Gottesdienst zum Ewigkeitssonntag im Curanum und in St. Johannis - 23.11.2019

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Curanum, St. Johannis

Predigt:
Pfarrer Jörg Mahler

"Darum wachet"


Liedpredigt: Der Mond ist aufgegangen

Evangelium des Ewigkeitssonntags aus Matthäus 25:

Dann wird das Himmelreich gleichen zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen und gingen hinaus, dem Bräutigam entgegen. Aber fünf von ihnen waren töricht, und fünf waren klug. Die törichten nahmen ihre Lampen, aber sie nahmen kein Öl mit. Die klugen aber nahmen Öl mit in ihren Gefäßen, samt ihren Lampen. Als nun der Bräutigam lange ausblieb, wurden sie alle schläfrig und schliefen ein. Um Mitternacht aber erhob sich lautes Rufen: Siehe, der Bräutigam kommt! Geht hinaus, ihm entgegen! Da standen diese Jungfrauen alle auf und machten ihre Lampen fertig. Die törichten aber sprachen zu den klugen: Gebt uns von eurem Öl, denn unsre Lampen verlöschen. Da antworteten die klugen und sprachen: Nein, sonst würde es für uns und euch nicht genug sein; geht aber zum Kaufmann und kauft für euch selbst. Und als sie hingingen zu kaufen, kam der Bräutigam; und die bereit waren, gingen mit ihm hinein zur Hochzeit, und die Tür wurde verschlossen. Später kamen auch die andern Jungfrauen und sprachen: Herr, Herr, tu uns auf! Er antwortete aber und sprach: Wahrlich, ich sage euch: Ich kenne euch nicht. Darum wachet! Denn ihr wisst weder Tag noch Stunde.

Ewigkeitssonntag

Predigt:

Gnade sei mit Euch, und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.

Liebe Gemeinde,

wann haben Sie zuletzt einmal am Abend oder in der Nacht Ihren Blick erhoben, und den Mond und die Sterne betrachtet? Die Karte, die Sie bekommen haben, lenkt unseren Blick heute nach oben. Die dunklen Bäume geben ein Sichtfeld frei. Eine sternklare Nacht. Der Mond ist sehr nahe, seine Oberflächenstrukturen sind zu erkennen. 

Ein Blick beim Spaziergang nach oben. Oder ein verweilen Nachts am Fenster, weil man nicht schlafen kann. So ein Blick nach oben hilft, seine Gedanken zu sortieren, wenn die Geschäftigkeit des Tages verklungen ist, und hilft zur Ruhe zu kommen.

Der Dichter Matthias Claudius muss das oft getan haben, ins Sternenzelt zu sehen, und er lässt uns teilhaben an den Gedanken, die er sich dabei gemacht hat. Um 1779 hat er eines der bekanntesten deutschen Abendlieder geschrieben: „Der Mond ist aufgegangen“.

1. Strophe
Der Mond ist aufgegangen
die goldnen Sternlein prangen
am Himmel hell und klar.
Der Wald steht schwarz und schweiget,
und aus den Wiesen steiget
der weiße Nebel wunderbar.

Der weiße Nebel steigt aus den Wiesen auf. Ein Bild, das in den November passt. Und das dazu passt, wenn wir unserer Verstorbenen gedenken. Mystisch, melancholisch. Der weise Nebel. Undurchsichtig. Unklar. Was ist dahinter? Wie geht’s weiter mit unserem lieben Verstorbenen? Kommt da was nach dem Tod? Und wie geht’s für mich weiter, jetzt, wo eine große Lücke in mein Leben gerissen wurde?

2. Strophe
Wie ist die Welt so stille
und in der Dämmrung Hülle
so traulich und so hold
als eine stille Kammer,
wo ihr des Tages Jammer
verschlafen und vergessen sollt.

Wie ist die Welt so stille – stumm macht uns die Trauer. Sprachlos. Oder ganz im Gegenteil: In Aufruhr bringt sie uns, unsere ganze Gefühlswelt. Wie gut, wenn man endlich einschlafen kann, und dann den Jammer des Todes zumindest für die Nacht verschläft und vergißt. Aber das kann nicht die Lösung sein. Wir wollen wirklichen Frieden finden. Trost. Hoffnung. Das lässt unseren inneren Menschen erst wirklich still werden. Um das zu erreichen, dazu hilfts bewusst zur Ruhe zu kommen, wie beim Anblick des Sternenhimmels. In die Stille zu gehen, zu Gott zu gehen. In seiner Gegenwart, mit ihm dem Phänomen von Tod und Sterben, der Trauer und dem Verlust begegnen.

3. Strophe
Seht ihr den Mond dort stehen?
Er ist nur halb zu sehen
und ist doch rund und schön.
So sind wohl manche Sachen,
die wir getrost belachen,
weil unsre Augen sie nicht sehn.

Matthias Claudius macht eine interessante Beobachtung: Nur halb sehen wir den Mond, mal sogar nur eine schmale Sichel. Und doch weiß jeder: in Wirklichkeit ist er rund.  Aus dieser Beobachtung leitet er eine wichtige Erkenntnis ab: So ähnlich ists auch mit anderen Dingen. Was wir da sehen ist auch oft nur ein Ausschnitt. In Wirklichkeit ist da aber viel mehr, als wir wahrnehmen. Phantast, Träumer, nennt man jemanden, der von Dingen erzählt, die wir nicht sehen. Und belächeln ihn. Aber vielleicht sieht ja gerade der tiefer, sieht ja gerade der mehr. Wir sehen einen Leichnam, einen Sarg, eine Urne, einen Grabstein. Vielleicht aber ist da auch mehr, als wir sehen.

Zunächst aber der Blick auf uns, auf unser Leben, das wir leben:

4. Strophe
Wir stolzen Menschenkinder
sind eitel arme Sünder
und wissen gar nicht viel.
Wir spinnen Luftgespinste
und suchen viele Künste
und kommen weiter von dem Ziel.

Was wir sind und tun wird hier beschrieben. Zunächst will ich das nicht negativ bewerten, wie es Matthias Claudius zu tun scheint. Diese Strophe lädt ein, ein wenig inne zu halten, und das eigene Leben hineinzudenken, und das Leben unserer lieben Verstorbenen. Bestimmt kommen uns Bilder vor Augen, Erlebnisse, Gewesenes, wenn wir uns auf den Weg durch diese Strophe und unsere Erinnerung begeben.

Wir stolzen Menschenkinder: Es ist (doch) etwas Gutes, wenn jemand stolz auf sich sein kann: Selbstbewusstsein zu haben, Freude am Leben, an dem, was man kann und ist und hat. Stolz sein, einen besonderen Menschen an seiner Seite zu haben.

Wir suchen viele Künste: Kunst versteht man als ein „schöpferisches Gestalten aus den verschiedensten Materialien oder mit den Mitteln der Sprache, der Töne in Auseinandersetzung mit Natur und Welt“. Ist nicht das ganze Leben so eine Kunst, und spricht man nicht auch von der Lebenskunst? Wir gestalten unser Leben schöpferisch: Integrieren jenes, und anderes nicht. Klar, es gibt auch viele Sachzwänge, denen man nicht auskommt. Gerade bei denjenigen, die den Krieg miterlebt oder die in die schlechte Zeit hineingeboren wurden, war das so. Aber vieles im Leben liegt auch in der eigenen Hand, in der eigenen Gestaltungskraft.

Dazu passt auch das Bild von den Gespinsten in dieser Strophe: Ein Gespinst ist mehr als ein Faden. Es ist ein zartes Gewebe, ein Netz, das sich jeder spinnt, und das hoffentlich das Leben trägt: Dazu gehören die Beziehungen zu anderen, die wir knüpfen: die Eltern, die uns das Leben geschenkt haben, die Großeltern, die Paten, ein Mensch für den Bund des Lebens, Kinder, Enkel, Freunde, Arbeitskollegen, Vereinskameraden. Und natürlich auch die Beziehung zu Gott, die wir pflegen oder eben auch nicht. Dazu gehört die Entscheidung für einen Beruf, vielleicht auch mal eine Neuorientierung. Dazu gehören die Dinge, die uns Freude machen, was wir gerne tun. Und auch das Materielle, das wir uns schaffen: Vielleicht eine eigene Wohnung, das eigene Haus. Und die Entscheidung, mehr auf sich selbst zu blicken, oder sich für andere und ehrenamtlich einzusetzen, z.B. in der Kirchengemeinde. Jeder Mensch gestaltet schöpferisch sein Leben, Lebenskunst. Jeder spinnt sein Gespinst, das vernetzt, verbindet, trägt. (Und diese Bilder könnte man noch weiter fassen: denn schließlich bauen wir alle auch an unserer Gesellschaft mit. …)

Aber auch das andere gehört zu einem Leben. Matthias Claudius dichtet: „Wir wissen gar nicht viel“: Unser Horizont ist begrenzt. Warum wurde ich gekündigt und nicht der Kollege? Warum ist der Krebs gewachsen? Warum musste dieser schlimme Unfall passieren? Warum bin ich so labil? Auch Schweres gehört zum Lauf eines Lebens dazu. Dinge, die wir nicht in der Hand haben.

Die vierte Strophe lädt ein, unser Leben und das unser Verstorbenen hineindenken. Mit allem Schönen und allem Schweren. So fragmentarisch es auch manchmal ist. 

Und noch eines gehört zum Leben dazu, ob wir wollen oder nicht. Mathias Claudius stellt fest: Wir sind eitel arme Sünder. Und richtig: Keiner schafft es, ohne Schuld durchs Leben zu gehen. Wir werden anderen nicht immer gerecht. Und wir verlieren Gott aus den Augen. Gesunder Stolz und Überheblichkeit liegen nahe beieinander. Bei alledem ist unser Wissen begrenzt, auf die großen wichtigen Fragen wissen wir kaum Antworten. Und, so stellt er fest: Wir kommen weiter ab vom Ziel. 

Stimmt das? Was ist denn überhaupt das Lebensziel? Das wird jeder für sich selbst definieren. Vielleicht dass wir ein gutes Miteinander mit anderen haben. Dass wir uns getragen und geborgen fühlen im Leben. Und gerade dann, wenn der Tod einbricht, merken wir, wie weit wir davon entfernt sind. Da bricht der Grund unter den Füßen weg.

Wir spinnen ein Netz, das uns halten soll, und doch hält es oft nicht, es ist ein Luftgespinst. 

Matthias Claudius aber weiß, wo es trotz allem Halt und Geborgenheit zu finden gibt, auch gerade angesichts des Todes. Bei Gott. Und deshalb wendet er sich jetzt direkt an ihn, seine meditativen Gedanken zum Leben münden in ein Gebet, das die nächsten beide Strophen umfasst:

5. Strophe
Gott, lass dein Heil uns schauen,
auf nichts Vergänglichs trauen,
nicht Eitelkeit uns freun;
lass uns einfältig werden
und vor dir hier auf Erden
wie Kinder fromm und fröhlich sein.

6. Strophe
Wollst endlich sonder Grämen
aus dieser Welt uns nehmen
durch einen sanften Tod;
und wenn du uns genommen,
lass uns in’ Himmel kommen,
du unser Herr und unser Gott.

Diese beiden Strophen bringen unser Leben vor Gott. Und dabei kommt Beides in den Blick: Himmel und Erde, oder besser gesagt: zuerst unser Leben hier auf Erden, und dann die Bitte, im Sterben Zukunft zu schenken. Ein Wort ist dabei ganz zentral, leuchtet hervor: das Wort Heil.

Gott, lass dein Heil uns schauen: Heil, das ist ein großes Wort. Das klingt nach Frieden, nach Ganzheit, nach Leben. Zerbrochenes wird heil. Wunden heilen. Trauer heilt. Ängste und Sorgen schwinden und machen einer großen Zufriedenheit Raum. Heilsein mitten im Jetzt. Und Heilsein in Ewigkeit. 

Gottes Heil, das ist das Ziel des Lebens aus Sicht des Glaubens. Gute Gemeinschaft mit Gott und untereinander. Jetzt und in Ewigkeit. Heil, das heißt, dass die Trennung zu Gott aufgehoben ist und wir auch den Tod überwinden: Vergebung der Schuld und Befreiung von der Macht des Todes. Das ist das Heil, das Gott uns in Aussicht stellt. Das ist das Heil, das er uns durch Jesus Christus als Heiland ermöglicht. Unser ganzes Lied ist eine Sehnsucht nach diesem Heil, ja eine Bewegung auf dieses Heil zu. Hat die Strophe 4 noch festgestellt, dass wir immer weiter weg von diesem Ziel kommen, so kommt es jetzt so richtig in den Blick.

Gott, lass dein Heil uns schauen: Jetzt schon möchten wir es schauen, spüren, erleben. Und einen Blick auf das werfen, was uns in Ewigkeit erwartet. Und das (beides) ist möglich. Die Bibel spricht in vielen Bildern von dem, was uns erwartet. Ja, der Mond ist nur halb zu sehen und ist doch rund und schön. Genauso hier: Nur kleine Blicke sind uns geschenkt, eine wage Ahnung, und doch erwartet uns Wunderbares.

Ein Bild von diesem Auf-uns-zu-Kommenden verbirgt sich im Evangelium für den heutigen Sonntag, das wir vorhin als Lesung gehört haben. In diesem Gleichnis Jesu ist für die 5 törichten Jungfrauen zunächst gar nichts zu sehen, die Tür ist vor ihnen ins Schloss gefallen. Und doch gibt’s etwas dahinter, hinter dieser Tür: ein großartiges Hochzeitsfest, eine Gemeinschaft von Menschen um Braut und Bräutigam. Das ist eines von diesen Bildern der Bibel für die Ewigkeit: eine fröhliche Gemeinschaft von Menschen um ihren Gott.

Aber was ist mit denen vor der verschlossenen Tür? Jesus will uns mit diesem Gleichnis keine Angst machen, sondern helfen, uns innerlich richtig auszurichten: Sei bereit für den Bräutigam. Verliere deinen Gott, das Ziel des Lebens nicht aus dem Blick. „Wir wissen es aus vielen biblischen Texten: bei dem Fest, zu dem Jesus einlädt, will er alle dabei haben. Das Reich Gottes ist für alle Menschen da. Keine und keiner soll draußen bleiben. So liegt der Sinn dieses Gleichnisses gewiss nicht darin, dass Jesus die Menschen hinaus stößt und ausschließt. (…) Es geht ihm gar nicht um eine Einteilung in Kluge und Törichte. Sondern alle, die ihm zuhören, sollen feststellen: Ich kann ja klug sein.“[1] In anderen Worten: „Bleibt dran am Glauben! Haltet euer Glaubens­licht am Brennen! Seid dabei voraus­schauend und klug – euer Glaube soll kein Strohfeuer sein, sondern eine dauerhafte Glut, die bis ans Ende eurer Tage leuchet. Dieses Glaubensöl ist nichts anderes als das Evangelium von Jesus Christus, seine Frohe Botschaft. Wenn wir von seiner Liebe hören, von seinem Opfer am Kreuz, von seiner Auf­erstehung und seiner Herrschaft zur Rechten Gottes, dann brennt der Glaube weiter. Wir müssen immer wieder nachfüllen, wir müssen immer wieder neu davon hören. Das Glaubens­licht erhält auch Brennstoff, wenn uns in der Beichte die Sünden vergeben werden und wenn wir im Heiligen Abendmahl den Leib und das Blut Christi empfangen. Klug und voraus­schauend handelt der Christ, der sich angewöhnt, stets frisches Öl in sein Glaubens­lämpchen nach­zufüllen, sonntags im Gottes­dienst sowie auch in täglichen Andachten und im Gebet. Ich kenne genug Beispiele von Menschen, die es nicht für nötig halten, ihrem Glauben immer wieder Brennstoff zuzuführen, sondern die selbst­gefällig sagen: „Ich habe meinen Glauben!“ Und wenn ich dann nachfrage, was das denn für ein Glaube ist, dann“[2] finde ich eben nicht diesen Glauben, der ein Leben wirklich hell macht.

Gott, lass dein Heil uns schauen: Gott lässt uns jetzt schon sein Heil spüren. Glaube wirkt sich aus auf unser Leben. Mit Gott an der Seite wird das Dunkle und Schwere nicht triumphieren.

Lass uns einfältig werden
und vor dir hier auf Erden
wie Kinder fromm und fröhlich sein.

„Einfältig“ ist ein schönes Wort: Es meint eben nicht dumm, sondern ursprünglich „ohne Argwohn“. Das heißt: im Vertrauen. Lass uns auf dich vertrauen und als deine Kinder unbeschwert sein, im Wissen, das du unsere Stärke bist.

Gott lässt uns jetzt schon sein Heil spüren. Und er will es uns in Ewigkeit schenken.

Darum: Richten wir uns immer wieder neu am Ewigen aus. Nehmen wir das in den Blick, was zählt. Der Nebel (aus der 1.Strophe) ist lichter geworden: Gott kam in unseren Blick. 

Gott sei Dank gibt es ihn, der uns in seinem Gespinste, in seinem Netz auffängt, wenn wir fallen. Der Geborgenheit bei sich selbst schenkt, wenn wir sie dringend brauchen - als Trost, als Kraft. Wir können hier schon zu einem inneren Frieden gelangen, weil wir uns aufgehoben wissen bei Gott in Zeit und Ewigkeit. Und genau deshalb schließt das Lied in der letzten Strophe voller Gelassenheit und Zuversicht:

7. Strophe
So legt euch denn, ihr Brüder,
in Gottes Namen nieder;
kalt ist der Abendhauch.
Verschon uns, Gott, mit Strafen
und lass uns ruhig schlafen.
Und unsern kranken Nachbarn auch!

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.