Ökumenischer Silvestergottesdienst in St. Johannis - 31.12.2019

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St. Johannis

Predigt:
Pfarrer Peter Fischer

Diesem Gottesdienst standen Pfr. Jörg Mahler von der evangelischen Kirchengemeinde St. Johannis sowie Pfr. Peter Fischer von St. Hedwig vor. Musikalisch wurde der Gottesdienst vom Kirchenchor von St. Hedwig unter der Leitung von Steffi Vetter gestaltet.

Liebe Schwestern und Brüder,

das Jahr 2019 hat einiges an Bildern und Eindrücken hinterlassen. Darunter sind zwei Bilder, die mich persönlich sehr bewegt haben: meine Bilder des Jahres 2019.

Da ist das Bild von Notre Dame in Paris nach dem Brand. Die Decke ist eingestürzt – der Himmel offen. Mitten aus den Trümmern ragt das Kreuz hervor; sein Gold kontrastiert das Schwarz der verbrannten Deckenbalken. 

Der Brand ereignete sich am 15./16. April, also just zu Beginn der Karwoche, in der wir Christen das Kreuz Christi in den Mittelpunkt rücken. Zufall?

Schon in meinen Predigten an den Kar- und Ostertagen war ich auf diesen Brand eingegangen: „Seht das Kreuz, an dem der Herr gehangen, das Heil der Welt“ – so lautet in der katholischen Karfreitagsliturgie der Ruf zur Kreuzerhebung. Seht das Kreuz Christi, und weitet euren Blick: seht die Kreuze der Menschen, seht Schutt und Asche, als Symbole für gescheiterte Träume und Hoffnungen, seht Schutt und Asche als Realität der Menschen in den Krisen- und Kriegsgebieten unserer Erde, aus der sie fliehen, aus der sie auch zu uns fliehen. 
Seht das leuchtende Kreuz, aufgerichtet an unserem „Friday for future“, dem Karfreitag: Zeichen der Hoffnung, die Gott uns schenkt, gerade angesichts von Not, Sünde und Tod; aber auch: seht das Kreuz, Zeichen der Mahnung an uns Christen: werdet in eurem eigenen Leben dem gerecht, was ihr glaubt; orientiert euch am Weg des menschgewordenen Gottessohnes, der „nicht gekommen ist, sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele“ (Mk 10,45).

Es war bezeichnend, wie schnell von Wiederaufbau und hohen Spenden dafür die Rede war. Ein Gebäude, ein Kulturgut, ist doch viel mehr wert als das Leben der Menschen, die auf dem Mittelmeer und andernorts um ihr Leben bangen.

Hochrangige Politiker besuchten den Trümmerhaufen von Notre Dame; ganz konnte man vergessen, dass es in Frankreich die Trennung von Kirche und Staat gibt und die Kirche in Frankreich – Kirche im Sinne von Gemeindeleben – noch schlimmer in Trümmern liegt als dieses Gebäude. –

Ein zweites Bild gehört zu meinen beiden Bildern des Jahres 2019. Wir sind im Sommer angekommen, da machte das Bild eines Ameisenbären auf der verbrannte Erde Brasiliens die Runde. Man sieht erblindeten, vom Feuer gezeichneten Ameisenbär in Abwehrhaltung, die doch auch an einen Gekreuzigten erinnern kann.

2019 war das Jahr der Brände, die unzählige Hektar Land vernichtet haben und auch gerade vernichten. Neben der Trockenheit ist es der Mensch, der aus wirtschaftlichem Interesse riesige Flächen rodet.

Der Aufschrei war groß, als die Feuer Brasiliens und die vermuteten Ursachen, über die ja stark gestritten wurde, in die Medien kamen. Dazu machte dieses Bild die Runde.

Mittlerweile ist klar: dieses Bild stammt nicht aus 2019, es wurde schon 2016 eingesetzt und stammt ursprünglich aus dem Jahr 2005. Und das ist ein Skandal – nicht, dass das Bild schon so alt ist, sondern dass die Problematik in Brasilien und anderswo schon so lange existiert, aber sich bisher noch niemand aus der Weltgemeinschaft dafür wirklich interessiert hat.

Bezeichnend auch die Art des Aufschreis in der westlichen Welt: „Unsere Lunge brennt!“ – Wie es Mensch und Tier vor Ort geht, das kam nur nachrangig ins Blickfeld.

In Zusammenschau mit dem leuchtenden Kreuz aus Notre Dame sagt uns dieses Bild vom Ameisenbär: Seht das Kreuz Christi!; seht die Kreuze von Mensch, Tier und Natur auf unserer Erde!

Der erblindete Ameisenbar fragt uns nach unseren eigenen Blindheiten! Er will uns aufrütteln, wo wir nur das günstige Warenangebot in unseren Supermärkten sehen, das Schnäppchen im Onlineshop, den günstigen Import aus China, – aber blind sind für Herstellungsprozesse und die Folgen für Mensch, Tier und Natur weltweit.

Man hat sich z. B. abgefunden damit, dass Palmöl praktisch überall drinnen ist – die Folgen für Mensch und Natur in den Produktionsländern werden ausgeblendet. Selbst in BIO-Produkten steckt Palmöl drin. Und wie es mit China und anderswo mit den Menschenrechten bestellt ist, das interessiert wenig, so lange es nur billig ist.

Aber schauen wir allein mal auf Weihnachten.

Seit 1986 reist das Friedenslicht aus Betlehem nach Europa, zunächst nach Österreich, später kamen andere Länder dazu; seit 1993 reist es auch nach Deutschland. Wie?: natürlich mit dem Flugzeug.

Nach Hause kommt es in Plastikbechern, meist in solchen, die mit einer besonderen brennbaren Masse ausgestattet sind, damit es möglichst lange brennt. Doch so entsteht nicht nur Plastikmüll, sondern eine ganz eigener Art Müll, die sich – genau genommen – gar nicht so einfach entsorgen lässt.

Sprich: Die Ökobilanz des Friedenslichtes ist doch recht miserabel. 

Aber es ist halt so nett, ist halt eine so tolle Symbolik. Dass aber Jesus aller Wahrscheinlichkeit nach gar nicht in Betlehem geboren ist und Betlehem heute in einem Krisengebiet liegt, das stört scheinbar niemanden, der sich diesen heimeligen Instant-Frieden ins Haus holt, um den Unfrieden auf dieser Erde zu kaschieren – einen Unfrieden, den er vielleicht durch sein eigenes Verhalten und seine eigene Ignoranz gegenüber weltweiten Verbindungen und Zusammenhängen fördert.

Schauen wir aber auch auf unsere Christbäume. Übrigens noch gar keine so alte Tradition weltweit. Nach England zum Beispiel kamen sie erst mit Prinz Albert. Der ist heuer gerade mal 200 Jahre alt geworden.

Massenweise werden Nadelgehölze geschlagen, um dann auf Plätzen sowie in Häusern und Wohnungen aufgestellt zu werden. Jahrelang gewachsenen Bäumen kappt man die Zufuhr des Lebenssaftes, stellt sie in die Gute Stube und schaut zu, wie sie innerhalb weniger Wochen ihr Leben lassen – und ärgert sich dann noch über jede Nadel, die sich in den von Kinderarbeitssklaven handgeknüpften Teppich bohrt.

Klar: diese Bäume wurden eigens dafür gezüchtet, um an Weihnachten zu sterben. Aber wäre es nicht sinnvoller, das jährlich für Christbäume ausgegebene Geld in Aufforstungs- und Renaturierungsprojekte in Deutschland und weltweit zu investieren? –

Ich weiß, meine Worte sind provokant, bewusst provokant. Weil vieles an lieb gewonnenen Selbstverständlichkeiten – rational betrachtet – genau das Gegenteil von dem bedeutet, was wir für gut und richtig halten, wenn wir auf Klimawandel, Menschenrechte & Co. angesprochen werden. –

Schauen wir nochmal auf die beiden Bilder:
Seht das Kreuz Christi, seht die Kreuze von Mensch, Tier und Natur weltweit.

Aus dem Buch des Propheten Sacharja haben wir heute die Lesung gehört – einen Abschnitt, den der Evangenlist Johannes ganz bewusst in seine Erzählung von der Kreuzigung Jesu eingebunden hat: „Sie werden auf den schauen, den sie durchbohrt haben.“ (Sach 12,10) Und wenn Johannes den Soldaten die Seite Jesu öffnen lässt, so dass Wasser und Blut heraus fließen, dann lenkt er uns sicher auch auf jenen Satz bei Sacharja, wo es heißt: „An jenem Tag wird … eine Quelle entspringen gegen Sünde und Unreinheit.“ (Sach 13,1)

In diesem Kontext findet sich auch die Verheißung: „ich werde den Geist des Mitleids und des flehentlichen Bittens ausgießen“. (Sach 12, 10)

Das wäre meine Hoffnung für 2020: dass wir vom Kreuz Jesu her auf die Kreuze von Mensch, Tier und Natur weltweit schauen, uns von Mitleid leiten lassen und als Christen handeln, die nicht nur um das Kommen des Reiches Gottes beten, sondern sich ganz bewusst den guten Willen des guten Schöpfers für alle seine Geschöpfe zu eigen machen.

Amen.

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