Partner, Kinder und vielleicht sogar Enkelkinder, eine Familie. Ein Beruf, der Freude gemacht hat, und durch den ich mein Auskommen hatte. Eine schöne Wohnung, ein Haus mit Garten vielleicht. Freunde und Bekannte. Urlaube.Aber auch Erfahrungen, wo ich Gottes Schutz erlebt habe: Da bin ich gerade noch einmal davongekommen. Oder die Erfahrung: In schweren Zeiten, da hat mich Gott getragen. Sicherlich wird nicht jeder alles im Leben erlebt haben, das er sich gerne gewünscht hätte. Und man braucht auch nicht alles, um wirklich glücklich zu sein. Aber doch gibt es diese Wohltaten Gottes, das, was mir geschenkt wurde, was mir gelungen ist, das, worin ich bewahrt worden bin.

Viele sind ihrem Gott dankbar für ihr Leben und seinen Beistand, seinen Geist. Heute ist ein Tag, diesen Dank auch einmal auszusprechen und an Gott zu richten, vielleicht mit den Worten: „Danke, gütiger himmlischer Vater, für all das Gute, dass Du mir erwiesen hast!“.

III.

Anderen von Ihnen erging es anders. Damals bei der Konfirmation haben sie „Ja“ zu Gott gesagt, und es auch ernst gemeint. Aber im Laufe der Jahre ist die Beziehung zu Gott eingeschlafen, oder Sie haben sie ganz bewusst abgebrochen. Welche Eigenheiten des Lebens bringen Menschen von Gott ab? Für mache gerade der steinernen und eisernen Konfirmanden waren es die bitteren Erfahrungen einer Kindheit im Dritten Reich, Krieg und Elend, Hunger und Not. Während die einen nur durchgehalten haben, weil Gott ihnen die Kraft gab, haben andere da ihren Glauben verloren. Nach dem Kireg war es ein Leben, das anders als heute keine Vielfalt der Berufe und Lebensmöglichkeiten bot. Für andere Menschen gerade in den letzten Jahrzehnten dagegen ist es genau diese Fülle an Lebensmöglichkeiten, die sie von Gott wegbringt. Man hat soviel im Kopf und um die Ohren: Sportverein, Treffen mit Freunden, sich in den Beruf reinhängen, Reisen. Da findet sich der Glaube plötzlich ganz am Rande wieder oder fällt gar ganz hinten runter. Und anderes kann vom Glauben abbringen: Negative Erfahrungen mit der Gemeinde oder einem kirchlichen Mitarbeiter, die man pauschalisiert und auf die ganze Kirche und den Glauben überträgt. Schwere Situationen im Leben: Manchmal sehe ich die Güte im Leben anderer und kann sie in meinem Leben nicht spüren. Da leuchtet mir Gottes Handeln nicht ein. Das Leben schafft es immer wieder, Menschen von Gott wegzubringen.

Diese Erfahrung gab es aber auch schon zu biblischen Zeiten. Damals haben auch Menschen „Ja“ zu einem Weg mit Jesus gesagt, zu wie Sie bei Ihrer Konfirmation. Aber die jüdischen Gemeinden, in denen sie weiterhin lebten, wollten keine Jesusgläubigen in ihrer Mitte dulden. Jesus hat das vorausgesehen. Direkt nach unserem Predigttext weist er die Seinen auf diese harten Zeiten hin: Sie werden euch aus der Synagoge ausstoßen. Es kommt die Zeit, dass wer euch tötet, meinen wird, er tue Gott einen Dienst damit.

Dieser kleine Satz im Johannesevangelium spiegelt wieder, wie eigene christliche Gemeinden entstanden sind: Die Christen mussten die Synagogen verlassen und haben sich andernorts getroffen. Und er spricht von den Verfolgungen der Christen, die einsetzten. Gerade heute ist das wieder aktuell: Christen werden nicht nur in Syrien und einigen afrikanischen Ländern verfolgt, von Menschen, die wie Jesus richtig sagte, meinen, sie tun Gott einen Dienst damit. Leider dauert es Jahrhunderte, bis sich in einer Gesellschaft Toleranz und Akzeptanz von Andersdenkenden und Andersgläubigen durchsetzt. Auch manche Menschen in Deutschland haben da noch Nachholbedarf, wenn wir an ausländerfeindliche Hetzen denken.

Damals haben nicht alle Christen dem gesellschaftlichen Druck standgehalten und haben angesichts der Verfolgungen ihren Glauben an Jesus als dem Gottessohn aufgegeben. Eine ähnliche Erfahrung wie bei uns: Das Leben schafft es immer wieder, Menschen von Gott wegzubringen.

IV.

Jesus, der sich der Herausforderungen des Lebens bewusst ist, sagt seinen Jüngern in unserem heutigen Bibelwort: Das habe ich zu euch geredet, damit ihr nicht abfallt!

Jesus will, dass wir an ihm dranbleiben, weil er weiß, dass das Leben mit Gott tiefer ist und erfüllter. Er will keinem die Kraft des Glaubens vorenthalten, die Erfahrung, wie Gott Lebenswege aus dem Dunkel ins Licht führt, wie Gott Neuanfänge ermöglicht, wo alles festgefahren ist, wie Gott Orientierung für den eigenen Weg gibt. Und er weiß, dass Gott als unser Schöpfer Gemeinschaft mit uns haben möchte. „Bleibt an mir dran“, wirbt er damals und heute.

Es gibt diese Situationen im Leben, wo der Glaube  herausgefordert wird und sich bewähren muss. Es sind solche Zeiten zwischen Himmelfahrt und Pfingsten: Jesus ist nicht spürbar. Der Geist ist verheißen, aber es ist noch nicht Pfingsten geworden. Das sind Zeiten der Anfechtung. Jemand aus unserer Gemeinde hat mir einmal erzählt: In meiner Trauer habe ich mit Gott gerungen, bin gegen ihn aufgestanden. Aber dann mit der Zeit wurde es ruhiger in mir. Die Wunde in meinem Herzen wird bleiben, aber ich bin über die Klage hinausgewachsen. Jetzt weiß ich, dass die Kraft, das alles durchzustehen, von Gott kam.

Manchmal dauert es, bis man das Wirken des Geistes wahrnimmt. Aber: Der Geist ist uns für unseren Lebensweg geschenkt. Damals in der Taufe und in der Konfirmation. Er wirkt!!

Aber er wirkt manchmal anders als erwartet und anders als die Geschenke in den Märchen: Anders als der Ring bei Tolkien, der viel Böses schafft, sind die Früchte des Geistes Liebe, Freude, Frieden, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue und Sanftmut (Paulus im Galaterbrief 5,22f). Anders als der Goldesel führt uns der Geist zum ewigen Leben, das mit keinem Geld der Welt aufzuwiegen. Anders als der Knüppel aus dem Sack setzt sich der Geist nicht mit Gewalt durch, sondern sucht Kompromisse und fördert den Frieden – in uns selbst und zwischen uns. Anders als bei Harry Potter helfen uns nicht Zaubersprüche, sondern es hilft ein ehrliches Gebet. Anders als beim Zaubertischchen werden uns nicht die Köstlichkeiten der Küche gereicht, sondern Gott bereitet uns bei sich einen Tisch: Immer dürfen wir uns bei ihm zu Hause und geborgen fühlen, was auch das Leben mit sich bringt. Der Geist bewahrt nicht immer vor der Not, aber in der Not.

In jedem Märchen steckt trotzdem eine tiefe Wahrheit. Eine Wahrheit unserer heute angesprochenen Märchen ist: Es braucht etwas, das uns im Leben mitgegeben ist und uns hilft, es gut zu bestehen.

V.

Um diese Wahrheiten zu bewahren, werden Märchen seit Jahrhunderten weitererzählt. Jesus möchte, dass wir auch das Wirken Gottes weitersagen, weil er weiß, wie wichtig das ist. Jesus sagt: „Ihr seid meine Zeugen!“. Wer die Kraft des Geistes erlebt hat in seinem Leben, der wird gern zum Zeugen. Der will das den Kindern und Enkeln nicht vorenthalten. Ich finde es immer schön, wenn ich sehe, wie Großeltern ihren Enkeln das Tischgebet beibringen oder wie sie ihnen eine Kinderbibel schenken, in der ihnen die große Güte Gottes auf jeder Seite begegnet. Ihr seid meine Zeugen – wir sollten nicht zu zögerlich sein mit dem Bezeugen der Kraft Gottes. Oft traut man sich nicht, weil man denkt: Was werden da die anderen denken, wenn ich vom Glauben rede? Aber: Was haben wir zu verlieren? Verfolgung wie damals zur Zeit des Johannesevangeliums droht uns nicht mehr. Und manch ein Mensch, der sehnt sich vielleicht danach, so ein Zeugnis zu hören, weil es ihm selbst Mut macht.

So ein Zeugnis öffnet anderen die Augen, und sie erkennen, dass so manch Gutes in ihrem Leben kein Zufall war, sondern seinem Segen entspringt. (Man sagt ja auch „Zufall“ wäre das Pseudonym Gottes.) Sie entdecken so vielleicht die Spuren Gottes im eigenen Leben, und lernen Gott in die eigene Wahrnehmung des Lebens und der Welt einzubeziehen, und beten vielleicht sogar: Wandle meine Enttäuschung in Zutrauen und meinen Zweifel in Hoffnung.

Liebe Festgemeinde!

Heute an diesem Festtag haben wir drei Blickrichtungen:

Erstens: Wir blicken zurück und legen die Vergangenheit in Gottes Hand, versöhnt mit unserer eigenen Geschichte, mit all dem, was wir erlebt und durchlebt haben. Zweitens: Wir blicken zu Gott und halten jetzt inne in seiner Gegenwart, und sind eingeladen, wie damals „Ja“ zu ihm zu sagen: Ein Ja aus vollem Herzen in Dankbarkeit für all die guten Erfahrungen mit ihm. Oder ein zaghaftes Ja: Ja, ich will’s mit dir probieren. Dich wieder hineinnehmen in mein Leben. Und wir blicken drittens in unsere Zukunft, in die wir hineingehen. Vielleicht stellen wir realistisch fest: Ja, es gibt Sorgen: die Sorgen um die Kinder oder um die eigene Gesundheit, die Unsicherheit, wie es wohl werden wird, wenn im Alter die Kräfte schwinden. Für manche Not gibt es überhaupt nicht die Aussicht, dass es sich wieder ändert, z.B. für körperliche Einschränkungen, die das Alter eben einfach mit sich bringt. Und doch können wir im Vertrauen weitergehen. Denn wir haben ein ganz besonderes Geschenk.

Von den zaubermächtigen Geschenken in den Märchen können wir nur lesen. Gottes Geschenk für unser Leben können wir erleben. Möge jede und jeder in Freude und im Schweren immer wieder seinen Geist erleben, den Jesus einen Parakleten, nennt: den Tröster und Helfer, den Beistand und Geber guter Gaben.

Amen.

Und der Friede Gottes, der all unser menschliches Begreifen übersteigt, sei mit Euch allen. Amen.

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