Gottesdienste am Sonntag Invokavit im AWO und in St. Johannis am 10. März 2019

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AWO, St. Johannis

Predigt:
Diakon Günter Neidhardt

"Er ist da! Nur ein 
Gebet entfernt!"

Predigttext: Hebräer 4,14-16 

Weil wir denn einen großen Hohenpriester haben, Jesus, den Sohn Gottes, der die Himmel durchschritten hat, so lasst uns festhalten an dem Bekenntnis. Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte mit leiden mit unserer Schwachheit, sondern der versucht worden ist in allem wie wir, doch ohne Sünde. Darum lasst uns freimütig hinzutreten zu dem Thron der Gnade, auf dass wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden und so Hilfe erfahren zur rechten Zeit. 

Herr, segne unser Reden und Hören durch deinen Heiligen Geist. Amen. 

Liebe Gemeinde, 

sie weiß schon, wie sie einen packen kann, die Versuchung. Hier ein kleines Wort und dort eins. Relativ harmlos, wenn es um die zarteste Versuchung seit es Schokolade gibt geht (so Milka) oder wenn Axe Deos angeblich sogar Engel in Versuchung führt. Schwieriger schon wenn sich da ein Gedanke einnistet und immer größer wird. Einflüsterungen. Angebote. Verführerische Aussichten.Ein glückliches Leben ohne Schmerz. Macht und Erfolg. Schöne Dinge, die dich glücklich machen. 

Manchmal nimmt sie Fahrt auf, die Versuchung. Sogenannte Ratgeberliteratur die ohne Zahl angeboten wird befeuert das noch mit Versprechen wie: „Reich werden und reich bleiben“, „Wie du dir ein Leben erschaffst(!) von dem du schon immer geträumt hast. „Die 10 Boss Gebote“ 

Eindringlich, drängend setzt es sich im Kopf fest: Vertrau auf deinen Instinkt. Mach was aus dir. Nimm dir, was dir zusteht. Schwäche ist eine Schande. Werde die bessere Version deiner Selbst. Du kannst alles, wenn du nur an dich glaubst. 

Und wie ist es aber, wenn alle Selbstoptimierungsstrategieen doch nicht klappen. Wenn wir dann doch einmal am Ende sind mit unserer Weisheit, wenn wir feststellen, dass wir uns eben doch nicht selbst erschaffen, wenn wir eben doch nicht nach unseren eigenen 10 Geboten leben können. Was dann? Kehrt sich dann alles ins Gegenteil. Versager statt Boss. Geldsorgen statt ewigen Reichtums. Ist dann alles aus? Totalversager. Kriegst schon gar nichts auf die Reihe. Kein Wunder, dass die anderen besser ankommen als du. Wer soll dich schon mögen, schau dich doch mal an. 

Invokavit (Ps. 91,15 Er ruft mich an, darum will ich ihn erhören) Der heutige Sonntag ist das Tor zur Passionszeit. Wir machen uns mit Jesus auf den Weg hinauf nach Jerusalem und gleichzeitig hinunter in die Tiefe. Da, wo die unangenehmen Fragen lauern. Und die Urängste sitzen. Versuchung – die erste Etappe dieses Weges. Und eigentlich Thema unseres ganzen Lebens. 

Als Getaufte leben wir im Dazwischen. Zwischen Vertrauen und Zweifel, zwischen eigenem Anspruch und dem Erschrecken über uns selbst. Wir leben in einer Welt voller Versuchungen. Versuchungen, das ist alles, was uns wegführt von Gott. Sie bringen uns dazu, die Bodenhaftung zu verlieren und falsche Prioritäten zu setzen. Sie bringen alles durcheinander. Der Teufel, der Versucher in Kisuaheli „Shadani“ wird mit „Durcheinanderbringer“ übersetzt! Und sie machen müde. Glaubensmüde. 

„Wir haben einen, der uns hilft“, erinnert der Schreiber des Hebräerbriefes seine Gemeinde. Sie ist in Gefahr, der Versuchung zu erliegen. Müde ist sie geworden im Laufe der Jahre. Zu viel ist passiert. Vielleicht u viel Druck von außen. Zu viele Fragen ohne Antwort. Zu wenig Gewissheit. Ein Durcheinander. 

Jetzt ist die Versuchung da, alles hinzuschmeißen. Den Glauben wegzuwerfen. Weil es eh nichts bringt. Und weil ausgerechnet dann, wenn man Gott am nötigsten braucht, der Himmel verschlossen ist. Gott im Wolkenbunker. Irgendwo fern da oben. 

„Wir haben einen“, erinnert er sie. Und er erinnert auch uns. Wir haben einen, der hat alles durchschritten. War im Leben und im Todesreich und in allen Himmeln. Jesus, der Sohn Gottes. Der weiß, wie sich Glück anfühlt. Und er weiß wie sich Schmerz anfühlt. Der kennt die Stimme der Versuchung so wie du. Steine zu Brot. Auf Risiko gehen. Sich einen Namen machen. Dieser teuflische Mechanismus von Allmachtsphantasien: Alle Reiche der Welt kann ich haben. Diese gefährliche aber verlockende Eitelkeit.. 

Das Evangelium das wir als Lesung gehört haben berichtet ja eindringlich davon wie Jesus in Versuchung geführt werden sollte. Und seine größte Versuchung: Die letzten Stunden. Die Todesangst. Die Häme der Mächtigen. Der Spott des Verbrechers neben ihm. Blut, Schweiß und Tränen. 

Das ist doch nur ein Klacks für dich, den Gottessohn. Es ist doch nur einen Augenaufschlag Wert um es allen mal so richtig zu zeigen und den Spöttern das Maul zu stopfen und herabzusteigen vom Kreuz. Aber er ist geblieben. Uns zugute. Weil auch wir nicht einfach so aussteigen können vom Leid. Und: Er ist geblieben bei Gott. Er hat sich nicht wegziehen lassen. Auch nicht am Schluss. Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?, rief er. Im Gefühl der Gottverlassenheit dennoch beten. Nicht „Nein“ sagen zu Gottes unbegreiflichem Willen. 

Weil wir denn einen großen Hohenpriester haben, Jesus, den Sohn Gottes, der die Himmel durchschritten hat, so lasst uns festhalten an dem Bekenntnis. Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte mit leiden mit unserer Schwachheit, sondern der versucht worden ist in allem wie wir, doch ohne Sünde. 

Die Leute damals wussten noch vom Tempel und vom Hohenpriester. Und dass am Jom Kippur (großen Versöhnungstag) der Hohepriester dahin ging, wo sonst niemand hineindurfte. Er durchschritt die Vorhöfe und Hallen des Tempels bis zum Vorhang, der die Welt vom Allerheiligsten trennte. Er schob den Vorhang beiseite und ging hinein. Stellvertretend setzte er sich der Heiligkeit Gottes aus. Er bat um Vergebung für die Sünden, die getan worden waren in diesem Jahr. Lasten abgeben, alles Böse dem Sündenbock aufbürden und in die Wüste schicken. Einen neuen Anfang machen. 

Jesus, wie ein Hohepriester. Und mehr. Größer noch. Er hat alle Räume durchschritten. Auch die, die dir Angst machen und die dich in die Versuchung führen, von Gott nichts mehr zu erwarten. Er weiß, wie sich das anfühlt, was dich gerade umtreibt. Er leidet mit. Und das ist kein mitleidiges Gefühl von oben herab aus der Warte des Starken. Sondern er kennt es selbst ganz genau, was du fühlst. 

Er bleibt an deiner Seite, was auch ist. Er traut sich auch dahin, wo es gruselig ist. Hinabgestiegen in das Reich des Todes….. Er geht auch in deine eigenen Abgründe mit hinein, dahin, wo du niemanden sonst hineinschauen lässt und wofür du dich schämst. Er geht mit und zeigt dir einen Weg hinaus in die Weite. Als Jesus starb, zerriss der Vorhang Tempel, der Vorhang zwischen Welt und Himmel. Und der Weg zu Gott ist frei. Für alle und jederzeit. Darum lasst uns freimütig hinzutreten zu dem Thron der Gnade, auf dass wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden und so Hilfe erfahren zur rechten Zeit. 

Die Versuchung gaukelt dir alles Mögliche vor. Redet dir sogar ein, es gäbe ein „Zu spät“ und ein „Zu schwach“ und dass du gefälligst alleine klarkommen musst. Aber du traust dich. Kannst dich trauen. Traust dich aus der Deckung. Traust dich, zu dir zu stehen und zu dem, was in dir ist an Träumen und Schuld und Verletzlichkeit. Trittst heraus aus der Enge deines Lebens in die Weite des Himmels. Freimütig. Voller Vertrauen, dass du dort Jesus findest. Den Hohenpriester und den Menschenbruder, dem du alles sagen kannst, was du nicht verstehst und was auf dich einstürmt jeden Tag und was dich kränkt und dich durcheinanderbringt. Er versteht dich, auch wenn du keine Worte mehr hast und er verurteilt dich nicht. Bei ihm ist Barmherzigkeit für die Schwachen und Gnade für die Schuldigen und Hilfe für die, die sich selbst nicht helfen können. 

In der Passionszeit machen wir uns auf den Weg. Hinunter in die Tiefe und hinauf in den Himmel. Wir tun es hier im Gottesdienst. Wir singen und beten. Setzen uns Fragen und auch den unbequemen Themen aus. Tun es manchmal aus wohltuender Distanz heraus und manchmal treffen sie genau ins Schwarze unserer Lebenssituation. Die Verheißung ist: Wir erfahren dabei nicht nur etwas über uns selbst und über Gott, sondern wir wappnen uns. Wir wappnen uns gegen die Einflüsterungen und Angebote und verführerische Aussichten, die uns wegziehen wollen vom Vertrauen. 

Wir können dem etwas entgegen setzen, Gott sei Dank. Vielmehr: Wir haben einen. Der uns liebt und uns für uns einsteht. Er ist da. Nur ein Gebet entfernt. 

Amen. 

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen in Jesus Christus. AMEN